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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Globales
Gleichberechtigung aller Staaten fundamentale Grundlage
Grundsätzliche Überlegungen zur zukünftigen deutschen Außenpolitik
Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait

Eine neue deutsche Regierungsbildung steht bevor, Zeit, sich auch über Grundsätzliches zukünftiger deutscher Außenpolitik klar zu werden. Alle Beziehungen zu anderen Ländern sind zu allererst Beziehungen der deutschen Regierung zu allen anderen Regierungen in der Welt. Alle Regierungen verdienen für eine zivilisierte Außenpolitik als partnerschaftlich zu gelten. Entsprechend sind alle ausländischen Regierungen ohne Ansehen ihrer verfassungsmäßigen Form als Partner anzusehen. Die Gleichberechtigung aller Staaten ist eine fundamentale Grundlage, die in der Charta der Vereinten Nationen (UN) festgeschrieben ist. Folglich hat auch die Beziehung zwischen deutscher und US-amerikanischer Regierungen auf gleicher Ebene zu erfolgen. Das ändert auch nicht die Tatsache, dass gemessen am deutschen Exportwert außerhalb der EU, die USA einer der wichtigsten Partner für Deutschland sind.

Kategorien Freund und Feind eine US-Täuschung

Unter dem penetranten US-Einfluss der Post-Nazi-Ära, nämlich der Nachkriegszeit, hat die westdeutsche Bundesrepublik einen realistischen politischen Kompass verloren und ist der US-Täuschung aufgesessen, Beziehungen zu anderen Regierungen mit den Kategorien Freund und Feind zu qualifizieren. Ein wahrer „Witz“ war infolgedessen die so genannte Politik des Kalten Krieges, wie sie ein großer FDP-Staatsmann im Bundestag schilderte: Thomas Dehler.

Europäische Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok schaffen

Die große Mehrheit in Europa will keinen Krieg und keine Zuspitzung der Kriegsgefahr. Sie wollte auch keinen Krieg gegen Jugoslawien, nicht im Irak, nicht in Afghanistan, nicht in der Ukraine, nicht in Libyen und auch nicht in Syrien. Schon die Bejahung einer Auflösung des Warschauer Paktes bei gleichzeitiger Ablehnung der Auflösung der NATO verhinderte den Aufbau eines gemeinsamen Hauses Europa und damit die Errichtung einer europäischen Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok unter Einschluss Russlands. Dieses Sicherheitsprojekt war Vision und Vorhaben Deutschlands unter CDU-Kanzler Helmut Kohl und FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Ein Vorhaben, das dringend zu vollenden ist.

Sicherheitsinteressen Russlands achten

Die Sicherheitsinteressen Russlands wurden sowohl durch die NATO-Osterweiterung als auch durch die Stationierung von US-amerikanischen Raketen in Tschechien und Polen und von NATO-Soldaten im Baltikum grob missachtet. Am Rand des internationalen Rechts ist die EU auf illegalem Terrain völlig entgleist. Nach einem jüngsten SIPRI-Bericht ist der US-NATO-Block die mit Abstand am höchsten aufgerüstete Region der Welt. Russland, China zusammen mit anderen Staaten bleiben erheblich dahinter zurück. Zu Recht haben sich die NATO-Mitgliedsstaaten auf Abrüstung verständigt, und zwar im rechtsgültigen, für alle NATO-EU-Mitglieder verbindlichen Dokument, die Erklärung des NATO-Gipfeltreffens in Lissabon am 20. November 2010. Diese Verpflichtung hat aber die NATO bisher nicht erfüllt. Zudem setzt die deutsche Bundesregierung auf Diplomatie, um Konflikte zu lösen, wie die Bundeskanzlerin, ihr Außenminister und ihre Verteidigungsministerin wiederholt erklärt haben, was militärische Mittel in ihre Schranken weist, nämlich allein für die Verteidigung da zu sein. Kein Grund also für weitere, erhöhte Militärausgaben und kein Grund für einen US-NATO-Einsatz im Nahen Osten. Im Gegenteil, aufgrund der Abrüstungsverpflichtung der NATO sind die Militärausgaben zu senken und die Abrüstung zu verwirklichen.

Beziehungen zwischen Staaten zu beiderseitigem Vorteil – Verstoß gegen die Gleichberechtigung beim Vorliegen von Sekundanten- oder Vasallenverhältnis

Neben den Handelsbeziehungen sind auch die kulturellen und akademischen Beziehungen von Bedeutung. Beziehungen zwischen Regierungen zu organisieren, bedeutet nichts anderes, als der ernsthafte Versuch, Interessen beider Seiten auszugleichen. Deshalb geht es immer um Partnerschaft. Internationale Beziehungen, Beziehungen zwischen Regierungen sind keine Angelegenheiten von Freunden oder Feinden, sondern Angelegenheiten rein geschäftlicher Natur, zum Vorteil beider Seiten. Wenn sich die deutsche Bundesregierung gegenüber der US-Regierung als Satellit und Sekundant verhält, bereit dem hegemonialen Diktat zu folgen, sei es unter Druck oder Erpressung, verschwindet die Gleichberechtigung, und damit wird die Beziehung erheblich gestört und behindert. Als US-Protektorat oder -Vasall ist Deutschland kein Subjekt in der Weltpolitik.

Reife selbstbewusste Regierungen in der EU vonnöten

Die fundamentalen menschlichen Werte und Vorstellungen sind nicht mit der Kontingenz eines Szenariums der Nachkriegszeit zu verwechseln. Das verheerende Nachkriegszeit-Szenarium hätte schon vor langem aus Europa verschwinden müssen. Menschenrechte und demokratische Rechte sind schon von allen europäischen Staaten anerkannt. Die angebliche Nachkriegsordnung ist bereit durch zerstörerische anmaßende US- und NATO-Kriegsangriffe (gegen Jugoslawien, gegen Irak, gegen Afghanistan, gegen Libyen und Syrien) brutal zerbrochen. Aber bisher hat Europa nicht reagiert und nicht die Chance benutzt, endlich eine eigenständige Ordnung zu schaffen: Eine europäische Sicherheitsordnung ist seit der Wende 1990 nicht errichtet worden. Dazu sind reife selbstbewusste Regierungen vonnöten, die die europäische Friedenslogik tatsächlich verinnerlicht haben und anerkennen.

Sich an einen europäischen Lebenskodex halten

Solange diese Reife und politische Bereitschaft, sich an einen europäischen Lebenskodex zu halten, nicht präsent sind, ist die Spaltung sowohl der EU als auch der Gesellschaften folgerichtig. Wirksame gesellschaftliche Erneuerungen werden somit herausgefordert. Es gibt gute hoffnungsvolle Anzeichen für ein zukünftig starkes friedliches Europa. Die europäische Integration muss auf festen Pfeilern und Werten ruhen, auf Mechanismen, die keine Existenz-Vernichtung, keine Lebensauslöschung in sich tragen. Dieser Weg ist souverän zu gehen, ohne US-Diktat, sondern gemeinsam in Europa, zusammen mit Russland. Nicht Russland, sondern die USA sind als tatsächliche Bedrohung Europas anzusehen, wenn man die Fakten, nämlich die Handlungen der US-Regierung gegenüber Europa richtig und realistisch betrachtet. Dieser Realismus ist conditio sine qua non für eine wirksame konstruktive Außenpolitik, deren Gestaltung noch aussteht. Wird sich die sich bildende neue deutsche Regierung endlich damit fundiert befassen und entsprechend handeln?


Verfasst am 14.10.17


Luz María de Stéfano Zuloaga de Lenkait ist chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin (a.D.). Sie war tätig im Außenministerium und wurde unter der Militärdiktatur aus dem Auswärtigen Dienst entlassen. In Deutschland hat sie sich öffentlich engagiert für den friedlichen Übergang der chilenischen Militärdiktatur zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, u.a. mit Erstellen von Gutachten für Mitglieder des Deutschen Bundestages und Pressearbeit, die Einheit beider deutschen Staaten als ein Akt der Souveränität in Selbstbestimmung der beiden UN-Mitglieder frei von fremden Truppen und Militärbündnissen, einen respektvollen rechtmäßigen Umgang mit dem vormaligen Staatsoberhaupt der Deutschen Demokratischen Republik Erich Honecker im vereinten Deutschland, für die deutsche Friedensbewegung, für bessere Kenntnis des Völkerrechts und seine Einhaltung, vor allem bei Politikern, ihren Mitarbeitern und in Redaktionen. Publikationen von ihr sind in chilenischen Tageszeitungen erschienen (El Mercurio, La Epoca), im südamerikanischen Magazin “Perfiles Liberales”, und im Internet, u.a. bei Attac, Portal Amerika 21, Palästina-Portal. Einige ihrer Gutachten (so zum Irak-Krieg 1991) befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Bundestages.


Online-Flyer Nr. 633  vom 18.10.2017

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