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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Inland
Whistleblower-Preisträger: Léon Gruenbaum, Brandon Bryant, Gilles-Eric Séralini
Erster Karlsruher Whistleblower
Von Dietrich Schulze

Am 16. Oktober findet in Karlsruhe die Whistlebower-Preisverleihung 2015 statt. Dieser Preis für herausragende Zivilcourage wird alle zwei Jahre von IALANA und VDW vergeben. Erstmals in der Geschichte des Preises seit 1999 wird ein Posthum-Preisträger geehrt, der französische Physiker und Geschichtswissenschaftler Léon Gruenbaum (1934-2004). Die beiden anderen Preisträger sind Brandon Bryant, ein US-amerikanischer Ex-Drohnen-Pilot und Prof. Gilles-Eric Séralini, ein französischer Molekularbiologe, der den Unkrautvernichter und Krebserreger Glyphosat von Monsanto erforscht und gegen starke Widerstände bekämpft [1]. 

 


Léon Gruenbaum
Zeichnung Liane Holl 

 

Whistleblower-Preisverleihung 2015

Um auf direktem Weg auf die Veranstaltung zu kommen, die im Bürgersaal des Rathauses in Karlsruhe stattfinden wird, hier der vorgesehene Ablauf [2]: •          Eröffnung: Oberbürgermeister von Karlsruhe Dr. Frank Mentrup
          Begrüßung für die Veranstalter: Otto Jäckel, Vorsitzender der IALANA •          Trailer zum entstehenden Film über Léon Gruenbaum: Efstratia Dawood (PNOES)
          Laudatio auf den Empfänger des Posthum-Whistleblower-Ehrenpreises Dr. Léon Gruenbaum: Video-Botschaft von Serge Klarsfeld (Paris) sowie Dr. Philipp Sonntag (Physiker, Berlin)
          Laudatio auf den Whistleblower-Preisträger Brandon Bryant (Missoula/USA):John Goetz (ARD-Hauptstadtstudio; Rechercheverbund NDR/WDR/SZ)
          Laudatio auf den Whistleblower-Preisträger Prof. Dr. Gilles-Eric Séralini (Caen/Frankreich): Christine von Weizsäcker
          Preisübergabe: Prof. Dr. Ulrich Bartosch, Vorsitzender der VDW
          Dankesworte der Preisträger Brandon Bryant und Prof. Dr. Gilles-Eric Séralini
Dazwischen Musikalisches von Malika Reyad aus Karlsruhe.



Collage von Dietrich Schulze

 

Geschichtliches zu Léon Gruenbaum

Gestatten Sie bitte, dass ich diesen Beitrag auf Léon Gruenbaum konzentriere und zwar aus zwei Gründen. Erstens beschäftigt sich die Initiative gegen Militärforschung (WebDoku [3]) schon seit vielen Jahren damit, für die Anerkennung seiner Lebensleistung Sorge zu tragen. Und zweitens ist allein die Tatsache, dass der Veranstaltungsort der Preisverleihung auf Karlsruhe gelegt wurde, wo Léon gewirkt hat und gestorben ist, eine große Ehrung. Die Veranstalter sind OB Dr. Mentrup sehr dankbar dafür, dass er den öffentlich attraktivsten Ort in Karlsruhe zur Verfügung gestellt hat, die Tagungsstätte des Gemeinderats. 

Eine kurze Lebensgeschichte von Léon und Schlüsseldaten im Kontext sind von mir vor vier Wochen zusammen gestellt worden [4]. Die wichtigste Erkenntnis: Er wurde von Nazis in doppelter Weise verfolgt. Seine jüdische Familie musste vor dem deutschen Faschismus nach Frankreich fliehen, wo er 1934 geboren wurde. Von dem hochrangigen Karlsruher Atommanager Greifeld (1911-1984, NSDAP-Mitglied seit 1937) wurde er Anfang der 1970 Jahre ein zweites Mal verfolgt. Es ist sehr viel veröffentlich worden, vieles von mir auch in der Neuen Rheinischen Zeitung. 

Gruenbaum-Symposium 2013 in Karlsruhe

Eine gute Zusammenfassung aller wichtigen benannten Aspekte sind in einem Symposium des Forum | Ludwig Marum am 19. Oktober 2013 dargestellt worden. Hier finden Sie die komplette Broschüre über das Symposium [5] sowie einen Reader mit vorbereitenden Dokumenten [6]. Im Hinblick auf die Preisverleihung seien aus der Fülle von Material vier Aspekte hervorgehoben:

          Die Bedeutung von Beate und Serge Klarsfeld aus Paris bei der Aufdeckung der Wehrmacht-Verbrechen von Greifeld, der Léon später verfolgt hatte.
          Die seit drei Jahren erfolglos geforderte Annullierung der Ehrensenatorwürde der Universität Karlsruhe von 1969 (heute KIT) für diesen AtomNazi.
          Neue für den AtomNazi belastende Dokumente aus Mitschriften eines Vichy-Beamten, der dessen Wehrmachtbefehle für die Resistance aufzeichnete.
          Unerledigte Ehrungen für Léons geschichtswissenschaftliche Bedeutung.

Nun zu diesen vier Aspekten im Detail: 

Die Nazi-Jäger Klarsfeld helfen Léon

Bereits in seiner schriftlichen Botschaft für das Symposium [7] hatte Serge Klarsfeld die Entdeckung der von Léon vermuteten Nazi-Vergangenheit Greifelds geschildert. Die Karlsruher Vorbereitungsgruppe für die Preisverleihung konnte ihn erneut gewinnen, dieses Mal zu einer aussagekräftigen Video-Botschaft, aufgezeichnet von Efstratia Dawood am 28. September in Klarsfelds Pariser Büro. Dazu eine Collage aus drei Bildern im Kontext.

Wie schwächlich in der Recherche die hiesige Widerstandsbewegung ist, kann allein an der Tatsache abgelesen werden, dass das einzige Foto von Léon zusammen mit Beate und Serge Klarsfeld bei der bekannten Pressekonferenz 1975 in Strasbourg - s. Reader [6] Seite 16 - immer noch nicht in besserer Auflösung ermittelt wurde. 

Die unwürdige Ehrensenatorwürde

Serge Klarsfeld erinnert in seiner Video-Botschaft daran, dass der Ehrensenatortitel von Greifeld, dessen Annullierung von der KIT-Ethikkommission seit nunmehr drei Jahren systematisch verschoben wird, endlich beendet werden muss. Bitte lassen Sie sich dieses erste expressive high light der Preisverleihung nicht entgehen. Möge auch das Folgende die Ethikkommission des KIT endlich von der Unwürdigkeit Greifelds überzeugen und dessen KIT-Würde noch in diesem Jahr - dem 70. Jahr der Befreiung von Faschismus und Krieg - zu beenden.  

Auch Bonnefoy überführte Greifeld

Erst 1999 konnte aufgrund einer Thesis an der Universität Lyon weiteres enorm belastendes Material über die Greifeld-Verbrechen im besetzten Paris veröffentlicht werden. Es handelt sich um Mitschriften eines Beamten der Vichy-Kollaborationsregierung über die Greifeld-Befehle der Nazi-Wehrmacht. Der Clou war, dass Edouard Bonnefoy heimlich mit der Resistance zusammen arbeitete. Die Beweissicherung dieser Mitschriften ist uns aufgrund eines Besuchs bei Bonnefoys Schwiegertochter erst vor einem Jahr gelungen [8]. 

Die Bombe „Genese der Plutonium-Gesellschaft“

Ja, das war Léons Bombe gegen die fortgesetzten nazistischen Demütigungen. Er erarbeitet Ende der 1970er Jahre ein geschichtswissenschaftliches Dokument allererster Güte, die 460-seitige Monographie „Genese der Plutonium-Gesellschaft - Politische Konspirationen und Geschäfte “, in die er seine gesamte verbliebene Schaffenskraft investierte – s. Reader [6] Seiten 30-44. Leider ist es bis heute nicht gelungen, diese Monographie zu veröffentlichen, die er an der Sorbonne für eine Promotion in Geschichte eingereicht haben soll. Vielleicht kann der Impuls des Whistleblower-Ehrenpreises für Léon zu einer Unterstützung für die Abschrift des nicht mehr gut lesbaren französischen Textes und dessen qualifizierte Übersetzung beitragen. Der gesamte von Léon beackerte Atomwaffen-Komplex ist in einem breit gefächerten aktuellen Artikel bei „umwelt FAIR ändern“ [9] erschienen. 

Mobilisierung - breite lokale Unterstützung

Die gesamte Preisverleihung wird bereits im Vorfeld in Karlsruhe breit unterstützt. Das kann an einem Unterstützer-Aufruf abgelesen werden, der von 10 Persönlichkeiten und 18 Gruppen unterstützt wird, allen voran vom AStA und dem Studierenden-Parlament des KIT [10]. Mehr Mobilisierendes finden Sie hoffentlich bald in der lokalen und überregionalen Presse. (PK) 

Quellen:

[1] http://www.ialana.de/arbeitsfelder/whistleblowing/whistleblower-preis/whistleblowerpreis-2015     http://neu.vdw-ev.de/veranstaltungen/whistleblower-preisverleihung-2015/
[2] http://neu.vdw-ev.de/wp-content/uploads/2015/10/whistleblower-preis-_web.pdf
[3] http://www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf
[4] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20150818.pdf
[5] http://www.forum-ludwig-marum.de/site/assets/files/1012/broschuere.pdf
[6] http://www.forum-ludwig-marum.de/site/assets/files/1012/reader.pdf
[7] http://www.forum-ludwig-marum.de/site/assets/files/1012/beilage-zum-reader.pdf
[8] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20140626.pdf und .... 20140627.pdf
[9] http://umweltfairaendern.de/2015/10/spurensuche-auferstanden-aus-verbrechen-deutsche-atomschmiede-in-karlsruhe-und-ein-whistleblower/
[10] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20150929.pdf
 

Über den Autor: Dr.Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig. Für das Karlsruher Vorbereitungsteam der Whistleblower-Preisverleihung 2015 zeichnet er verantwortlich.



Online-Flyer Nr. 531  vom 07.10.2015

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