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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kommentar
Kommentar vom "Hochblauen"
Der Schlächter von Beirut vor dem höchsten Gericht
Von Evelyn Hecht-Galinski

"de mortuis nil nisi bene", dieser Satz der immer wieder falsch übersetzt und gedeutet wurde, besagt nur, von den Toten nur auf gute Weise zu sprechen. Kann man wirklich in guter Weise von Kriegsverbrechern und Mördern, sprich Massenmördern sprechen? Wenn die Toten böses getan haben, dann muss man vom Bösen ihrer Taten sprechen und darf die Bosheit ihrer Taten weder vergeben, noch vergessen. Das schuldet man in diesem Fall den Opfern von Qibya, Jenin, Sabra, Schatila und vielen anderen Massakern an Palästinensern. Was geht mir durch den Kopf, wenn ich die Würdigung eines Kriegsverbrechers und Schlächters von Sabra und Schatila von Politikern und Nachrufen lese?
 

Karikatur: Carlos Latuff 

Ich denke an die schrecklichen Bilder, die ich mit eigenen Augen im Libanon sah, wo ich diese Lager besuchte. Noch heute vergesse ich nicht die Verzweiflung der Professorin, die über ihre gemetzelten Studenten trauert und deren Gräber pflegt. Andere Opfer liegen verscharrt auf einer Wiese in einem Massengrab und können daher von ihren Angehörigen nicht mehr individuell betrauert werden. Selten habe ich so viel Leid und Elend gesehen wie auf meiner Libanon Reise 2012 - ich berichtete damals darüber. (1) 

Wie ist es möglich, dass eine deutsche Bundeskanzlerin den Kriegsverbrecher, dessen Sarg eigentlich noch nach Den Haag gehört, als einen"israelischen Patrioten, der sich große Verdienste um sein Land erworben hat", würdigt?

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


Wie ist es möglich, dassder neue und alte SPD Außenminister Steinmeier, den Kriegsverbrecher Scharon als einen "unermüdlichen Verteidiger seines geliebten Heimatlandes Israel " würdigt? Übrigens vertrat Steinmeier die Bundesregierung auf dem "Staatsbegräbnis", und eine seiner ersten Reisen hatte ihn direkt nach Israel und in die (besetzten, wird immer vergessen!) Palästinensergebiete geführt!

Wie ist es möglich, dass der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, den Kriegsverbrecher Scharon als "einen Helden seines Volkes" bezeichnete, sehr traurig über dessen Tod war und ihn wegen seines politischen Mutes und seiner Entschlossenheit lobte, die schmerzhafte und historische Entscheidung durchzuziehen, israelische Siedler und Truppen aus dem Gazastreifen herauszuholen"! Was ist das für ein UN-Generalsekretär, der historische Fakten negiert und unkritisch einen toten Kriegsverbrecher lobt. 

 


Scharons Kriegsverbrechen in Sabra sind Ban Ki Moon
nicht bekannt?

Quelle: http://www.palaestinaonline.de

Denn was bezweckte der Siedlungsprovo-kateur Scharon in Wirklichkeit? Er sah die Chancen-losigkeit, den Gazastreifen in eine "Groß-Israel-Siedlung" zu verwandeln. Für ihn war die Verwirklich- ung seines zionist-ischen Traumes im Westjordanland, in Galiläa und im Negev, in den Siedlungsblöcken und in Jerusalem als wichtige Priorität und Instrument der Besiedlung, Besatzung und Unterdrückung optimal gegeben. Damit schwächte er jede palästinensische Position und legte den sogenannten Friedensprozess für immer auf Eis. Was aus diesen Handlungen entstand, sehen wir bis heute. 

Der Gazastreifen blieb in "Isolationshaft", aber alle Kraft konnte er nach diesem Abzug voll auf den Groß-Israel-Gedanken setzen. Scharons Gaza Rückzug war ein unilateraler politischer Bluff, der seinesgleichen sucht! Was für eine Marionette der Weltmächte ist dieser UN-Generalsekretär, ein erbärmlicher Befehlsempfänger und Ausführer der Kolonialmächte! 

Betrachten wir Scharons Lebensweg, der sich so wenig von vielen anderen israelischen Kriegshelden/Verbrechern unterscheidet. Nur der Friedensnobelpreis bekam er nicht verliehen, vielleicht geschieht das ja noch posthum! Sprechen doch internationale Medien und Politiker mit großem Respekt von diesem "Unumstrittenen" und blenden interessanterweise mehrheitlich die Verbrechen von Schatila, Sabra und Qubyia völlig aus, von internationalen Nachrichtenagenturen bis hin zum sonst doch so aufklärerischen Guardian. 

Ariel/Arik ("Löwe Gottes") Scharon (Scheinerman) wurde am 26.Februar 1928 im Moshav Kfar Mal geboren. Schon 1945 trat er der jüdischen Terrororganisation Haganah bei. Sein unrühmlicher Aufstieg setzte sich allzu schnell fort, als Offizier der Alexandroni-Brigaden, die maßgeblich an der Nakba beteiligt waren und heute für ein bis dato unbekannt gewesenes Massaker in einem südlich von Haifa gelegenen Dorf namens Tantura beschuldigt werden. 

 


Ariel Scharon – 1998 als Außenminister

Quelle: Wikimedia, Foto: Jim Wallace

 

Er stieg schnell hoch auf der "Leiter des Bösen", 1951 war er bereits befehlshabender Aufklärungsoffizier in der Nordarmee. 1953 übernahm er das Kommando der berüchtigten Sondereinheit 101. Diese hatte nur ein Ziel, nämlich durch "ausgefallene" Operationen in Palästinensergebieten den "Feind" im Keim zu ersticken, sprich zu ermorden! 

Ein Einsatz dieser Einheit im August 1953 im Flüchtlingslager al-Bureij, im damals von Ägypten besetzten Gazastreifen, endete in einem Desaster. Scharon und seine 15 "Mitkiller" wurden entdeckt, von UNBEWAFFNETEN palästinensischen Flüchtlingen umzingelt. Daraufhin "befreiten" seine Killer sich und Scharon, schossen sich den Weg frei und ermordeten dabei eben einmal 20 Palästinenser, darunter 7 Frauen und 5 Kinder; 22 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. 

Einer der schlimmsten Angriffe dieser Art war das Massaker im Westjordanland, im Dorf Qibya, welches die Ermordung von mehr als 60 palästinensischen Zivilisten, darunter zwei Drittel Frauen und Kinder und die Sprengung von mehr als 40 Häusern zur Folge hatte. Schon damals zeigte sich immer mehr, wie dieser "Löwe" zum erbarmungslosen Killer wurde. 

Durch die Mitgliedschaft in dieser verrufenen Einheit 101, befand er sich direkt im "Auge des Taifuns" und im Zentrum der Macht mit den anderen mächtigen israelischen Kriegsherren wie Moshe Dayan und Ministerpräsident David Ben-Gurion. 

Allerdings kam 1956ein Karriereknick, als er eine Fallschirmjägereinheit in seiner bekannten Bulldozer-Eigenmächtigkeit in eine verlustreiche Sinai-Schlacht am Mitla Pass führte. Danach kam es zum Streit mit dem Generalstabschef Dayan, und er wurde voller Misstrauen behandelt. 

Aber im Jahr 1964, als Yitzhak Rabin(der Knochenbrecher und Friedensnobelpreisträger) Stabschef wurde ging es für Scharon wieder weiter in seiner militärischen Laufbahn. Er wurde Stabschef der Nordarmee, war also im Generalsrang und oberster Ausbildungsoffizier, und konnte so über seine bizarren Ideen wie den Transfer von 300.000 Palästinensern im Falle eines Krieges schwadronieren. Allerdings wurde daraus nichts. 

1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg verdingte Scharon sich als Kommandeur der Südarmee im südlichen Sinai und beaufsichtigte den Bau der sogenannten Bar-Lev-Verteidigungslinie längs des Suezkanals. Auch damals zeichnete er sich durch besondere Brutalität bei der Vertreibung der dort ansässigen Beduinen aus, was sogar vom Generalstabchef Haim Bar-Lev missbilligt wurde. 

Doch als die PLO in Gestalt von Fatah und PFLP den Widerstand in den besetzten Gebieten gegen die Besatzung begann schlug die große Stunde für den "Löwen", er bekam von der Armeeführung grünes Licht, um die "Terroristen" erbarmungslos zu liquidieren, waren doch seine Praktiken und Vorgehensweisen mehr als bekannt und erwünscht. 

1970 wurde er Kommandeur einer neuen Spezialeinheit, der Rimon- (Granatapfel) Brigade. Die sollte mit der als "Araber" verkleideten Zikit- (Chamäleon) Einheit, die im Gazastreifen operierte, zu einer verschmolzen werden. Ziel war, vermutete und gesuchte "Terroristen" zu eliminieren. Im Zuge dieser Aktionen wurden bis 1971 etwa 100 Widerstandskämpfer ermordet und über 700 inhaftiert, damit war der Widerstand im Gazastreifen gebrochen. Die Vorläufer dieser Zikit-Einheiten, waren nebenbei bemerkt die HaSchomer und die Mista`aravanim, die schon früher als Araber verkleidet Operationen durchführten. Nicht umsonst verdiente sich Scharon den Spitznamen "Bulldozer", wälzten sich diese doch unter dem Schutz seiner Brigade durch Flüchtlingslager in Gaza, zerstörten Häuser, vertrieben Palästinenser erneut und deportierten etwa 1600 Palästinenser. Immer als Terrorverdächtige wurden diese Palästinenser nach Jordanien und in den Libanon transferiert. Angehörige deportierte man auf den Sinai. Soviel zur Transferpolitik und Sippenhaft. 

Als Scharon kurzfristig 1973 die Armee verließ, sah er seine Aufgabe in der Führung der neuen Likud Partei. Als aber der Yom Kippur-Krieg gegen Ägypten und Syrien ausbrach kämpfte Scharon wieder in einer Panzerdivision und überquerte in einer Nacht- und Nebel-Aktion den Suezkanal, um das Westufer des Kanals zu besetzen. Nach diesem Alleingang wurde er als Arik (Melech - König Israels) gefeiert, was aber wiederum wegen seines eigenmächtigen Vorgehens vom Oberkommando gar nicht gern gesehen wurde. 

Im Jahr 1973 erfand Scharon auch den ultimativen Plan zur "Endlösung" des Palästinenserproblems, nämlich einen Palästinenserstaat in Jordanien mit der Hauptstadt Amman und dem Transfer der Palästinenser aus dem Westjordanland nach Jordanien. Dieser schändliche Plan, der auch während des Libanon-Angriffs 1982 und bis heute (siehe Prof. Michael Wolffsohn und Geert Wilders aus den Niederlanden) in verschiedenen Gedankenspielen existiert, aber glücklicherweise bis heute nicht in die Tat umgesetzt werden konnte! 

Israelische SiedlerInnen gehen mit Gewalt gegen Palästinenser in Hebron vor NRhZ-Archiv 

Als Scharon erneut zurück in die Politik ging und als Likud-Landwirtschaftsminister begann konnte er sich endlich als Patron der Siedlerbewegung ganz den Besiedlungsträumen im Westjordanland hingeben. 

Als sich 1981 endlich sein größter Wunschtraum erfüllte und er zum Verteidigungs- (Kriegs) Minister avancierte, war er nicht bereit, die 1979 in dem Abkommen zwischen Ägypten und Israel geschlossenen Verträge einzuhalten und die Siedlungen auf dem Sinai zu räumen.

So gründete er zusammen mit dem damaligen Außenminister Yitzhak Shamir die Bewegung "Stoppt den Rückzug". Dadurch fühlten sich 1500 jüdische Siedler bestärkt und wollten die Siedlungen nicht räumen. Sie wurden schließlich durch die israelische Verteidigungsarmee vertrieben. 

Auch die Bitte Ägyptens, die geräumten Siedlungen nicht zu zerstören und das Angebot, dafür Kompensationsleistungen zu bezahlen, wurde von Israel abgelehnt. Man zerstörte so gut wie alle Siedlungen und hinterließ verbrannte Erde, um eine Besiedlung der verlassenen Siedlungen durch Palästinensern zu verhindern. 

1982 konnte Scharon endlich seinen Angriffskrieg in den Libanon starten - mit Phosphor und Schrapnells mit den bekannten Folgen. 

Immer wieder konnte die Hasbara-Maschinerie die blumigen Namen für schmutzige Kriege und Angriffe erfinden, ebenso wie die schlimmen Methoden der IDF immer als sauber dargestellt wurden. Ein Mythos der "Reinheit der Waffen", der bis heute verlogen aufrecht erhalten wird. 

Scharon konnte 1984 als Handels- und Industrieminister und 1990 als Minister für Wohnungs- und Siedlungsbau seine schlimme Politik weiterführen und war endlich in seinem Element des unbändigen Siedlungsbaus und der politischen Hetze gegen die Palästinenser und für die Gusch Emunim (Siedlerbewegung). 

Der Tempelberg in Jerusalem

Quelle: wikimedia 

1996 wurde er unter dem damaligen Regierungschef Netanjahu Minister für Infrastruktur, was ihm extra auf den Leib geschrieben war. 1999 wurde er dann Vorsitzender des Likud. Als er dann am 28. September 2000 provokativ auf dem palästinensisch verwalteten und den Palästinensern gehörenden Tempelberg "herumtrampelte" um den Anspruch Israels auf ganz Jerusalem deutlich zu machen ("Jerusalem für immer ungeteilte Hauptstadt des jüdischen Staates") und damit die zweite Intifada auslöste, wusste er genau was er tat. Diese zweite Intifada vereinte die Palästinenser allerdings in nie gekannter Art und Weise. Aber für Scharon war dieser Affront gegenüber den Palästinensern mehr als lohnend, er wurde vier Monate nach Ausbruch der Intifada zum Ministerpräsidenten von Israel gewählt. Wieder einmal goutierte das israelische Wahlvolk die kompromisslose Haltung gegenüber den besetzten und unterdrückten Palästinensern. 

Sein schrecklicher Spruch ist mir noch heute in fataler Erinnerung: "Ich werde Jerusalem behalten, ich werde das Jordantal behalten und ich werde keine palästinensischen Flüchtlinge nach Israel lassen. Ich werde auch den Golan und den Negev behalten." Genau das ist es, was auch seine Vorgänger und Nachfolger verinnerlicht haben und das Wahlvolk tatkräftig unterstützt. 

Wie schrieb ich schon so oft: Israel will alles, nur keinen Frieden. Wie lange soll uns eigentlich noch dieses Friedenstheater vorgespielt werden? 

 

Der "Bulldozer" und "Schlächter von Beirut" fiel 2006 nach einem Schlaganfall ins Koma und starb am 11.Januar 2014. Möge er vor das"höchste Gericht" kommen, da die weltlichen Gerichte ihn ja verschont haben! Am 13. Januar fand das Staatsbegräbnis für den "israelischen Cäsar" statt, wo die "Großen dieser Welt" ihn am Montagmorgen vor der Knesset unkritisch beweinen konnten!
 
Danach wurde Scharon auf seiner Farm Havat Shikmin, der Sycamore Ranch im südlichen Negev 10 km entfernt von Gaza und 5 km entfernt von Sderot, die er einst mit einem "Darlehen" von Meshualem Riklis, einem mehr als obskuren israelisch/US-amerikanischen Geschäftsmann gekauft hatte, beerdigt. Zu diesem "Kauf" gab es damals einen Slogan in einer israelischen Satire-Kolumne der wie folgt lautete: "Die ganze Welt ist gegen uns, außer der Unterwelt!
 
Heute sehen wir erneut die Beziehung von Politik und Geld/Macht-Einfluss, in deren Zusammenhang Sheldon Adelson, der Casino-König, versuchte, mit 200 Millionen US-Dollar den Wahlkampf in den USA für Mitt Romney gegen Barack Obama zu unterstützen! Und das für seinen Freund Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Soviel zu der Beziehung von jüdischen Milliardären, deren Ambitionen und Beziehungen zu Militär und Politik im "Jüdischen Staat" und in den USA. Sollen sie alle vereint sein auf Erden und in der Ewigkeit! (PK)

 

(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17634

 

Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Mann Benjamin Hecht lebt.

2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro.



Online-Flyer Nr. 441  vom 15.01.2014

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