NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

zurück  
Druckversion

Kommentar
Linke Russo-Phobie ist schick
Augsteins Freitag
Von Ulrich Gellermann

Na klar ist der FREITAG links: Viele Artikel zeugen davon, jede Menge Namen kluger Autoren im Blatt auch und schließlich Jakob Augstein selbst: Das ist einer von der linken Opposition, ein Publizist für Frieden & Gerechtigkeit und gegen den Mainstream. Jüngst kommentierte der Herausgeber mit dem großen Namen einen wirklich hasserfüllten Artikel in der FAZ zur Schwulen-Ehe. Elegant wie von Augstein gewohnt und bissig wie von ihm erhofft, macht er den FAZ-Autor nieder. Und streuselt, mit linker Hand, Bemerkungen über Schwulen-Hass anderswo ein.

So entdeckt Augstein in der FAZ „Schwulenhass. Um ihn schnellstens zu exportieren: "Wie man ihn sonst nur aus dem Osten kennt“. Und damit kein Zweifel darüber aufkommt wo der Osten liegt, schiebt der FREITAG-Herausgeber noch nach: „Homophobie gibt es offenbar nicht nur bei den Russen“. Der Russe, das weiß der deutsche Medienkonsument, ist schuld, mal an diesem oder jenem, zumeist aber an allem. Deshalb fallen dem Gewohnheitsschreiber Augstein auch keine anderen Weltgegenden der Homophobie ein, wie zum Beispiel Saudi-Arabien, wo Schwulenhass zur ersten Bürgerpflicht gehört. Vergessen auch das vorläufig letzte große Schwulen-Massaker, das in Orlando (Florida) 49 Menschenleben kostete. Fand die Studie der Field Research Corporation (San Francisco) aus dem Jahr 2006 etwa in Moskau statt? Die stellte fest, dass 73 % der Befragten US-Amerikaner angaben, dass homosexuelle Beziehungen immer abzulehnen seien. Doch so weit hätte Augstein gar nicht denken müssen, erfanden doch die Berliner noch jüngst, als Klaus Wowereit zum Regiereden Bürgermeister gewählt worden war, den diskriminierenden Spruch „Wowereit Popo bereit“. So geht Berliner Schnauze, wenn sie losgelassen wird. Und weil der Paragraph 175, der Schwul-Sein unter Strafe stellte, in der West-Republik erst im Juni 1994 abgeschafft wurde, hält sich falsches Bewusstsein eben länger.

Aber dem feinsinnigen Freitag-Herausgeber fielen in der Schnelle nur die Russen ein. Das ist ein deutscher Reflex, den schon Opa hatte. Der kannte den Russen noch als Unter-Menschen. Heute wird er in der Rubrik Un-Mensch geführt. Dieser bedingte Reflex macht leider auch vor Linken nicht halt. Wohl deshalb gibt in der deutschen Linken immer wieder Leute, die sich in der Russen-Frage zum Partner der Merkelei machen. Mal im Kampf um Kiew, dann wieder auf der Seite des Verfassungsschutzes im Kampf gegen russische Cyber-Attacken, oder bei der Befreiung der Schwulen vom russischen Joch. So träufelt denn die Russophobie vom Chef bis ins Feuilleton.

„Programmbeschwerde und Ideologie“ ist eine Rezension zum Buchtitel „Die Macht um Acht - Der Faktor Tagesschau“ im jüngsten Freitag kommentierend überschrieben. Von der „Ideologie“ weiß der deutsche Medienkonsument, dass sie immer der andere hat und dass sie total schädlich ist. Wohl deshalb bedauert der Autor der Buchkritik sehr, dass im Buch zur TAGESSCHAU die geopolitischen Interessen Russlands ausgeblendet seien. So muss er dann auch zur Verteidigung des TAGESSCHAU-Senders sagen, dass der bei seiner Gründung immerhin weniger alte Nazis beschäftigt habe als er SPIEGEL. So kann er dann die Mitgliedschaft des ersten Chefredakteurs der TAGESSCHAU, Martin S. Svoboda in Hitlers Propaganda-Kompanie, in die Schublade „bizarre Lesart“ verschieben. Und heftig betont der Rezensent, dass der Gründer des NWDR, des Mutterschiffs der TAGESSCHAU, der britische Geheimdienstoffizier Hugh Carleton Greene aber ein „Anti-Nazi“ gewesen sei. Als wären nicht alle alliierten Truppen im Kampf gegen Hitlerdeutschland per Kampfauftrag automatisch Anti-Nazis gewesen. So wird der Freitag, auf der Suche nach der russischen Geopolitik in einem Buch über eine deutsche Nachrichtensendung, zum Verteidiger es Monopol-Funks.

Russo-Phobie ist offenkundig schick. Vor allem aber erholsam für deutsche Oppositionelle. Denn es ist schon ermüdend, wenn man ständig gegen die Mainstream-Medien und die Bundesregierung opponieren muss. Man ist so allein. Dann wird gern nach Gemeinsamkeiten gesucht. Und in der Anti-Russland-Haltung auch gefunden. Wem das nützen mag? Der deutschen Linken kaum. Und auch kaum dem Verstand.


Der Text wurde von Angelika Kettelhack lektoriert. Erstveröffentlichung am 10. Juli 2017 bei rationalgalerie.de – Eine Plattform für Nachdenker und Vorläufer

Top-Foto:
Ulrich Gellermann (aus Video-Interview: deutsch.rt.com)


Online-Flyer Nr. 621  vom 12.07.2017

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE