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Krieg und Frieden
Dieselmotor für die Kriegsflotte oder für eine solidarische Gesellschaft?
Rüstungsgegner Rudolf Diesel
Von Dietrich Schulze

Rudolf Diesel, geboren am 18. März 1858 in Paris, gestorben am 29. September 1913, ist weltweit als genialer Ingenieur und Erfinder eines bahnbrechenden neuen Motors bekannt, der auch einem Kraftstoff den Namen gegeben hat. Seine persönliche Haltung zu Rüstung, Krieg und Allgemeinwohl ist aber weitgehend unbekannt. Damit hat dankenswerter Weise der TV-Sender Phoenix am 6./7. Februar 2014 mit dem Film von Christian Heynen „Auf den Spuren genialer Forscher und Erfinder - Das Diesel-Rätsel“ aufgeräumt.
 

Briefmarke zum 100. Geburtstag von Rudolf Diesel
Quelle: wikipedia
Im Internet-Antext [1] zum Film heißt es: »"Das Diesel-Rätsel" gibt Einblick in die Erfindung des Diesel-motors Ende des 19. Jahrhunderts und lässt das bewegende Schicksal von Rudolf Diesel lebendig werden. Nach seinem Aufstieg aus unteren gesell-schaftlichen Verhält-nissen und seinen ersten Erfolgen feindeten Konkurrenten und Wissen-schaftler Diesel und seine Erfindung an.«
 
Als friedensbewegter Ingenieur muss ich gestehen, dass dies einer der beeindruckendsten Dokumentar-Filme ist, die ich gesehen habe. Seit dem Beginn meiner wissenschaftlichen Tätigkeit vor fast fünfzig Jahren haben mich Persönlichkeiten in den Bann gezogen, die die Ergebnisse ihrer Arbeit für vernünftige Zwecke eingesetzt wissen wollten, d.h. nicht für Rüstung und Krieg. Es ist mir bisher völlig unbekannt gewesen, dass Rudolf Diesel genau eine solche großartige Persönlichkeit gewesen ist. Am einfachsten ist es, sich den Film im Podcast [2] anzuschauen.
 
Nachfolgend wichtige Gedanken des Filmautors - möglichst wortgetreu zusammengefasst - und einige Überlegungen dazu im Jahre 100 nach Beginn des 1. Weltkriegs. Kaiser Wilhelm II., seine Generalität und die Wirtschaftsgrößen planten in dieser Zeit ein gigantisches Flottenprogramm mit dem Ziel, die deutschen Großmachtpläne zur See umzusetzen. Die Marine versprach sich von dem bahnbrechenden neuen Motor vor allem eine größere Reichweite der Kriegsschiffe.
 
Und jetzt kommt das total Überraschende. Diesel ließ die Marine wissen, dass sein Motor nicht für kriegerische Zwecke zur Verfügung steht. Seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen hatte er in einem Buch mit dem Titel "Solidarismus“ niedergelegt. Der Filmautor kommentiert dazu, dass sich Diesel damit für eine antikapitalistische Gesellschaft ausgesprochen habe. Diese Charakterisierung ist aller Ehren wert und entspricht den heutigen Erkenntnissen, war jedoch nicht Diesels Intention. Er wollte nicht den Kapitalismus überwinden, sondern mittels billiger und leistungsfähiger Technik so umgestalten, dass die Welt von Armut befreit wird. Er wollte eine genossenschaftliche Gesellschaftsordnung mit innovativer Technik, in heutiger Sprechweise einen „friedlichen Kapitalismus“. Darin hatten Großmachtpläne und Krieg keinen Platz.
 
Bei der Überfahrt am 29.9.1913 nach England, wo er zum Missfallen des deutschen Militärs eine Motorenfabrik einweihen wollte und sich Hoffnung auf neue geschäftliche Beziehungen machte, starb er. Gegen die Selbstmord-These hat Viktor Glass in seinem biografischen Roman über Diesel „Technik ist mir in die Wiege gelegt“ (Rotbuch-Verlag, 2008) [3] wichtige Argumente zusammengetragen. Kriegswichtiges Wissen sollte unter keinen Umständen ins Ausland gelangen. Rudolf Diesel, ein genialer Ingenieur und selbstloser Erfinder, der die neue Technik nicht für den Krieg, sondern für das Wohl aller eingesetzt wissen wollte.
 
Zum 100. Todestag von Rudolf Diesel veröffentlichte die Rhein-Neckar-Zeitung unter dem Titel „Der Tag, an dem Rudolf Diesel verschwand. Vor 100 Jahren - Rätselhafter Tod eines Motorenpioniers“ [4] einen interessanten Beitrag, aus dem ich die nachfolgenden Passagen zitieren möchte: »Jeder kennt ihn als Erfinder unverwüstlicher Motoren und als Namensgeber einer eigenen Kraftstoffsorte: Rudolf Diesel. Doch so bekannt sein Leben und Werk auch sind, sein Tod bleibt bis heute rätselhaft. Vor 100 Jahren, in der Nacht des 29. September 1913, verschwand er unter mysteriösen Umständen von einer Fähre über den Ärmelkanal. …….. Auch Viktor Glass, Autor des 2008 erschienenen biographischen Romans "Diesel", glaubt, dass der Erfinder wegen des Verkaufs der Dieselmotorentechnik an das Ausland beseitigt wurde. Zudem betont Glass das soziale Engagement des Ingenieurs, das er 1903 in seinem Buch "Solidarismus, eine natürliche wirtschaftliche Erlösung der Menschen" zeigte. Er propagierte seine Vorstellungen einer genossenschaftlichen Gesellschaftsordnung, seine Motoren habe er nicht an kriegslüsterne Militärs ausliefern wollen. ……. Als Auftraggeber für den Mord vermutet Glass den deutschen Kaiser Wilhelm II., der sich durch die Dieseltechnik für den sich bereits abzeichnenden Ersten Weltkrieg einen technischen Vorsprung gegenüber den Kontrahenten versprach und keinen Verkauf der Patente an andere Nationen wünschte.«
 
Wir leben in Zeiten, in denen erneut eine weltmachtpolitische Größe Deutschlands angestrebt wird. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen die dafür notwendige moderne Kriegstechnik für Bundeswehr-, EU- und NATO-Truppen erforschen und erfinden. Als ob nichts gelernt wurde aus der Geschichte, hält Bundespräsident Gauck in der sogenannten „Sicherheits“-Konferenz in München eine kriegspolitische Brandrede. Wissenschaftler halten ihren Beitrag dazu für die selbstverständlichste Sache der Welt, was zum Beispiel in der Bayern-Staatszeitung unter dem Titel „Lukrative Aufträge vom Verteidigungsministerium. Rüstungsforschung an Hochschulen: Warum die Unis kein Problem damit haben.“ nachgelesen werden kann [5].
 
Eine Antwort an Gauck hat die Kooperation für den Frieden verfasst [6]. Die Hoffnung, dass es trotz alledem gelingen möge, das Zivile gegen das Militärische durchzusetzen, dürfen wir uns nicht aus dem Kopf nehmen lassen. Es kann und muss gelingen, alle Strömungen gegen die Militarisierung zu vielfältigen Formen der Kooperation für konkrete Vorhaben zu bringen, mit unternehmerische Geistern wie Rudolf Diesel, Gewerkschaftlern, Studierenden und im Bildungsbereich Tätigen, Friedensbewegten, Pazifisten und Antimilitaristen.
 
Vom Karlsruher Institut für Technologie KIT, in dessen Vorläufer-Forschungszentrum ich ein Leben lang als Wissenschaftler, Gewerkschaftler und Betriebsrat gewirkt habe, würde ich mir wünschen, dass dort eine ähnlich erfinderische Persönlichkeit mit sozialer Verantwortung wie Rudolf Diesel heranwächst und an die Öffentlichkeit tritt. Das braucht eine große innere Kraft. Ein einziges Beispiel jedoch eines begnadeten Wissenschaftlers oder Ingenieurs genügt, um sichtbar zu machen, dass es möglich ist, dem von Rüstungsindustrie, Gauck, Steinmeier, von der Leyen usw. geprägten neukriegerischen Zeitgeist zu widerstehen. Eine solche Persönlichkeit gab es am KIT-Vorläufer Universität Karlsruhe, den Physiker Werner Buckel (* 18.05.1920 in Nördlingen; † 03.02.2003 in Karlsruhe).
 
In der Tagung am 15./16. Juni 2012 „Verantwortung der Wissenschaften für Frieden und Zukunftsfähigkeit" [7] hatte Reiner Braun in seiner Lauda- tio den begnadeten Grundlagen-forscher und praktizierenden Friedenswissenschaftler gewürdigt und dessen Botschaft so zusammengefasst: »Was hat uns Werner Buckel heute zu sagen? Das klare NEIN zur Rüstungsforschung. Militärische Forschung gehört nicht an die Hochschulen. Verzicht auf Forschungsaufträge militärischer Stellen. Keine Zustände wie in den USA, wo in den Hochschulen für reine Grundlagenforschung Geld von Agencies der Army oder der Navy genommen wird. Offenlegung der Mittel von dritter Seite für Forschungsaufgaben der Hochschulen. Keine Arbeiten an den Hochschulen, die geheim gehalten werden müssen. Diese gehören entweder in die Labors der Industrie oder im Fall von militärischer Geheimhaltung jedenfalls nicht in die Hochschulen. …. Werner Buckel ist ein Vorbild für alle Studierenden und WissenschaftlerInnen. Er kann als einer der Väter der Zivilklausel angesehen werden. Der von ihm hier an der Universität Karlsruhe vor 25 Jahren am 27./28. Juni 1987 organisierte Kongress gegen Rüstungsforschung war übrigens das Motiv für Ort- und Terminwahl dieser Tagung. …. Gesellschaftlich engagiert und gute WissenschaftlerInnen zu sein, Werner Buckel hat es vorgemacht. Beides bedingt sich: Verantwortung des Wissenschaftlers und Wissenschaft in Verantwortung.«
 
Einschub aus Gründen der Aktualität zum Zitat: „Keine Zustände wie in den USA, wo in den Hochschulen für reine Grundlagenforschung Geld von Agencies der Army oder der Navy genommen wird.“ Es hat sich gerade herausgestellt, dass jede Menge deutsche Hochschulen von US-Militärs für sogenannte Grundlagenforschung Geld genommen haben [8]. Für ein am KIT noch laufendes derartiges Projekt hat die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten die unverzügliche Beendigung verlangt [9]. Die LINKE Bundestagsfraktion hat diese Forderung sowie die Einführung der Zivilklausel in einem Offenen Brief an das KIT-Präsidium unterstützt [10].
 
Rudolf Diesel kann ein neu entdecktes Vorbild für die Jugend und für alle Friedensbewegten weltweit werden. Gemeinwohlorientierung und Antikriegshaltung gehören zusammen wie das auch von Werner Buckel vorgelebt wurde. Wenn dieser als einer der Väter der Zivilklausel angesehen wird, so gilt das auch für Rudolf Diesel. Möge die Friedensbewegung den Motorenpionier in ihr Herz schließen. (PK)
 
Termine:
Am 21./22. Februar 2014 findet in Köln die 11. Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden "1914-2014: 100 Jahre Krieg - 100 Jahre Pazifismus und Friedensbewegung" statt mit Grässlin, Braun, Buro, Butterwegge und Schädel [11].
 
Am 16.-18. Mai 2014 findet in der Uni Potsdam die Konferenz „100 Jahre 1. Weltkrieg. Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden. Militarismus und Militarisierung von Wissenschaft und Forschung damals und heute“ statt mit Altvater, Ghoshroy, v. Weizsäcker, Scheffran, Tepe und Wette. Veranstalter: NatWiss mit den ASten UP, FU und TU [12].
 
Quellen:
[1] http://www.phoenix.de/content/801166?datum=2014-02-06&rssuid=790811
[2] http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1214258/Das-Diesel-Raetsel#/beitrag/video/1214258/Das-Diesel-Raetsel
[3] http://www.lyrikwelt.de/rezensionen/diesel-r.htm
[4] http://www.rnz.de/rnzmagazin/00_20130929215723_107419371-Der_Tag_an_dem_Rudolf_Diesel_verschwand.html
[5] http://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/politik/detailansicht-politik/artikel/lukrative-auftraege-vom-verteidigungsministerium.html
[6] http://www.koop-frieden.de/fileadmin/Pressemitteilungen/PM_Koop-Frieden_FB_antwortet_Gauck__04.02.2014_.pdf
[7] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20121230.pdf
[8] http://www.ndr.de/geheimer_krieg/geheimerkrieg251.pdf
[9] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19968
[10] http://www.nicole-gohlke.de/index.php/bundestag/fraktion/618-brief-an-kit-praesidium-zivilklausel-jetzt
[11] http://www.koop-frieden.de/sub/strategiekonferenz-2014-in-koeln.html
[12] http://www.natwiss.de/fileadmin/user_upload/Konferenz_Potsdam_Flyer_Stand_140116_web.pdf
 
Über den Autor:
Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe. 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf) und ist heute deren SprecherInnenkreismitglied. Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig.
 


Online-Flyer Nr. 445  vom 12.02.2014

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