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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Krieg und Frieden
Ehemalige Nazi-Offiziere in der Bundeswehr erfolgreich und von dieser verehrt
Zeitgemäß, ansprechend, emotional
Von Hans Georg

Analog zur deutschen Kriegsmarine huldigen die Landstreitkräfte der Bundeswehr vormals hochrangigen NS-Offizieren. Über deren ersten Inspekteur, Hans Röttiger, etwa heißt es, er habe "entscheidenden Anteil am Aufbau des neuen deutschen Heeres" gehabt. Unerwähnt bleibt, dass Röttiger an nahezu allen Aggressionshandlungen des NS-Regimes beteiligt war; insbesondere beim deutschen Überfall auf Jugoslawien 1941 attestierten ihm seine Vorgesetzten "überdurchschnittliche Leistungen". Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erklärte Röttiger, die Aufstandsbekämpfung der Wehrmacht in den besetzten Gebieten der Sowjetunion habe das Ziel gehabt, die "rücksichtslose Liquidierung des Judentums und anderer unerwünschter Elemente zu ermöglichen".

Hans Röttiger (Mitte) in Russland
Quelle: wikipedia „Bundesarchiv Bild 101I-214-0342-
 
Gleichfalls völlig unkritisch referiert die Bundeswehr den "militärischen Lebenslauf" des von 1968 bis 1971 amtierenden Heeresinspekteurs Albert Schnez, der wie Röttiger in leitender Funktion für die Führung des deutschen Vernichtungskriegs gegen die UdSSR verantwortlich war. Gemeinsam mit der Vorläuferorganisation des Bundesnachrichtendienstes (BND) baute Schnez in den Jahren 1950 bis 1953 eine westdeutsche "Kaderarmee" aus vormaligen Offizieren der Wehrmacht und der SS auf. Die Truppe sollte für eine militärische Auseinandersetzung mit der DDR und für die Niederschlagung "kommunistischer Aufstände" zur Verfügung stehen. Von einer "Stunde Null" bei Gründung der Bundeswehr, die dieses Jahr ihr 60-jähriges Jubiläum feiert, kann somit keine Rede sein.
 
Traditionspflege
 
Wie das deutsche Heer erklärt, sind seine "Traditionslinien" das "Ergebnis einer bewussten Auswahl geschichtlicher Ereignisse im Hinblick darauf, ob sie den Soldaten der Bundeswehr wesentliche Orientierungshilfe für ihr heutiges und zukünftiges Handeln sein können".[1] Als traditionswürdig gelten der Truppe nach eigenem Bekunden auch ihre Inspekteure der Jahre 1956 bis 1979, die auf der Website der deutschen Landstreitkräfte mit Einzelporträts geehrt werden.[2] Es handelt sich ausschließlich um vormals hochrangige NS-Offiziere.
 
Rücksichtslose Liquidierung
 
Ihrem ersten Inspekteur, Hans Röttiger, etwa attestiert die Truppe, er habe "entscheidenden Anteil am Aufbau des neuen deutschen Heeres" gehabt.[3] Beginnend mit dem "Anschluss" Österreichs an Deutschland und der Annexion des tschechoslowakischen "Sudetenlandes" 1938 war Röttiger an nahezu allen Aggressionshandlungen des NS-Regimes maßgeblich beteiligt. Im Zusammenhang mit dem deutschen Überfall auf Jugoslawien 1941 bescheinigte ihm sein Vorgesetzter, Panzergeneral Hans-Georg Reinhardt, "überdurchschnittliche Leistungen".[4] Über seine anschließende Tätigkeit in der Sowjetunion und das deutsche Vorgehen gegen dort operierende Partisaneneinheiten schrieb Röttiger rückblickend, dass "die Bandenbekämpfung, die wir führten, im Endziel den Zweck hatte, den militärischen Bandenkampf des Heeres dazu auszunutzen, um die rücksichtslose Liquidierung des Judentums und anderer unerwünschter Elemente zu ermöglichen".[5] 1944 avancierte Röttiger zum Chef des Generalstabs der Heeresgruppe C in Italien unter Feldmarschall Albert Kesselring, der unter anderem 335 Geiseln in den Fosse Ardeatine in Rom erschießen ließ. Hierfür verurteilte ihn ein britisches Militärgericht 1947 zum Tode; das Urteil wurde jedoch nicht vollstreckt. Stattdessen musste sich Kesselring Ende 1951 vor dem Landgericht München für seine Untaten verantworten - wobei er von seinem ehemaligen Generalstabschef massiv verteidigt wurde. Wörtlich erklärte Röttiger, dass die zur Verhandlung stehenden "Übergriffe" Kesselrings ausschließlich "der bekanntlich sehr erfinderischen Phantasie der italienischen Bevölkerung entsprungen" seien.[6]
 
Stay-Behind-Organisation
 
Analog zu Röttiger huldigt die Bundeswehr dem von 1968 bis 1971 amtierenden Heeresinspekteur Albert Schnez mit einem Porträt. Wie Röttiger war Schnez in führender Position am deutschen Überfall auf die Sowjetunion beteiligt und wurde 1944 nach Italien versetzt. Einer unlängst erschienenen offiziösen militärgeschichtlichen Studie zufolge betrauten US-Geheimdienststellen ihn bereits kurz nach Kriegsende mit dem Aufbau einer "amerikanisch-italienischen Stay-Behind-Organisation".[7] Die konspirative Untergrundarmee, die Anfang der 1990er Jahre unter der Bezeichnung "Gladio" bekannt wurde, hatte den Auftrag, sich im Fall eines sowjetischen Einmarschs "überrollen" zu lassen und dann im Rücken des Feindes sowohl Sabotageakte zu verüben als auch der Kollaboration Verdächtigte, insbesondere Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, zu ermorden. Ihre engen Beziehungen zu neonazistischen terroristischen Gruppen sind mittlerweile hinlänglich belegt - auch für die BRD (german-foreign-policy.com berichtete [8]).
 
"Unternehmen Versicherungen"
 
Gemeinsam mit der "Organisation Gehlen", dem Vorläufer des heutigen Bundesnachrichtendienstes (BND), baute Schnez dann ab 1950 in Westdeutschland eine "national organisierte Milizformation" auf, wie der zitierten Studie zu entnehmen ist. Die Truppe, die unter der Tarnbezeichnung "Unternehmen Versicherungen" firmierte, sollte demnach bis zu 40.000 Mann umfassen und von Offizieren vormaliger "Elitedivisionen" der Wehrmacht und der SS geführt werden. Ihr Einsatz war der Untersuchung zufolge für den Fall eines Angriffs der DDR-Streitkräfte auf das Territorium der BRD vorgesehen - geplant war zudem das Vorgehen gegen "lokale kommunistische Aufstände" und "Putschversuch(e)". Laut der Studie verfügte Schnez über "beste Kontakte in die aufblühende Remilitarisierungsszene" Westdeutschlands, zu der neben den "Soldatenverbänden" und "Kameradenhilfswerken" vormaliger Wehrmachts- und SS-Angehöriger auch höchste Regierungsstellen wie das "Amt Blank", das spätere Bundesverteidigungsministerium, zählten.[9] Besonders enge Beziehungen unterhielt Schnez offenbar zu dem vormaligen NS-General Hans Speidel, der als militärpolitischer Berater des seinerzeitigen Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU) fungierte. Wie Schnez hatte Speidel im "Dritten Reich" schnell Karriere gemacht und es nicht an der Bereitschaft zur Begehung von Kriegsverbrechen fehlen lassen. So heißt es etwa in einem von ihm am 28. Februar 1942 verfassten "Lagebericht" über den von deutschen Truppen besetzten Teil Frankreichs: "In Rouen wurden umfangreiche Razzien auf Kommunisten und Juden durchgeführt, die zu zahlreichen Verhaftungen führten. In Zusammenhang mit den Maßnahmen ... wurde für das gesamte besetzte Gebiet die Überführung von 1000 Kommunisten und Juden in deutsche Haft angeordnet. Diese sind zur Deportation nach dem Osten bereitgestellt."[10]
 
Harte Kämpfer
 
Die Bundeswehr, die Schnez ein ehrendes Andenken bewahrt, schweigt über seine geheimdienstlichen Aufrüstungsaktivitäten ebenso wie über seine Zusammenarbeit mit SS-Offizieren und Kriegsverbrechern. Über die von ihm Ende 1969 in seiner Eigenschaft als Heeresinspekteur in Auftrag gegebene Studie "Gedanken zur Verbesserung der inneren Ordnung des Heeres" heißt es lediglich, diese sei "intensiv und kontrovers diskutiert" worden [11] - offenbar, weil hier direkt an überkommene Wehrmachtstraditionen angeknüpft wird. So fordert die Studie etwa die "Erziehung" des Soldaten zum "psychisch und physisch harten Kämpfer", der bereit ist, "in jeder Lage eines möglichen Krieges" die von der militärischen Führung geforderten "Opfer zu bringen". Verlangt wird zudem, Bundeswehrangehörigen das von der Verfassung garantierte Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu nehmen: "Dies scheint unabdingbar, da zu befürchten ist, dass im Spannungs- und Verteidigungsfall Soldaten den Gehorsam verweigern oder Wehrzersetzung betreiben, indem sie sich unter Berufung auf Artikel 4 (3) Grundgesetz ... den Kampfhandlungen zu entziehen versuchen."[12]
 
Konkurrenzfähige Soldatenlaufbahn
 
Gleichzeitig entbehrt die sogenannte Schnez-Studie nicht einer gewissen Aktualität: Sie greift Vorstellungen auf, die bei der Truppe und der politisch-militärischen Führung weit verbreitet sind. So wird etwa bemängelt, dass deutsche Massenmedien ein "vielfach nicht den Tatsachen entsprechende(s) Bild der Streitkräfte, ihrer Führer und Soldaten" vermitteln, statt über "Vielfalt, Verantwortung sowie die Verwendungsbreite von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften" zu berichten.[13] Analog zu der von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) unlängst verkündeten "Attraktivitätsagenda" (german-foreign-policy.com berichtete [14]) heißt es, die "Soldatenlaufbahn" müsse so gestaltet werden, dass sie "mit ihrer Attraktivität und den durch sie gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten in der Gesellschaft konkurrenzfähig" ist.[15]
 
Bitte lesen Sie auch Zeitgemäß, ansprechend, emotional (I) und Zeitgemäß, ansprechend, emotional (II).
 
 
[1] Woher kommen wir? Traditionspflege im Deutschen Heer. www.deutschesheer.de
25.11.2013.
[2] Die Inspekteure des Heeres in der Bundeswehr. www.deutschesheer.de 25.11.2013.
[3] Hans Röttiger. www.deutschesheer.de 25.11.2013.
[4] Zitiert nach: Kerstin von Lingen: Von der Freiheit der Gewissensentscheidung: Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Hans Röttiger. In: Helmut R. Hammerich/Rudolf J. Schlaffer (Hg.): Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970. Ausgewählte Biographien. München 2011. Siehe dazu auch Rezension: Helmut R. Hammerich/Rudolf J. Schlaffer/Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.): Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970.
[5] Zitiert nach: Ulrich Sander: Szenen einer Nähe. Vom großen Rechtsum bei der Bundeswehr. Bonn 1998.
[6] Zitiert nach: Kerstin von Lingen: Von der Freiheit der Gewissensentscheidung: Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Hans Röttiger. In: Helmut R. Hammerich/Rudolf J. Schlaffer (Hg.): Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970. Ausgewählte Biographien. München 2011.
[7] Agilolf Keßelring: Die Organisation Gehlen und die Verteidigung Westdeutschlands. Alte Elitedivisionen und neue Militärstrukturen 1949-1953. Marburg 2014.
[8] Siehe dazu Eine Untergrundarmee.
[9] Agilolf Keßelring: Die Organisation Gehlen und die Verteidigung Westdeutschlands. Alte Elitedivisionen und neue Militärstrukturen 1949-1953. Marburg 2014.
[10] Zitiert nach: Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland/Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR (Hg.): Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik, Berlin (DDR) 1965.
[11] Albert Schnez. www.deutschesheer.de 25.11.2013.
[12], [13] Der Wortlaut der "Schnez-Studie" wird wiedergegeben in: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/1970.
[14] Siehe dazu Krieg um Talente.
[15] Der Wortlaut der "Schnez-Studie" wird wiedergegeben in: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/1970.
 


Online-Flyer Nr. 508  vom 29.04.2015

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