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Lokales
Gründungsversammlung des Berliner Wasserrates
Auftakt vereint ein breites gesellschaftliches Bündnis
Von Ulrike von Wiesenau

Über 40 Personen, zumeist Vertreterinnen und Vertreter von Initiativen und Organisationen, haben am 28.11. mit dem Berliner Wassertisch in einer Gründungsversammlung den Auftakt zur Arbeit des Berliner Wasserrates (Arbeitstitel) gesetzt. Erste Stellungnahmen wurden eingebracht, u.a. von Vertretern des Berliner Energietisches, der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft (AöW), des Verbands Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN), des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), vom Ökowerk Berlin und der Initiative Genossenschaft von unten. Weitere Initiativen und Verbände werden in den nächsten Sitzungen folgen.

Impulsvortrag von Sebastian Schönauer, Wasserexperte des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Alle Fotos: Michal Eliasson
 
Die Berliner Wasserbetriebe waren im Jahr 1999 zu 49,9 Prozent für 1,68 Milliarden Euro über eine Holding AG an die Konzerne RWE und Veolia veräußert worden. Es war die größte Teilprivatisierung eines kommunalen Wasserbetriebes innerhalb der Europäischen Union. Die Verträge dieser "Öffentlich-Privaten Partnerschaft" (PPP) waren geheim und wurden erst unter dem Eindruck des vom Berliner Wassertisch erzwungenen Volksentscheides vom Senat veröffentlicht. Bereits im Oktober 2012 hatte das Land Berlin den Anteil des Konzerns RWE zurückgekauft, der Rückkauf des Veolia-Anteils erfolgte vor wenigen Wochen. Der Berliner Wassertisch kritisiert nicht nur die Höhe des zusammen rund 1,2 Milliarden Euro teuren Rückkaufpreises, sondern fordert eine Umstrukturierung der nach wie vor als komplexe Holding organisierten Berliner Wasserbetriebe.
 
Nach Rekommunalisierung: Demokratisierung!
 
Mit dem überteuerten Rückkauf der privaten Anteile ist das Ende des Weges zur Rekommunalisierung noch nicht erreicht. Viele umweltpolitische und soziale Aufgaben sind liegen geblieben. In den 14 Jahren nach dem Privatisierungsbeschluss von 1999 war die Tätigkeit der Berliner Wasserbetriebe der Gewinnerzielung untergeordnet. Obwohl das Land Mehrheitseigner der Wasserbetriebe blieb, lag die technische und kaufmännische Leitung vollständig in privater Hand. Die Wasserpreise stiegen um mehr als 35 Prozent. Die für Investitionen vorgesehenen Anteile des Wassergelds wurden als Gewinne an die Privaten ausgezahlt.
 
Die Belegschaft der Wasserbetriebe wurde um ein Drittel reduziert. Der Berliner Wassertisch zieht aus diesen Fehlentwicklungen den Schluss, dass die Bürgerinnen und Bürger künftig an der Leitung der Wasserbetriebe beteiligt sein müssen um sicherzustellen, dass die rekommunalisierten Betriebe sich an den gebotenen sozialen, ökologischen und demokratischen Kriterien orientieren.



Gespannte Aufmerksamkeit weiterer Verbands-Vertreter
 
Der Berliner Wassertisch hat zur inhaltlichen Verständigung der Akteure und zur modellhaften Orientierung im September 2013 den Entwurf einer "Berliner Wassercharta" vorgestellt. Leitlinie der Wassercharta ist eine transparente, also ohne geheime Gremien arbeitende, sozial gerechte, ökologisch nachhaltige und direkt-demokratische Wasserwirtschaft. Durch diese Charta soll überdies eine erneute Privatisierung oder Teilprivatisierung ausgeschlossen werden. Wesentlich ist die demokratische Beteiligung der Berliner Bürger an den Betrieben, da die Erfahrung erwiesen hat – und jeden Tag neu erweist -, dass die alleinige Kontrolle durch das Parlament nicht ausreicht. Erste Vorstellungen zur weiteren Konzipierung des Berliner Wasserrats konnten bereits in der Gründungssitzung diskutiert werden.
 
Künftig sollen nicht nur alle relevanten Unterlagen für die Bevölkerung zugänglich sein, sie soll auch in die unternehmerischen Entscheidungen eingebunden werden. Eine Zukunftsoption für Berlin eröffnet das Beispiel von Paris. Am 1.Januar 2010 brachte die französische Hauptstadt nach 25 Jahren privater Wasserwirtschaft die Wasserversorgung in städtischen Besitz zurück. Mit »Eau de Paris« wurde ein Unternehmen in öffentlicher Hand gegründet. Neben dem Verwaltungsrat des Unternehmens, dem »Conseil d'Administration«, in den 13 Stadtverordnete und 5 Vertreter der Pariser Bürgerschaft mit beschliessender Stimme sowie 2 Bürgervertreter mit beratender Stimme entsandt werden, besteht ein partizipatives Kontrollgremium mit beratender Funktion, der "Observatoire parisien de l'eau", in dem Vertreter des Verbraucher-, Mieter-, und Umweltschutzes wie auch unabhängige Wissenschaftler und Experten versammelt sind. Nach den fatalen Erfahrungen der Berliner Teilprivatisierung favorisiert der Berliner Wassertisch für die deutsche Hauptstadt ein Gremium der Beteiligung, das nicht nur beratende, sondern eine direkt mitbestimmende und kontrollierende Funktion übernehmen soll. Der Berliner Wasserrat kann als Weiterentwicklung des Pariser Modells gesehen werden.
 

Logo des Berliner Wasserrats 
Auf Rekommunalisierung muss Demokratisierung folgen, das gilt auch für Berlin, denn die bestehenden Einrichtungen der repräsentativen Demokratie allein sind nicht mehr imstande, die Probleme eines von der entfes-selten Ökonomie unterminierten Gemeinwesens und der immer massiveren Einflussnahme von Lobbyisten zu lösen. Bürgerbe-teiligung und direkte Demokratie sind das Vermächtnis des erfolgreichen Berliner Wasser-Volksentscheids. Mit der Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe besteht jetzt die einzigartige Chance, ein Modell der direkten Beteiligung an einem öffentlichen Unternehmen in Gestalt eines "Wasserrates“ zu entwerfen, das ein wichtiger Markstein auf dem Weg zur Wiederherstellung des Primats der Politik und Leitbild für andere Bereiche der Daseinsvorsorge sein kann. Der Berliner Wasserrat soll Informations-, Mitwirkungs- und Mitentscheidungsrechte über die
Unternehmensziele und die Grundsätze der Unternehmensführung der Berliner Wasserbetriebe haben. Wie der Wasserrat zusammengesetzt sein soll und wer in welchem Verfahren seine Mitglieder wählen soll, wird eine entscheidende Frage des weiteren gesellschaftlichen Diskurses in den nächsten Sitzungen sein.
 
In den nächsten Monaten werden themenspezifische Sitzungen stattfinden, bei denen es unter anderem um die künftige Rechtsform und die Organisationsstruktur der Berliner Wasserbetriebe, um die Einbindung der Bürger und der Beschäftigten sowie um Sozial- und Umweltaspekte gehen wird. Nach der erfolgreichen Aufklärungsleistung des öffentlich arbeitenden Wassertisch-Untersuchungsausschusses "Klaerwerk", der maßgebliche Beiträge zur Analyse der skandalösen Geheimverträge lieferte, wird mit dem Wasserrat in Berlin nun ein zweites Instrument der direkten Demokratie begründet, das neue Maßstäbe für eine sich erneuernde, funktionsfähige Demokratie setzen wird. (PK) 
 
Weitere Informationen unter: www.berliner-wassertisch.net
Die Berliner Wassercharta ist einzusehen unter:
http://berliner-wassertisch.net/assets/pdf/Presse/Berliner%20Wassercharta%20-%202013-09-05.pdf

Autorin Ulrike von Wiesenau ist Pressesprecherin des Berliner Wassertisches und war maßgeblich am Entwurf der Kampagne des erfolgreichen Berliner Wasser-Volksentscheides beteiligt. Die Demokratie-Expertin berät Organisationen und Initiativen der direkten Demokratiebewegung bei Öffentlichkeitsarbeit und politischen Aktionen.


Online-Flyer Nr. 435  vom 04.12.2013

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