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Krieg und Frieden
Debatte um den Appell der Arbeiterfotografie zum Jahreswechsel 2014/15
Klar und gut – genial – lesenswert – verkommen
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

„Ich habe selten einen so klaren und guten Ausblick für ein Neues Jahr gelesen.“ „Einen großen Dank für diesen Appell. Den Begriff 'Befreiung' als Ausweg aus all den aufgetürmten Problemen zu erkennen ist fast genial. Der Ausgangspunkt Befreiung vom Faschismus vor 70 Jahren erinnert gleichzeitig daran, dass uns nichts geschenkt werden wird, dass unsere Befreiung erkämpft werden muss.“ „Gerne möchten wir Euch den lesenwerten Appell des Bundesverbands Arbeiterfotografie zum Jahreswechsel 2014/15 übermitteln.“ „Mal wieder ein Dokument der totalen politischen Verkommenheit der einst traditionsreichen Arbeiterfotografie.“ Das sind Kommentare zum Appell des Bundesverbands Arbeiterfotografie, "2015 zu einem Jahr der Befreiung machen!" Der zuletzt aufgeführte Kommentar stammt von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN, und war Auslöser für eine weiter gehende Debatte.


Fotomontage von John Heartfield „Wir beten an die Macht der Bomben“ aus AIZ, 12. April 1934

Eine Stimme sieht im Appell der Arbeiterfotografie folgende drei Fehleinschätzungen:

„Die USA und England haben nicht nur eine 'angebliche', sondern eine tatsächliche Rolle bei der Befreiung Deutschlands vom Faschismus gespielt. Und dies ungeachtet der Tatsache, dass die USA und GB, wie das damalige faschistische Deutschland, imperialistische Staaten waren, und ihre Regierungen auch innerhalb der Antihitlerkoalition (mit denen Hitlerdeutschlands konkurrierende!) imperialistische Interessen vertraten. Den Anteil der Armeen dieser beiden Länder an der Befreiung Deutschlands – und damit der Hunderttausende ihrer Soldaten, die im Kampf gegen den Hitlerfaschismus ihr Leben ließen – mit dem Hinweis auf die Rolle der BIZ bei der Finanzierung Hitlerdeutschlands zu vernachlässigen, halte ich für einen schweren politischen Fehler.“

„Das heutige (imperialistische) Deutschland ist kein 'Vasallenstaat' der USA. Und Deutschland ist kein 'Bestandteil' des US-Imperialismus. Die deutsche Monopolbourgeoisie hat und verfolgt ihre eigenen Interessen – die decken sich zwar in vieler Hinsicht mit denen ihrer Klassenbrüder in den USA, in anderer aber nicht. Das spiegelt sich auch im z.T. gemeinsamen, z.T. unterschiedlichen Herangehen der US- und der BRD-Regierung an internationale Konflikte wider. Auch dort, wo sich die BRD-Regierung der der USA tatsächlich oder scheinbar unterordnet, verfolgt sie die Interessen der eigenen Klientel; die eben erfordern, sich zuweilen dem stärkeren Partner-Konkurrenten zu beugen.“

„Wir brauchen keine 'geschlossene' Friedensbewegung, sondern eine möglichst breite – eine, die alle Kräfte einschließt, die Krieg als Mittel zur Lösung politischer Konflikte und zur Durchsetzung ökonomischer Interessen ablehnt. Als Marxistin bin ich zwar der Meinung, dass eine solche Friedensbewegung in der Konsequenz auch antiimperialistisch sein wird – aber ich mache antiimperialistische Auffassungen nicht zur Voraussetzung friedenspolitischen Engagements.“

Die gleiche Stimme wertet Ulrich Sanders Reaktion auf den Appell der Arbeiterfotografie wie folgt:

„Ich sehe darin kein Dokument der 'totalen politische Verkommenheit' der Arbeiterfotografie, sondern eines, das neben den gerade genannten gravierenden Fehlern Etliches enthält, was bedacht zu werden verdient. Und das z.T. auch zu verstehen ist als überzogene Reaktion auf Äußerungen aus der ('alten') Friedensbewegung – z.B. dem Anti-Friedenswinter-Beschluss des Bundesausschusses der VVN-BdA vom 29. November 2014 – den ich für recht bedenklich halte. In diesem Papier wurden die 'Mahnwachen für den Frieden', obwohl sich etliche ihrer führenden VertreterInnen eindeutig antifaschistisch positionieren, pauschal der Rechten zugeordnet und ihnen eine 'platte Art von Kapitalismus- und Imperialismus-Kritik', 'simple antiamerikanische Ressentiments und undifferenzierte Pro-Russland-Haltung', 'einseitige Israel-Schelte', eine 'allgemeine Eliten-Kritik mit Schwerpunkt auf Banken, Politiker und Medien' vorgeworfen – eine Argumentation, lässt man die Epitheta (platt, simpel, undifferenziert, einseitig, allgemein) beiseite, direkt aus dem Arsenal der in der Tat eindeutig pro-imperialistischen Antideutschen stammen könnte.“

Es ist zu begrüßen, dass mit dem Appell der Arbeiterfotografie ein gedanklicher Prozess in Gang gesetzt ist. Es ist die Frage, ob die Gedanken im Appell zur Rolle von USA und England bei der Befreiung, zur Souveränität Deutschlands und die Forderung nach einer "geschlossenen" antiimperialistischen Friedensbewegung tatsächlich als gravierende Fehleinschätzungen zu betrachten sind.

Rolle von USA und England bei der Befreiung

Im Appell der Arbeiterfotografie heißt es: „Der 70. Jahrestag bietet sich an, insbesondere die Propaganda über die angebliche Rolle Englands und der USA bei der Befreiung vom Faschismus unter die Lupe zu nehmen...“ Es ist keine Frage, dass auch britische und US-Soldaten im Kampf gegen Deutschland ihr Leben verloren haben. Es ist aber u. E. durchaus eine Frage, ob Staaten wie USA und England, die Hitlerdeutschland und seine Kriegsmaschinerie befördert haben, als Befreier gesehen werden können. Wir haben ein Problem damit, jemanden als Befreier zu titulieren, der wesentlich zum Entstehen dessen beigetragen hat, wovon er die Welt dann angeblich befreit haben will – nach der Devise von US-Präsident Harry Truman: Wir machen erst mit beiden Seiten Geschäfte, lassen sie sich gegenseitig so weit wie möglich umbringen, dann kommen wir.

„[Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ] finanzierte den Holocaust und die Kriegsmaschine der Nazis... Die Bank verkörperte die zynischste Form des Kapitalismus; als Millionen von Menschen starben, hielt sie die Finanzkanäle offen, die über die Frontlinien verliefen.“ „Vollamtlicher Bankpräsident [der BIZ] vom Januar 1940 bis Juni 1946 und Bindeglied zur Federal Reserve Bank of New York war der US-amerikanische Bankier Thomas H. McKittrick.“ So steht es in zwei Büchern über die BIZ.

Aber die Stützung Hitlerdeutschlands durch die USA war nicht nur finanzieller, sondern auch technologischer Natur. Werner Rügemer schreibt: „Hitlers Blitzkriege – beispielsweise die Transportplanungen im besetzten Europa – und die Judenerfassung wären ohne die Informationstechnologien von ITT und IBM so nicht möglich gewesen.“

Der Historiker Josef Foschepoth wertet es so: „Die Siegermächte waren nicht nach Deutschland einmarschiert, um dieses Land zu befreien, sondern um es zu besetzen.“ Und damit sind wir auch bei der Frage der Souveränität.

Souveränität Deutschlands

Im Appell der Arbeiterfotografie heißt es: „Ergebnis des Krieges ist eine ausgeblutete Sowjetunion und ein (West-)Deutschland als Vasallenstaat im US-Imperium.“ Warum soll die Einschätzung als Vasall eine Fehleinschätzung darstellen? Das können wir nicht erkennen – und viele andere ebenso nicht.

Angesprochen auf die Tatsache, dass sich in Deutschland mehrere zentrale Nato-Stützpunkte, darunter die US-Airbase Ramstein und die AFRICOM-Zentrale in Stuttgart befinden, äußert der Schweizer Historiker Daniele Ganser: „Aus Sicht der USA ist Deutschland besetztes Land... Deutschland hat die Position des Vasallen übernommen... Die USA sind das Imperium... Die Nato [wird] von den USA angeführt... der SACEUR (Supreme Allied Commander Europe)... ist immer ein amerikanischer General. Dieses militärische Kommando ist noch weit mächtiger als das öffentliche Amt des Generalsekretärs.“


Supreme Allied Commander Europe von der Nato-Gründung bis heute (Quelle: wikipedia)

Und Oskar Lafontaine ergänzt diesbezüglich bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2015: „Die Bundesrepublik Deutschland war praktisch an jedem Krieg beteiligt, den die Vereinigten Staaten von Amerika geführt haben, weil alle Kriege, die sie geführt haben, auf US-Einrichtungen in Mitteleuropa zurückgegriffen haben. Wir waren niemals unbeteiligt. Und solange das so ist, sind wir kein souveränes Land.“

Lucas Zeise: „Die deutsche Monopolbourgeoisie ist nach 1945 von den USA reinstalliert worden... Am wichtigsten ist die Tatsache, dass die USA zwischen 1948 und 1973 die westdeutsche Volkswirtschaft und deutsche Konzerne nicht nur nicht als Konkurrenten behindert, sondern im Gegenteil aktiv gefördert haben... Die politische Hauptlinie wird von den USA vorgegeben... Die NATO ist klarster Ausdruck und wichtigstes Instrument für die eindeutige Führungsrolle der USA.“

Albrecht Müller: „Jetzt wird ... darüber gerätselt, was sich US-Amerikaner und die Briten bei uns und in Europa erlauben. Das musste man erwarten, nachdem auch bei den Verträgen zur Deutschen Einheit nicht dafür gesorgt worden ist, dass wir ein souveränes Land werden. Ich habe die Einschränkung der Souveränität als Bundestagsabgeordneter Ende der achtziger Jahre und Anfang der Neunzigerjahre handfest erlebt..." Albrecht Müller ist zu der Erkenntnis gelangt, "dass die Sonderrechte der USA... in Deutschland fortbestehen, auch über den Tag der deutschen Einheit hinaus.“

Werner Rügemer sieht die Situation wie folgt: „Das, was vom deutschen Kapital und seinen Mittätern und Mitläufern übrig geblieben und auch nachgewachsen ist, ist wegen seiner Führungsrolle in der EU nun frecher geworden. Das ändert aber nichts daran, dass die Bundesrepublik – auch gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung – gleichzeitig zum wichtigsten politischen Vasallen der USA in Europa geworden und geblieben ist.“

Das "deutsche Kapital" oder anders formuliert: die "deutsche Monopolbourgeoisie" spielt in Deutschland eine zunehmend untergeordnete Rolle. Dazu schreibt Werner Rügemer: „So ist etwa der US-Finanzakteur Blackrock, der größte Vermögensverwalter des Planeten, der Hauptaktionär der Deutschen Bank. Blackrock ist auch Miteigentümer aller 30 'deutschen' DAX-Konzerne wie Siemens, Münchner Rück, Daimler, VW, BASF, Eon und so weiter. Auch andere angelsächsische Hedgefonds und Vermögensverwalter sind hier Miteigentümer...“

"Geschlossene" antiimperialistische Friedensbewegung

Im Appell der Arbeiterfotografie heißt es: „Wir brauchen eine geschlossene Friedensbewegung – und die muss antiimperialistisch sein.“ Das Wort "geschlossen" möchten wir im Sinne von "zusammengeschlossen" und "einig" verstanden wissen. Eine Friedensbewegung kann unseres Erachtens nur dann stark werden, wenn sie sich in dem, worauf sie sich verständigt, einig ist, also geschlossen auftritt und nicht gegeneinander operiert. Eine Friedensbewegung, die auch pro-imperialistische Kräfte umfasst, können wir uns (fast) nicht vorstellen. Ein ganz entscheidendes, wenn nicht sogar den Imperialismus definierendes Element ist unseres Erachtens Krieg. Jemand, der Imperialismus und damit Krieg stützt, kann doch nur schwerlich Teil einer Friedens- und Anti-Kriegs-Bewegung sein.


Friedenswinter-Demonstration am 13. Dezember 2014 in Hamburg
(Foto: arbeiterfotografie.com, Georg-Maria Vormschlag)

Vielleicht sollten wir bei der Beurteilung der angerissenen Themenkomplexe nicht von Fehleinschätzungen sprechen. Es gibt offensichtlich einen unterschiedlichen Erkenntnisstand bzw. unterschiedliche Sichtweisen. Deshalb liegt es nahe, die Debatte als Chance zu sehen – und gedankliche Impulse, wie sie im Appell der Arbeiterfotografie formuliert sind, als Bereicherung eines dialektischen Prozesses. (PK)


Hinweis:

2015 zu einem Jahr der Befreiung machen!
Appell des Bundesverbands Arbeiterfotografie zum Jahreswechsel 2014/15
NRhZ Nr. 491 vom 31.12.2014
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21159

Online-Flyer Nr. 495  vom 28.01.2015

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