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Globales
Brzezinski im US-Sender CNN: Die Krim gehörte seit Jahrhunderten zu Russland
Ist Putin an allem schuld?
Von Roman Berger

Im Westen wird Russland an den Pranger gestellt. Es gibt aber auch prominente westliche Stimmen, die selbstkritische Fragen stellen: „…wie wenn Russland versuchen würde, Mexiko oder Kanada dem Einflussbereich der USA zu entziehen“. Mit diesem Vergleich versucht der bekannte amerikanische Russland-Experte Gordon M. Hahn, dem US-Publikum die Ukraine-Krise aus russischer Sicht zu erklären. Natürlich hinkt der Vergleich. Russland ist im Gegensatz zu den USA keine Supermacht mehr und hat nicht mehr die Möglichkeit, Macht und Einfluss in der ganzen Welt auszuüben.
 
Dennoch erhebt der Nachfolgestaat der Sowjetunion als Regionalmacht weiterhin einen Anspruch auf eine „russische Einflusszone“ in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Russland ist mit diesen Ländern geschichtlich, kulturell und wirtschaftlich eng verbunden. Millionen von Russen leben in den ehemaligen Sowjetrepubliken, die Moskau als „nahes Ausland“ bezeichnet. Gerade diese neuen Staaten versuchen die USA, verstärkt unter ihren Einfluss zu bringen.
 
Kein zweites Georgien
 
Am heftigsten umkämpft sind die geopolitisch exponierten Staaten Ukraine und Georgien. Im Westen glaubt man, wie Russland 2008 in Georgien militärisch interveniert habe, genauso werde Moskau nun auch auf die Krise in der Ukraine reagieren. Ein Rückblick auf Russlands Politik gegenüber Georgien zeigt aber eine andere Faktenlage. Ob Moskau damals den Krieg mit Georgien wirklich wollte, ist fraglich. Das zeigte ein Bericht der Schweizer Diplomatin und Kaukasusexpertin Heidi Tagliavini im Auftrag der EU.
 
Unbestritten ist jedoch, dass der damalige georgische Präsident Michail Saakaschwili - von den USA unterstützt - den Konflikt mit Moskau suchte. Saakaschwili glaubte, so könne er eine Intervention der NATO im Südkaukasus provozieren und auf diesem Weg Georgien sowie die weiteren mögliche Aufnahme-Kandidaten Ukraine und Moldawien in die NATO hineinmanövrieren. Saakaschwilis Strategie endete mit einer Niederlage. Moskau hingegen intervenierte in einem potentiellen NATO-Mitglied, ohne dass die NATO reagieren konnte.
 
Viele Zugeständnisse – keine Gegenleistung
 
Für Putin war der fünftägige Blitzkrieg auch ein Blitzableiter. Ein Jahr zuvor hatte der Kremlchef an der Sicherheitskonferenz in München die dort versammelten Politiker, Verteidigungsminister und Militärexperten erzürnt daran erinnert, wie viele Zugeständnisse Russland seit dem Ende des Kalten Kriege gegenüber dem Westen gemacht hatte: Auflösung des Warschaupaktes, Rückzug der sowjetischen Truppen, Zustimmung zu einem geeinten Deutschland, das in die NATO aufgenommen wurde. Als Gegenleistung werde die NATO „keinen Zentimeter“ weiter nach Osten vorrücken, das sei damals Moskau versprochen worden. Weniger als zehn Jahre nach der Auflösung des Warschaupaktes begann die NATO, ehemalige Satellitenstaaten der Sowjetunion als Mitglieder aufzunehmen.
 
Von Europa ausgegrenzt
 
In seinen Memoiren schreibt Michail Gorbatschow: „Washington dachte damals, dass es uns als Konkurrenten nicht mehr gibt und dass es sich alles leisten kann. Die USA waren darauf aus, ein neues Imperium zu errichten.“ In Russland fühlten sich vor allem prowestlich eingestellte demokratische Kräfte betrogen. Sie hatten Angst, jetzt werde ein neuer „Cordon sanitaire“ aufgebaut mit dem Ziel, Russland für immer abzuhängen und aus Europa auszugrenzen.
 
2008, als der damalige ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko sein Land in die NATO führen wollte, warnte der frühere russische Ministerpräsident Jegor Gaidar den Westen: „Wer die Ukraine in der NATO sehen will, übersieht, dass Russland damit im Ernstfall nicht mehr verteidigungsfähig ist“. Man solle, so der Rat des liberalen Reformers ein Jahr vor seinem Tod, davon lieber die Finger lassen.
 
Die Krim durch den Ukrainer Chruschtschow 1954 an die Ukraine gefallen
 
Die Krise um die Ukraine hat sich inzwischen auf die Halbinsel Krim verlagert, wo die Solidarität mit den prorussischen Kräften am größten, der Widerstand gegen die neuen Machthaber in Kiew am stärksten ist. Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet der ehemalige amerikanische Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski in einem Gespräch mit dem amerikanischen Fernsehsender CNN daran erinnert, dass die Krim seit Jahrhunderten zu Russland gehörte. In seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ (2003) hatte er die These vertreten, nur wenn es dem Westen gelinge, die Ukraine auf seine Seite zu ziehen, könne er verhindern, dass Russland wieder als neues Imperium auferstehe.
 
Jetzt gibt sich der Geopolitiker weniger ideologisch. Er hält fest, die Krim sei nur durch einen Willkürentscheid des Ukrainers Chruschtschow 1954 an die Ukraine gefallen. Brzezinski sieht folgendes Szenario: „Die Krim trennt sich von Kiew und verbündet sich mit Moskau. Die neue ukrainische Regierung kann nicht viel dagegen tun.“
 
Warum Washington vorsichtig reagiert
 
Brzezinski erklärt auch, warum Washington so vorsichtig reagiere. Russland liefert durch die Ukraine Gas zu den westlichen Märkten und unterstützt das Nachbarland gleichzeitig mit einem massiv reduzierten Gaspreis. Ein Wegfall dieser Subvention hätte den Kollaps der ukrainischen Wirtschaft zur Folge, was nicht im Interesse des Westens wäre.
 
Mit unbequemen Fakten konfrontiert auch Nikolas K. Gvosdev den Westen. Der Professor für Nationale Sicherheit am „US Naval War College“ erinnert, dass nach dem knappen Wahlsieg von Janukowitsch im Februar 2010 die Ukraine endgültig darauf verzichtete, in die NATO aufgenommen zu werden. Kiew verlängerte auch den Mietvertrag mit der russischen Schwarzmeer Flotte bis 2042.
 
Auf Zusammenarbeit mit Moskau angewiesen
 
Diese Konzessionen Richtung Moskau brachten die Ukraine aus der Schusslinie und entschärften die russisch-amerikanischen Beziehungen. Dies verstärkte die Bereitschaft Moskaus, in anderen Konfliktzonen der Welt (Iran, Afghanistan, Naher Osten) mit dem Westen zusammenzuarbeiten. Gvosdev hofft, dass es der neuen Regierung in Kiew gelinge, so rasch als möglich wieder eine „Balance zwischen Ost und West herzustellen“. Sonst könnte die Regierung Obama den Sturz von Janukowitsch bald einmal bereuen “ (The National Interest, 28.Februar 2014)
 
Die NATO-Osterweiterung bis an Russlands Grenzen (Baltische Staaten) hat den 2012 erneut zum Präsidenten gewählten Putin bestärkt, sein Projekt einer Eurasischen Wirtschaftsunion wieder aufzunehmen, das die ehemaligen Sowjetrepubliken in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zusammenführen soll. Putin wollte die Ukraine in dieser Union haben. Die ukrainischen Oligarchen, die Janukowitsch unterstützten und seine Partei finanzierten, waren aber von „Putins EU“ nie begeistert. Sie wollten zwar den Export-Markt in Russland behalten und weiterhin von Russlands günstigen Energiepreisen profitieren. Gleichzeitig hatten sie aber Angst, sie könnten unter Putins Aufsicht - wie die russischen Oligarchen - ihren politischen Einfluss verlieren.
 
Die eurasische Union existiert erst auf dem Papier und ihr Start ist für den Januar 2015 vorgesehen. Die eurasische Idee ist ursprünglich eine Ideologie, die 2001 vom rechtsnationalistischen Politologen Alexander Dugin lanciert wurde.
 
Konflikt mit dem Westen – nicht in Putins Interesse
 
Eurasien hat unter den Hardlinern im Kreml zweifellos seine Anhänger. In Putins Umkreis gibt es aber auch Pragmatiker, die ihn mit harten Fakten konfrontieren. Russland braucht für die Modernisierung seiner maroden Industrie und Infrastruktur dringend Investitionen und Technologie. Die kommen aber nicht aus „Eurasien“ sondern aus dem Westen. Putins Achillesverse ist die Wirtschaft und Putin will 2018 wieder gewählt werden. Ein Konflikt mit der Ukraine und dem Westen ist nicht in Putins Interesse. (PK)
 
Diesen Beitrag haben wir mit Dank aus dem Schweizer Journal 21 übernommen. Roman Berger war Korrespondent des Tages Anzeiger in Washington (1976-82) und Moskau (1991 - 2001). Oft auf Reisen in Lateinamerika und mit Fragen des Journalismus beschäftigt. Er ist Autor des Buches "Russland hinter den Schlagzeilen" (2001)
roman.berger@journal21.ch
 


Online-Flyer Nr. 449  vom 12.03.2014

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