NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

Fenster schließen

Kultur und Wissen
Vortrag zum 35jährigen Bestehen des Bundesverbands Arbeiterfotografie
Fotografie als Waffe – Teil 2
Von Anneliese Fikentscher

Unter dem Motto „Wacht auf, Verdammte dieser Erde!“ fand anlässlich des 35jährigen Bestehens des Bundesverbands Arbeiterfotografie am 21. September 2013 in Werder an der Havel eine Vortrags- und Kultur-Veranstaltung statt. Zu den Vortragenden gehörte Anneliese Fikentscher, Vorsitzende des Bundesverbands Arbeiterfotografie. Wir geben ihren Vortrag „Fotografie als Waffe“, der das Medium Fotografie sowohl als Instrument der Herrschenden als auch als Mittel von Gegenwehr und Aufklärung betrachtet, in mehreren Teilen wieder – nachfolgend Teil 2.


Anneliese Fikentscher bei ihrem Vortrag in Werder am 21.9.2013
Foto: arbeiterfotografie.com

Der in Schriftform überarbeitete Vortrag gibt einen Überblick über die fotogeschichtliche Bewertung der Bildmotive an Hand der für Arbeiterfotografie bedeutsamen Themen und der angestrebten Wirkungen bis zu jüngsten Debatten.

1930 greift ein junger Arbeitsloser, der nach seiner Ausbildung als Laborant bei den Hanomag-Werken in Hannover zunächst keine Anstellung findet, zur Kamera, einer für Reportagezwecke bestens geeigneten Leica-Kleinbild-Kamera, ausgeliehen von einer Freundin. Es ist der zu diesem Zeitpunkt 19jährige, in Hameln geborene Walter Ballhause.

Zwischen den Kriegen

Der fotografisch nicht geschulte, zeichnende und an Kunst interessierte junge Mann, der in seiner Schulzeit achtmal die Schule und zehnmal den Wohnsitz wechseln muss, orientiert sich unter Anregung von Erich Knaufs Buch „Empörung und Gestaltung“ an grafischen Vorbildern von Zille und Kollwitz. Knauf habe in ihm den Funken ausgelöst, zur Kamera zu greifen. Es ist Walter Ballhause ein inneres Bedürfnis, die Spannungen und Widersprüche der sich dem Ende nähernden Weimarer Republik darzustellen, denn er ist ein Betroffener. Armutserfahrung aus Kindertagen und der Einsatz für bessere Verhältnisse bringen ihn in Kontakt mit den Roten Falken, zeitweilig wird er SPD-Mitglied, ist mit Otto Brenner und anderen Mitbegründer der SPD-Abspaltung SAP (Sozialistische Arbeiterpartei), die einen breiten Schulterschluss gegen die aufziehende NS-Herrschaft anstrebt.


Walter Ballhause – Hannover, 1930-33, „Räder statt Beine“ – Opfer des I. Weltkrieges


Walter Ballhause – Hannover, 1930-33, „Eingedämmert“


Walter Ballhause – Hannover, 20.4.1933, „Pennäler marschieren mit“ – 'Führers' Geburtstag


Walter Ballhause – Dresden, 1949, „Der Erbe (mein Sohn Rolf mit Kinderwagen vor Ruinen)“

Mit bis heute spürbarer, elektrisierender Empathie erfasst der junge Ballhause die Zeichen einer Vorahnung der Zeit zwischen den Kriegen mit höchster Präzision und Gestaltungskraft. Sein künstlerisches Werk, vorrangig aus der Zeit von 1930 bis 1933 in Hannover, ist herausragend. Praktisch arbeitete er mit verdeckter Kamera, vergleichbar der „untergetauchten Kamera“ der niederländischen Arbeiterfotografen um Cas Oorthuys. In Ballhauses Umgebung gab es aber keinen Anschluss zur Arbeiterfotografen-Bewegung. 1982 wird er in Hannover zum ersten Ehrenmitglied der 1978 neu gegründeten Vereinigung der Arbeiterfotografen berufen.

Die „Entdeckung“ des umfangreichen fotografischen Werkes von Walter Ballhause findet erst Anfang der 1970er Jahre statt, nachdem er selbst die Zeit findet, seine fotografische Vergangenheit aufzuarbeiten. Renommierte westdeutsche Verlage interessieren sich für den seit Ende des Krieges in Plauen Lebenden, beruflich zum Gießereileiter Aufgestiegenen. Unter Teilnahme von Ballhause, Heartfield, Eugen Heilig, Tina Modotti u.v.a. tourt von 1991 bis 1993 die von Leah Ollman kuratierte Ausstellung „Camera as Weapon“, "Fotografie als Waffe – Arbeiterfotografie zwischen den Kriegen", ausgehend vom Museum of Photographic Arts in San Diego, Kalifornien durch weitere US-Städte und Bundesstaaten. Bis heute entfaltet Ballhauses Fotografie eine symbolische Kraft der tiefen Einsicht in die Dinge, denn sie verdeutlichen seine Absicht, „eine neue Welt aufzubauen, eine bessere Welt mit sozialer Gerechtigkeit, in der es nicht diesen ewigen Kreis von K hoch 4 gibt... Dahinter steckt Krise, Konjunktur, Kriegsvorbereitung und Krieg. Das ist doch nun der Kreislauf, den der Imperialismus seit über hundert Jahren geht“. 2012 war die Ausstellung „Der unsichtbare Fotograf“ eine der erfolgreichsten Ausstellungen im 22. Jahr des Bestehens der Kölner Galerie Arbeiterfotografie im Rahmen der Internationalen Photoszene Köln mit einer Präsentation und und einem Vortrag von Jörg Boström zur Weltmesse des Bildes, der photokina.

Zum Anlass der Verleihung seiner Ehrenmitgliedschaft (1982) äußerte sich Walter Ballhause über die aktuellen Aufgaben der Arbeiterfotografie.

Es geht um das Überleben der Menschen

„Unser Ziel von damals ist gleichzusetzen mit eurem von heute: Die fotografierten, menschenunwürdigen Zustände selbst sollen beseitigt werden! Dazu ist Parteilichkeit notwendig, um den politisch und gewerkschaftlich aktiven Teil der Arbeiterklasse in seiner historischen Mission zu unterstützen. Am Rande dieser zentralen Aufgabe kann man viele Dokumente schaffen, die zu wichtigen Zeitdokumenten späterer Generationen werden können... (Möchte) ROLLAND zitieren, einen Satz, der genau dazu paßt: ‘Bemühen wir uns gemeinsam alles zu koordinieren, was der Sache ergeben ist. Im Hören aufeinander hoffen wir, jene gebotene Klarheit herzustellen, die nicht die verschiedenen Traditionen und aktuellen Erkenntnisstände verwischt – aber den realen Notwendigkeiten Rechnung trägt, zusammenzuführen auch dort, wo zur Zeit noch Unvereinbarkeiten beherrschend zu sein scheinen.’ Kämpfen wir! Wenn wir es nicht tun, so verlieren wir auch heute diesen Kampf. Dessen sollten sich alle ... bewußt sein, daß es um das Überleben der Menschen auf der Erde überhaupt geht. Darum: Nichts verwischen, aber alles Trennende beiseite schieben und alles Gemeinsame in den Vordergrund rücken. Das wünsche ich.“

Angekommen in Springers Demokratie

„Seine Kamera scheut nicht das Banale, und so findet sie die schreckliche Schönheit unseres alltäglichen Kampfes um ein sinnvolles Überleben“, bescheinigt Jörg Boström einem Fotografen, der vielgestaltig und eigenwillig unterwegs ist, der seine Arbeit an hohe ethische Prinzipien knüpft. So ist der Hamburger Presse-, Szene-  und Dokumentarfotograf Günter Zint in jeder Hinsicht einer der herausragenden Persönlichkeiten der sozialrevolutionären Vor- und Nach-68er Bewegung. Unbeirrbar zeigt er in seinen Bildern, die ihn in Berlins Straßen und vor deutschen Atomkraft-Bauten dicht ins Geschehen von Polizeiknüppeln und Wasserwerfern führen, die Aufrüstung der Republik Westdeutschland – die Demokratie genannt wird – gegen ihr Volk. Für die großen, in Hamburg ansässigen Magazine Spiegel, Stern und Nachrichtenagenturen (dpa) ist er unterwegs, um seinen Auftraggebern die gewünschten Bilder von demonstrierenden, damals (und teils heute noch) so genannten „arbeitsunwilligen Chaoten“ zu liefern. Aber Zint macht nicht mit. Seine Bilder bringen ungeschminkt zum Ausdruck, wie er den Zusammenprall von protestierenden Studenten, Bürgern und Staat wahrnimmt: als beängstigende Aufmärsche einer Polizeiarmee, als brutales und rücksichtsloses Vorgehen gegen die, die sich auf ihre Rechte berufen. Zint schafft einen Kanon von Gegen-Bildern zu denen, die in der allabendlichen, zu dieser Zeit noch unter Alleinstellungsmerkmal anti-neutral berichtenden Fernseh-Nachrichten-Sendung „Tagesschau“ erscheinen (von der später noch die Rede sein wird).


Günter Zint, Brokdorf, 1985


„Kampf um die Bäume“ – Günter Zint, Gorleben, 1979

Der Münchner Kunsthistoriker und Mitbegründer der Neuen Arbeiterfotografie, Richard Hiepe (1930-1998), stellte Günter Zint mit seinem fotografischen Werk in der Kunstzeitschrift tendenzen in die Reihe der Bildenden Kunst. Und an die Arbeiterfotografen gewandt, machte Richard Hiepe Mut, sich mit großen Vorbildern und Künstlern zu messen: „Ich kann keinen Keil sehen zwischen der fotografischen Arbeit an der Basis der Klassenauseinandersetzung und den Leistungen bekannter Profis, zwischen Arbeiterfotografie, sozial engagierter Fotografie und engagierter Kunstfotografie so wie es keine Scheidewände in meinem Arbeitsbereich zwischen revolutionärer Flugblattgrafik und den Blättern von Otto Dix und George Grosz gibt. Jeder von uns ist im politischen Kampf immer auch als Gestalter, als Schöpfer neuer Bilder, unseres neuen Menschenbildes gefordert. Der politisch entwickelte Mensch wird unweigerlich höhere Bedürfnisse an Bilder und Bildgestaltung entwickeln.“ (Zierenberg, 1987)


Dietmar Treber – Auseinandersetzung um die Startbahn West, Frankfurt, 1981


Dietmar Treber – Auseinandersetzung um die Startbahn West, Frankfurt, 1981

Selbstverständlich sehen sich auch die heutigen Mitglieder der Arbeiterfotografie, die seltener als BerufsfotografInnen sondern vielmehr als engagierte und betroffene StaatsbürgerInnen unterwegs sind, in der Reihe der Dokumentaristen von Protest-Bewegung. Die Fotos von Dietmar Treber von der Startbahn West in Frankfurt aus dem Jahr 1981 zeigen eindrucksvoll den Widerstand von Anwohnern gegen den Ausbau einer weiteren Start- und Landebahn (für militärische Zwecke) auf dem Zentralflughafen Frankfurt am Main. Vergleichbare Proteste sind die gegen Atomtransporte, Stuttgart 21 oder die Gipfelblockaden von Genua oder bei Rostock/Heiligendamm und vieles weitere mehr, wo sich die zunehmende Militarisierung des deutschen „Sicherheitsstaates“ im Bild offenbart. Diese Art der Dokumentation versteht sich als Beweisführung für die Daheimgebliebenen, zumal es für Staatsbürger mit Handicap (alt, jung, gesundheitlich behindert,...) zunehmend gefährlicher wird, vom Demonstrationsrecht Gebrauch zu machen, da sich die Gewalteinsätze von „Sicherheitskräften“ stetig steigern, der Einsatz von Reizgasen immer hemmungsloser und skrupelloser erfolgt. Auch das muss dokumentiert werden.

Menschenornament, Arbeit und Unmoral

Seit ihren Neuanfängen versteht sich die Arbeiterfotografie (die erste Zeitschrift „Arbeiterfotografie“ erscheint 1973) also auch als Vermittlerin und Verbreiterin von engagierter Fotografie (weltweit). Denn wie Richard Hiepe empfahl, „Ich glaube, die einzig mögliche und sinnvolle Haltung in eurer Lage, für produktive Menschen überhaupt, sich den Meisterwerken zu nähern, ist die, zu lernen. Für einen produktiven Menschen gibt es keine andere Haltung.", so hielten es die historischen Vorgänger für wichtig, sich weiter zu bilden.


Sebastião Salgado, Goldmine, Brasilien, 1986


Sebastião Salgado, Goldmine, Brasilien, 1986

Als eines der großen Vorbilder der ArbeiterfotografInnen mag der gebürtige Brasilianer Sebastião Salgado gelten. Mit seinem international anerkannten und vielfach prämierten Werk – Salgado wurde wie Henry Cartier-Bresson und Robert Capa Mitglied der renommierten Fotoagentur Magnum in Paris – greift er Themen auf, die unumstritten tauglich auch für ArbeiterfotografInnen sind. Dabei hat sich der bekennende Leica-Fotograf vom Amateur, also einem Liebhaber der Fotografie – 1973 beginnt er zu fotografieren – zum Meister entwickelt. Auf seinen Weltreisen im Auftrag von Wirtschaftsunternehmen kam er erstmals in Kontakt mit archaisch anmutenden Arbeitssituationen. Die Ergebnisse veröffentlichte er in dem Buch „Worker/Arbeiter“, das von der Ausstellung „Archäologie des Industriezeitalters“ begleitet wurde, die jede/r ArbeiterfotografIn gesehen haben sollte. Mitunter wurden die Fotos als „zu ästhetisch“ abgetan. Aber die Wirkung auf ihr Publikum bleibt nicht aus. ... Archaisch und urzeitlich präsentieren sich die Szenen in der brasilianischen Goldmine Serra Pelada von 1986, nahezu biblische Sinnbilder fixiert Salgado zu Fotos. Viele andere Fotografen haben dort fotografiert, aber die Macht der Bilder von Sebastião Salgado ist unerreicht.


Sebastião Salgado, Goldmine, Brasilien, 1986

Erinnern wir uns an das eingangs (Teil 1) gezeigte Foto der Leiter „Ladder“ von Fox Talbot. Salgados „Himmels-“Leitern im lehmigen Goldsteinbruch evozieren Gerüche und Geräusche und Fassungslosigkeit. 1998 erscheint zur Ausstellung „Terra“ über die brasilianische Landlosenbewegung im Hamburger Museum der Arbeit als Sonderdruck ein Auszug aus der Zeitschrift Arbeiterfotografie (Ausgabe 84) mit einem Interview, das wir mit Sebastião Salgado geführt hatten. Der Fotograf stellt diese Bilder per Buch und Ausstellung  in den Dienst der brasilianischen Landlosenbewegung (MST – Movimento dos Sem Terra), der die Erlöse zukommen und auf deren Situation der öffentliche Fokus gerichtet wird. Salgado, Träger des „Eugene Smith Preises“ für humanitäre Fotografie (1983), bekennt im Interview die Unmoral von Reichtum: „Das letzte Bild im Buch: wenn wir die Farm betreten, die Bauern sie besetzen. Diese Farm ist dreiundachtzigtausend Hektar groß, das entspricht der Größe eines Bundeslandes in Deutschland. Das muß man sich vorstellen. Eine Farm in dieser Größe! Keine Grenze kann das einfassen. Es ist unmoralisch, das zu besitzen. So etwas darf nicht sein.“

Arbeiter als geschichtsbildende Persönlichkeiten

Klaus Türk, in Wuppertal lebender Professor der Soziologie, vermerkt in seinem Standardwerk: „BILDER DER ARBEIT – Eine ikonographische Anthologie“ einige „Besonderheiten des Arbeitsthemas“, denn es werde „mit dem Thema der Arbeit ... ein hochempfindlicher gesellschaftlicher Bereich zur Anschauung gebracht. Wo das Arbeitsbild auftaucht, hat es zwangsläufig eine politische Tendenz, ob dessen Autor es will oder nicht....“ Zwischen dieser Aussage und den Fotos der ersten Stunden auf den Spuren der „Bildwürdigkeit“ von Arbeit und der sie Verrichtenden – HINE (Bild von 1908) – liegen fast einhundert Jahre. Der Kunsthistoriker Richard Hiepe, Verfasser des Standardwerkes „Riese Proletariat und große Maschinerie“ zur Sozialfotografie, genauer zur „Darstellung der Arbeiterklasse in der Fotografie“ bescheinigt dem 1874 geborenen, in den USA  lebenden und wirkenden Lehrer an der „Ethical Cultural School“ in New York die „Herausmodellierung von Arbeitern zu geschichtsbildenden Persönlichkeiten – bei Daumier, Kollwitz – mit Lewis Hine erreicht [dieser Prozess] die Fotografie“. Das Anliegen des Fotografen, mit seinen Bildern sozialreformerisch zu wirken, trägt im Bereich der Kinderarbeit, die Hine in verschiedenen Industriezweigen, bei Nachtarbeit, in Textilbetrieben und Bergwerken, mit dazu bei, dass kritische Zeitgeister sich mit den oft barfüßigen Protagonisten solidarisieren, Kinderarbeit auch abgeschafft wird. Hine vollfertigt eine fotografische Bestands- und Beweisaufnahme, deren vorgefundene Umstände er mit Tagebucheinträgen, Orts- und Zeitangaben belegt. Als Beispiel das Kind, „a little Spinner“ in der Spinnerei, 1908, aufgenommen am „3 December 1908“, in Mollohan Mills, Newberry. „Sie hielt ihre Arme seitlich des Körpers wie ein Veteran. Kaum hatte ich das Photo aufgenommen, erschien der Aufseher“ – im Bild hinten rechts schon erkennbar –  „und meinte, sich verteidigend in einem rührenden Ton“, das Kind sei zufällig gerade hereingeschneit. Aber Hine notiert: „Die Fabriken scheinen voll von Jugendlichen, die gerade zufällig hereingekommen sind, oder als helfende Schwester bezeichnet werden.“ Als Zeugin seiner Beobachtung notiert er „Sara R. Hine. Location: Newberry, South Carolina“.


Lewis Hine, 1908 – Kinderarbeit

Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass dieser Vortrag nur ein kleiner Abriss vom Einsatz der Fotografie als Instrument der gesellschaftlichen Einflussnahme sein kann. Bücher können darüber geschrieben werden (einige, auch Teilaspekte beleuchtend, wurden geschrieben), eine Seminarreihe ließe sich problemlos ausarbeiten oder auffrischen. Hier wird in der gebotenen Knappheit auf wenige exemplarische Werke und Bilder zugegriffen, die über mehr als ein Jahrhundert hinweg zueinander in Beziehung zu stehen scheinen. Zudem wollen wir noch zu gegenwärtigem Ge- und Missbrauch des Gefühlsmediums Bild vordringen. Wenden wir uns jetzt der eingangs bereits erwähnten Verbreitung dieses speziellen Zweiges von aufklärerischer, eingreifender Fotografie zu. Eine besondere und wichtige Form der Verbreitung, der Kenntnis ihrer Geschichte und ihrer Weiterentwicklung findet im Bildungs- und Hochschulwesen statt.

Gegen Vereinnahmung durch Gemütlichkeit

Dass einer der Pioniere der Aufarbeitung von Fotografie im sozialrevolutionären Kontext, der Kunsthistoriker Richard Hiepe, dem Berufsverbot unterlag, spricht schon Bände. Sein enger Mitstreiter und mit Hiepe Mitbegründer der Neuen Arbeiterfotografie, Jörg Boström, Professor für Fotografie – und später Intermedia – verstand sehr gut, um was es ging: "Kunst als Revolte, als verdeckter und verschlüsselter Widerstand. In Deinen Vorträgen und Texten erwachten die Bilder aus ihrem Bildungsschlaf, regte sich Widerstand, gegen das Vergessen, gegen die Vereinnahmung durch bürgerliche Gemütlichkeit und Innigkeit. Du rissest van Gogh und Rubens aus der Sofaecke und stelltest sie in den Fluss, in die starke Strömung der gesellschaftlichen Bewegungen."


Jörg Boström – Spinnmaschine in der Ravensberger Spinnerei, Bielefeld, 1982


Martin Büttner – 12.30 Uhr – Fichtel & Sachs AG, Werk Rabeneick, Bielefeld, 1987 (aus dem Projekt „Deutschlandreise“)


Mit Jörg Boström und Jürgen Heinemann wurde sozial eminente Fotografie an der Fachhochschule Bielefeld zu einem kleinen, verschwindenden Hort, mit Studenten wie Martin Büttner, Uschi Dresing und Jürgen Escher, an dem auch der bis heute im vordersten Einsatz wirkende Prof. Roland Günter lehrte. Roland Günter, der in gewisser Konkurrenz zu Richard Hiepes „Riese Proletariat“ bereits 1977 eine „Geschichte und Ästhetik der Sozialfotografie“ unter dem Titel „Fotografie als Waffe“, zusammenstellte, innerhalb derer er den eigenen Einsatz und Erfolg um den Erhalt der Arbeitersiedlung Oberhausen-Eisenheim dokumentierte, hat im Deutschen Werkbund NW (dessen Vorsitzender er ist) ein weiteres Buch-Dokument in der Schriften-Reihe „Einmischen und Mitgestalten“ veröffentlicht. Unter dem Titel „Stadtmassaker und Sozialverbrechen“ geht es (im Kampf gegen Politiker und Investoren) um den Erhalt von Stadt als Wohn- und Lebensraum, eine Studie zur Kommunalpolitik am Fallbei(l)spiel "Stadtzerstörung und Stadtentwicklung in Duisburg". (PK)


Hinweise:

Vortrag "Fotografie als Waffe"
Teil 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19673
Teil 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19697
Teil 3: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19722
Teil 4: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19747
Teil 5: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19792
Teil 6: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19818

Vortrag "Enteignung von 99 Prozent der Menschheit" von Klaus Hartmann
Teil 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19848

Vortrag "Die Medienkrieger" von Jürgen Rose
Teil 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19618
Teil 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19623

NRhZ zur Ausstellung "Wacht auf, Verdammte dieser Erde"
Fotogalerie 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19347
Fotogalerie 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19375

Dokumentation der Aktivitäten zum 35jährigen Bestehen des Bundesverbands Arbeiterfotografie: http://www.arbeiterfotografie.com/35jahre

Online-Flyer Nr. 433  vom 20.11.2013



Startseite           nach oben