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Kommentar
Der Mythos von der Überbevölkerung
Zu ungleich, nicht zuviel
Von Harald Schauff

Schon jetzt krabbeln über 7 Milliarden Menschen auf dem Globus herum. Bald werden es 8 sein, bis Mitte des Jahrhunderts gar über 9. Der Eindruck verfestigt sich: Das Bevölkerungswachstum kennt kein Halten mehr. Bald treten wir uns gegenseitig auf die Füße, bekriegen uns um Wasser, Nahrung, Energie und Rohstoffe, rauben uns gegenseitig die Luft zum Atmen. Apokalyptische Szenarien tun sich auf. Ist die rasant wachsende Menschheit noch zu retten?

Aus dem Film "Population Boom" von Filmregisseur und Autor Werner Boote
Quelle: http://www.wdr5.de
  
Überfüllte Bürgersteige und U-Bahnen in Ballungszentren scheinen die Überbevölkerungsthese zu stützen. Mega-Metropolen wie Manila und Mumbai mit Slums an den Rändern erst recht. Millionen und Abermillionen Bewohner quetschen sich auf engstem Raum. Bilder davon schweben sicherlich auch Helmut Schmidt vor Augen, wenn das kettenrauchende Alt-Kanzler-Orakel, umnebelt vom blauen Dunst seiner Visionen, die Überbevölkerung zum Hauptproblem unserer Epoche erklärt. Zur Freude von Bellizisten (Kriegsliebhabern) durfte die These früher gar zur Rechtfertigung von Kriegen herhalten. Diese seien nötig, um die Bevölkerungszahl auf ein gesundes Maß zu schrumpfen.
 
7 Milliarden, das ist schon eine Menge Mensch. Allerdings ist diese rund um den Globus recht ungleich verteilt. Überfüllten Ballungszentren stehen praktisch menschenleere Zonen in solch ausgedehnten Gebieten wie Sibirien oder der Sahara gegenüber. Das Problem scheint, wenn überhaupt, eher auf lokaler bzw. regionaler denn auf globaler Ebene zu bestehen. Der 1965 in Wien geborene Filmregisseur und Autor Werner Boote hat vier Jahre zum Thema "Überbevölkerung" recherchiert. Sein Film "Population Boom" lief im April in den Kinos. Kurz davor gab er dem SPIEGEL (13/ 2014) ein Interview. Darin sagt er klar: "Überbevölkerung ist ein Märchen. Wer von uns ist denn zuviel? Die Afrikaner? Die Chinesen?"
 
Deutschlands Bevölkerungsdichte sei fast doppelt so hoch wie diejenige Chinas. Es sei wie im Stau. Immer seien die anderen zuviel.
Wie wahr. Man vergisst leicht, dass China nicht nur viele Menschen hat, sondern auch flächenmäßig eines der größten Länder der Welt ist.
 
Boote verweist auf die 70er Jahre, als man das Horrorszenario eines endlosen Bevölkerungswachstums ausmalte. Dies habe sich als falsch erwiesen. Selbst der Club of Rome, der seinerzeit davor warnte, der Mensch würde sich ausbreiten wie ein Krebsgeschwür, rudere inzwischen zurück und nehme ein Ende des Bevölkerungswachstums an. Zwar würde die Erdbevölkerung nach der jüngsten Uno-Prognose bis 2050 auf 9,6 Mrd. Menschen anwachsen. Doch danach sinke die Zahl wieder. Die Geburtenziffern seien rückläufig. China würde gegenwärtig seine 1-Kind-Politik lockern, weil man in Zukunft zu wenig junge Menschen habe. Die Gesellschaft werde "hochaltrig".
 
Der Hunger von weltweit über 800 Millionen Menschen ist aus Bootes Sicht keine Folge der Überbevölkerung, sondern eine der "falschen Verteilung". 1,5 Mrd. Menschen seien übergewichtig. Als Ursache des Hungers macht er Armut und Ungerechtigkeit aus, nicht die Überzahl an Menschen.
 
Das Boot ist also nicht "voll" geschweige denn überfüllt, wie so oft behauptet. Es ist lediglich voller geworden. Seine zunehmende Schlagseite rührt nicht von der Zunahme der Passagiere her, sondern von einer zunehmenden sozialen Schieflage. Genau davon soll die Mär von der "Überbevölkerung" ablenken. (PK)
 
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung Querkopf und hat diesen Beitrag in deren aktueller Nummer 200 veröffentlicht.


Online-Flyer Nr. 475  vom 10.09.2014

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