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Kommentar
Israel und die Bekenntnisdemokratie
Wem nützt eigentlich das Nazivergleichsverbot?
Von Anis Hamadeh

Wer behauptet, dass die Nazi-Verbrechen einmalig und unvergleichlich waren, hängt diese Verbrechen so hoch, dass niemand mehr herankommt. Wie soll man über etwas nachdenken oder sprechen, das mit nichts zu vergleichen ist, also über eine quasi ahistorische Singularität? Wer hingegen die deutsche Vergangenheit verdrängen und einen Schlussstrich ziehen will, kann sich bequem hinter der Einmaligkeits-Theorie verstecken und sich mit schablonenhaften Bekenntnissen begnügen, wo eine ernsthafte Aufarbeitung nötig ist. Bekenntnisse "gegen Rechts", "gegen Antisemitismus" und "für Israel" reichen dann aus, um korrekt dazustehen. Sie tun nicht weh und klingen gut, auch wenn sie gar nichts besagen. 
 
Ist es denn aber nicht großartig, wenn Deutsche ihre Schuld so ernst nehmen, dass sie sie verabsolutieren? Und relativieren nicht die, die Nazi-Vergleiche anstellen, die Grausamkeit von Auschwitz? Was und wem können Vergleiche überhaupt nützen? Kann man nicht ohne diese emotional überladenen Gedanken sachlicher argumentieren? Diese Fragen sind oft gestellt worden, etwa im Historikerstreit von 1986/87. Eine andere Frage ging dabei stets unter: Wem nützt es, wenn KEINE Vergleiche gezogen werden? Also: Wem nützt eine Bekenntnis-Demokratie, in der man nicht mehr nachdenken muss?
 
Vor Kurzem haben 359 Überlebende und Nachkommen von Überlebenden und Opfern des Nazi-Genozids einen solchen Vergleich angestellt, indem sie mit Blick auf Gaza und Palästina sagten: "'Nie wieder' muss bedeuten NIE WIEDER FÜR JEDEN!" Sie verglichen also Israel mit Nazi-Deutschland, sprachen explizit von "anhaltendem Genozid" und "Rassismus" und forderten "einen vollständigen ökonomischen, kulturellen und akademischen Boykott Israels". Wohlgemerkt: Eine Gleichsetzung fand dabei nicht statt, aber ein deutlicher Vergleich. (1)
 
Deutschland verdrängt heute, dass in Israel anti-arabische Parolen an Hauswänden und in Schaufenstern zu sehen sind, die solchen aus Nazi-Deutschland frappierend ähneln. Enteignungen, Kollektivstrafen, Schlägertrupps, Ghettos, Pogrome, Rassengesetze und andere zentrale Merkmale des Nazistaats gab und gibt es in Israel. Das Quasi-Vergleichsverbot ermöglicht es Deutschland, sich mit diesem Staat zu solidarisieren und ihm zu allem Überfluss Waffen zu liefern. Auf der anderen Seite werden Kritiker, die diese offensichtlichen und drastischer werdenden Parallelen ansprechen, geächtet. Man etikettiert sie als einseitig, als Antisemiten, Rechte, Querfront, Fanatiker, Terroristen, Verschwörungstheoretiker und dergleichen mehr und untergräbt damit die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit und die Freiheit des Gewissens nachhaltig, also das Rückgrat unserer Demokratie.
 
Über die Jahrzehnte hat dies zu einem Macht-Muster geführt, denn es erfordert Macht, um einer Demokratie das Rückgrat zu brechen. Nun könnte man sagen: Na ja, es geht doch nur um Palästinenser, Muslime und Araber, die braucht doch sowieso keiner! Aber auch das ist zu kurz gegriffen: Wer die Muster erkannt hat, kann sie in jeder beliebigen Gruppe zu den unterschiedlichsten Zwecken anwenden, lernen wir doch von Kindheit an, dass Macht stärker ist als Argumente und dass man Opfer für die Taten von Tätern bestrafen kann. Anders ist unerklärlich, dass wir solche Politiker wählen und gewähren lassen, ja bewundern, die sich im nihilistischen Dschungel mit pfiffigen Tricks durchsetzen konnten. Schwache Gemüter versuchen, sich dieser Macht anzubiedern, sei es in der Familie, im Berufsleben, in der Öffentlichkeit oder in Freizeitgruppen, und auch das liebe Geld fließt wesentlich besser, wenn man nicht durch Fragen und Kritik auffällig wird.
 
Was die Israelkritik angeht, so bleiben die Kriegsverbrecher regelmäßig unbehelligt, während Kritiker zunehmend Probleme bekommen und aufgrund erfolgreicher Einschüchterungen kaum Solidarität erfahren. Da hält man sich lieber raus. Man hat wohl seine Meinung und schimpft auch gern, aber man kann ja sowieso nichts ändern. Wen dieses Verhalten an die Nazizeit erinnert, der hat wohl immer noch nicht verstanden, dass die Nazis Außerirdische waren, die man mit Amuletten und Bekenntnissen fernhalten kann. (PK)
 
(1) http://ijsn.net/gaza/survivors-and-descendants-letter/
 
Anis Hamadeh, Jahrgang 1966, ist deutscher Islamwissenschaftler, Musiker, Schriftsteller und Zeichner. Sein Online-Buch “Palästina-Anthologie” erschien 2012: http://www.anis-online.de/1/_p/pal_ant_d.pdf


Online-Flyer Nr. 487  vom 03.12.2014

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