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Globales
Eins der aufklärenden Kapitel aus dem Buch "DER STILLE PUTSCH"
Der Fall Griechenland und Mario Draghi
Von Jürgen Roth

In der letzten NRhZ-Ausgabe hatte Harry Popow eine Rezension des lesenswerten Buches von Jürgen Roth "DER STILLE PUTSCH – Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt" veröffentlicht. Hier nun als Ergänzung aus dem Teil "Die Akteure" das Kapitel "Der Fall Griechenland und Mario Draghi"

Mario Draghi
NRhZ-Archiv
 
Und dann gibt es ja noch den Fall Griechenland. Wieder fallen dabei zwei Namen: das US-Unternehmen Goldman Sachs und der Italiener Mario Draghi. Ein kurzer Rückblick obwohl das Meiste ja bekannt ist. Im Jahr 2001 stand – wie in Italien – auch der Beitritt Griechenland zum Euro zur Debatte. Doch Griechenland wies ein extrem hohes Staatsdefizit auf. Daher beauftragte die griechische Regierung die Investmentbank Goldman Sachs das Problem zu lösen. Die Investmentbanker boten den Griechen eine Euro-Finanzierung in Höhe von 2,8 Milliarden an. Diese würde es der griechischen Regierung ermöglichen, die Maastricht-Kriterien der Europäischen Union zu erfüllen: Die Schulden wurden kurzerhand aus dem Haushalt herausgerechnet. Goldman strukturierte den Deal mit den Griechen nämlich nicht einfach als normalen Kredit mit normalen Zinsen, sondern in Form eines komplizierten Derivate-Swaps.
 
Heute sagen die griechischen Politiker, sie hätten überhaupt nicht verstanden, worum es bei diesen Derivate-Swaps ging. Sie beklagten, dass Goldman auf einer Geheimhaltungsklausel bestanden habe. Daher sei es ihnen nicht möglich gewesen, sich am Markt zu erkundigen, um welche Art von Geschäft es sich gehandelt habe. Der Chef der staatlichen griechischen Schuldenagentur, Spyros Papanicolaou, sagte dem Nachrichtendienst Bloomberg, dass Goldman Sachs den Griechen gedroht hätte: „Wenn ihr irgendjemand von den Konditionen erzählt, ist der Deal abgeblasen.“ Die Folge für Griechenland: Aus einem Kredit von 2,8 Milliarden Euro war – dank der fachkundigen Beratung durch Goldman Sachs – ein doppelt so hoher Schuldenberg geworden: Nun standen die Griechen durch die Derivate mit 5,1 Milliarden Euro in der Kreide. Goldman Sachs hingegen machte bei dem Deal einen Profit von 600 Millionen Euro, das entsprach zwölf Prozent des Umsatzes für die Londoner Abteilung der Investmentbank.
 
Als Vize-Präsident von Goldmann Sachs mitverantwortlich
 
Mario Draghi war damals Vize-Präsident von Goldmann Sachs International in London und genau für diese Art der Geschäfte, auch für Verhandlungen mit der Regierung mitverantwortlich gewesen, so die offizielle Stellenbeschreibung. Er jedoch erklärte, dass er nur für Investment-Banking mit privaten Unternehmen zuständig gewesen sei und nicht für die Kontakte zu Regierungen. Mit dem Griechenland-Deal habe er nichts zu tun. "Mario Draghi hatte nichts mit den fraglichen Geschäften zu tun", erklärte auch gegenüber den Medien eine Sprecherin der EZB, nachdem die Verstrickung von Goldmann Sachs in diesen Deal ans Tageslicht kam. Demgegenüber berichtete die New York Times, dass "Herr Draghi ähnliche Initiativen mit anderen europäischen Regierungen besprochen habe." Für ein Arbeitspapier des National Bureau of Economic Research über Transparency, Risk Management and International Financial Fragility war er Co-Autor. Im Jahr 2002 schrieben die Autoren, da war er bereits bei Goldmann Sachs tätig, dass „Regierungen für den Einsatz von Derivaten zur Stabilisierung der Steuereinnahmen gewonnen werden sollen“. In der New York Times wird zudem ein Verantwortlicher von Goldman Sachs zitiert, wonach Mario Draghi „ähnliche Initiativen wie in Griechenland mit anderen Regierungen diskutiert habe.  
 
Trotzdem zum EZB-Präsidenten gewählt
 
Am 14. Juni 2011 erklärte der künftige EZB-Präsident Draghi in einer Anhörung vor dem Europäischen Parlament in Brüssel seine geldpolitischen Ziele. Unter anderem machte er sich für Kürzungen der öffentlichen Ausgaben statt Steuererhöhungen stark und lehnte eine Finanztransaktionssteuer ab. Dann stellte ihm Pascal Canfin, der französische Abgeordnete der Partei Europe Ècologie, die Frage nach seiner Verantwortung bei Goldmann Sachs für den Griechenland-Skandal. Seine Antwort: „Der Deal zwischen Goldman Sachs und Griechenland wurde vor meiner Berufung abgeschlossen. Ich hatte nichts mit Regierungen und dem öffentlichen Sektor zu tun, tatsächlich arbeitete ich im privaten Sektor. Und obwohl Goldman Sachs von mir erwartete, dass ich im öffentliche Sektor arbeite, habe ich ihnen gesagt, dass ich daran kein Interesse habe.“
 
Diese Darstellung konnte einige Parlamentarier nicht überzeugen. Deshalb erklärte einen Tag später der Abgeordnete Pascal Canfin: “Ich habe ein Problem mit seiner Kandidatur. Die von ihm vorgebrachten Argumente haben uns nicht überzeugt. Wenn der Präsident der EZB erklärt, eine Umschuldung Griechenlands sei nicht möglich, weil diese ein finanzielles Risiko für US-Banken berge, so ist das nicht akzeptabel. Er hatte gestern die Gelegenheit, seine Rolle bei Goldman Sachs unmissverständlich zu erläutern. Er sagt, er sei nicht an dem Geschäft beteiligt gewesen, das Griechenland ermöglicht hat, das Ausmaß seiner Schulden zu verschleiern. Aber ein Statement von Goldman Sachs besagt das Gegenteil.“ Trotzdem sprach sich am 23. Juni die Mehrheit der Europa-Abgeordneten für den Kandidaten aus.
 
Auch Italien konnte sein Haushaltsdefizit schönen
 
Übrigens gibt es einen ähnlichen Fall wie den in Griechenland. Und wieder spielen dabei ziemlich undurchsichtige Derivategeschäfte eine Rolle. Denn wie in Griechenland schönte Italien sein Haushaltsdefizit, um dem Märchenland Euro beizutreten. Laut einem Bericht der Financial Times könnte Italien mehrere Milliarden Euro aus Derivategeschäfte verlieren, die das Land abgeschlossen hatte, um die Staatsverschuldung auf unter drei Prozent zu drücken und sich für die Euro-Zone zu qualifizieren. Die Verhandlungen führte nach Angaben der Financial Times Mario Draghi. Ob und inwiefern er in die Entscheidungen über die umstrittenen Derivate-Geschäfte eingebunden gewesen war, wollte ein EZB-Sprecher gegenüber der Financial Times nicht kommentieren.
 
Sein Sohn Giacomo ist übrigens in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Er arbeitet seit 2003 höchst erfolgreich in London für den US-Finanzdienstleister Morgan Stanley und handelte bereits mit Staatsanleihen, lange bevor sein Vater EZB-Präsident wurde. Der Finanzkonzern geriet in die Schlagzeilen, weil er im Spätherbst 2011 zu den ersten gehörte, die die überraschende Zinssenkung der EZB am 3. November 2011 vorhersagten, zwei Tage nachdem Mario Draghi als EZB-Chef die Zinssenkung verkündete. Einen Interessenkonflikt konnte niemand erkennen. Das Wissen über die Zinssenkung hatte Finanzinstitutionen wie Goldman Sachs und Morgan Stanley sicher nicht in die Verlustzone gebracht. Allein Morgan Stanley soll mit der Spekulation auf die Zinssenkung Hunderte Millionen Dollar Gewinn generiert haben. 
Ein kalter Technokrat des internationalen Finanzkapitals
 
Fazit: Der Italiener Mario Draghi ist nicht unbedingt der Mann der im Interesse aller europäischen Bürger tätig war und ist. Er war seit Beginn seiner politischen Karriere in Italien in den neunziger Jahren ein kalter Technokrat des internationalen Finanzkapitals. Er kann überhaupt nicht anders, weil er, willentlich oder nicht, integraler Bestandteil der gesellschaftlichen und sozialen Kultur der korrupten italienischen Geldelite war.
Die Karten sind gemischt – Veränderungen nicht zu erwarten. Korruption ist in Italien ein Markt geworden, in dem es wie in jedem funktionierenden Markt interne Regeln und einen Verhaltenskodex gibt, es ist ein regulierter Markt in dem das Gesetz von Angebot und Nachfrage herrscht. Heute haben sich in Italien, so sagte es Antonio Di Pietro, der als Staatsanwalt die Anti-Korruptions-Aktion Mani Pulite leitete, „die verschiedenen Realitäten – die Finanzwelt, die Politik und die Mafia - einander genähert. Sie überlappen sich heute mehr als je zuvor. Die Reibungsflächen wurden fein geschliffen und in Samt gehüllt.“ (PK)
 
 
Jürgen Roth, Der stille Putsch. Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt. Gebundene Ausgabe: 320 Seiten. Verlag: Heyne Verlag (24. März 2014). Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3453200276, ISBN-13: 978-3453200272. 19,99 Euro 


Online-Flyer Nr. 464  vom 25.06.2014

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