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Kommentar
Bundeswehrverband fordert Staatsvertrag für „Schlagkräftige Bundeswehr 2020“
Keine Angst vor Uniformen?
Von Jürgen Rose

Ein stummer Kaufmann ist wie ein zahnloser Löwe, lautet eine alte Weisheit der Werbebranche. In diesem Sinne muß man dem Deutschen BundeswehrVerband (DBwV) konzedieren: Laut gebrüllt Löwe! In ihrem brandaktuellen Papier, das mit dem Titel „Tiefenagenda Bundeswehr 2020“ versehen ist, legt die Quasi-Gewerkschaft der Bundeswehrangehörigen mit und ohne Uniform einen extensiven Forderungskatalog all dessen vor, was ihrer Auffassung nach notwendig erscheint, um die Attraktivität der Streitkräfte und deren Akzeptanz in der breiten Öffentlichkeit durchschlagend und nachhaltig zu verbessern.


Bundeswehr – soll attraktiver werden
 NRhZ-Archiv
  
Den Hintergrund hierfür bildet einerseits die „Transformation“ der Bundeswehr zu einer Freiwilligenarmee, andererseits das jüngst auf dem Forum der Münchner (Un-)Sicherheitskonferenz von Gauck, Steinmeyer und von der Leyen abgelegte „Bekenntnis“ zu verstärkter deutscher „Verantwortung“ mit „schlagkräftigen“ militärischen Mitteln weltweit. Kongenial konstatiert der Interessenverband der deutschen SoldatInnen, daß „gerade nach der Aussetzung der Wehrpflicht die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft erhalten und vertieft werden muss“, weil die dadurch „weniger gewordenen Berührungspunkte zwischen Bundeswehr und Gesellschaft vermehrt zu Unverständnis und Unkenntnis über die Soldatinnen und Soldaten als »Staatsbürger in Uniform« führen.“
 
Neben umfassenden, ja nachgerade ausufernden finanziellen und sozialpolitischen Verbesserungsmaßnahmen drängt der DBwV deshalb nachdrücklich darauf, daß die Bundesregierung, die Bundesländer und alle Teile der deutschen Gesellschaft unter dem Rubrum „Keine Angst vor Uniformen!“ einen Staatsvertrag abschließen, um die Soldatinnen und Soldaten im öffentlichen Leben präsent zu halten. Als Ziel des ganzen wird deklariert, „die Streitkräfte in der Demokratie, ihre sicherheitspolitischen Grundlagen und ihre Rolle in der Mitte der Gesellschaft erklären“ zu wollen.
 
Derlei militär- und sozialpolitischer Aktionismus – so legitim er prinzipiell für einen gewerkschaftsähnlichen Lobbyverband auch erscheinen mag – muß selbstredend in einer Gesellschaft, die in ihrer überwältigenden Mehrheit von Konfliktregelung mit militärischen Gewaltmitteln wenig bis gar nichts hält, und demgegenüber ganz eindeutig zivile und gewaltfreie Lösungswege präferiert, auf ganz erhebliche Vorbehalte stoßen. Diese betreffen angesichts vielfältiger sozialpolitischer Defizite auf weiten Feldern hierzulande erstens die Verteilung stets knapper finanzieller Ressourcen – unter diesem Aspekt kann es unter gar keinen Umständen angehen, einen nach wie vor erheblich überdimensionierten Militärapparat wie die Bundeswehr üppigst zu alimentieren. Der zweite, vielleicht noch wichtigere Einwand betrifft die mit dem in vorliegender Form die Debatte gebrachten Staatsvertrag zwangsläufig verbundene und weiter vorangetriebene Militarisierung der Gesellschaft. Zu platt stellt sich die schlichte Forderung nach mehr Akzeptanz und Anteilnahme für die SoldatInnen dar. Was demgegenüber tatsächlich erforderlich wäre, ist der offene, demokratische Diskurs über den Auftrag und die Rolle der Bundeswehr. Insofern würde es von einer zutiefst undemokratischen Haltung zeugen, die Diskussion mit Soldaten grundsätzlich zu verweigern, denn wie hatte schon der große englische Liberale John Stuart Mill in seinem Traktat „Über die Freiheit“ völlig zutreffend konstatiert: „Jedes Unterbinden einer Erörterung ist die Anmaßung von Unfehlbarkeit.“ In diesem Sinne wäre zu postulieren: Rein mit den SoldatInnen in die Gesellschaft – nichts kann mehr zur Entmystifizierung des Militärs und zur Demilitarisierung des Denkens beitragen.
 
Wenn nun aber die Bundeswehr und ihr Interessenverband durchaus zu Recht die offene, demokratische Debatte über die deutsche Sicherheitspolitik und die Streitkräfte einfordern, dann muß dieses Postulat freilich vice versa auch für letztere selbst gelten. Ein so einseitiger Staatsvertrag, wie ihn der DBwV vorschlägt, wird diesem Gebot nicht im mindesten gerecht. Wenn überhaupt, dann muß ein Staats- und Gesellschaftsvertrag auf Gegenseitigkeit geschlossen werden. Das aber bedeutet zwingend: Nicht nur SoldatInnen in die Öffentlichkeit oder Jugendoffiziere in die Schulen, sondern auch Mitglieder des „kritischen Forums für Staatsbürger in Uniform“, besser bekannt als „Darmstädter Signal“, und Vertreter der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner) hinein in die Kasernen! Denn wie hatte der zuvor genannte John Stuart Mill gemahnt: „Alle Versuche des Staates, den Entschlüssen seiner Bürger über strittige Fragen eine einseitige Richtung zu geben, sind von Übel.“
 
Was das angeht, hat die Bundeswehr Nachholbedarf, und zwar erheblichen. Denn als sich 1983 im „Darmstädter Signal“ Bundeswehrsoldaten zusammenfanden und argumentationsstark die nukleare Abschreckungspolitik der NATO kritisierten, erließ Verteidigungsminister Manfred Wörner prompt einen Ukas, der seinen Jugendoffizieren verbot, öffentlich auf Podien mit Offizieren des „Darmstädter Signals“ zu diskutieren. Und bis zum heutigen Tag verweigert die Bundeswehr die kontroverse Debatte, hat es keine einzige derartige Diskussionsrunde im Rahmen der politischen Bildung in einer Bundeswehrkaserne gegeben. Die Angst, im Falle des Falles doch nur über die schlechteren Argumente zu verfügen, scheint sehr ausgeprägt in den Reihen unserer sich sonst so tapfer gerierenden Vaterlandsverteidiger. So ganz traut die Bundeswehrführung ihren fleckgetarnten Pappenheimern offenbar mitnichten.
 
Warum also nicht eine diskursive Zweibahnstraße bauen, soll heißen: Die Bundeswehr macht ihre Kasernentore auf und die Zivilgesellschaft läßt sich auf den Dialog mit den „StaatsbürgerInnen in Uniform“ ein – und dann wird diskutiert, offen, heftig, kontrovers, im besten Sinne demokratischer Streitkultur. (PK)
 
Jürgen Rose war Oberstleutnant der Bundeswehr und ist Mitglied im Vorstand des „Darmstädter Signals“, dem Forum für kritische StaatsbürgerInnen in Uniform.


Online-Flyer Nr. 461  vom 04.06.2014

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