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Inland
Offener Brief von Snowden-Mitarbeiterin an die deutsche Öffentlichkeit
"Der Macht entgegenstellen"
Von Sarah Harrison und Peter Kleinert

Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison hat das Versteck von Edward Snowden in Moskau verlassen und ist nach Berlin gereist. Sie sei nach mehreren Wochen an der Seite Snowdens am Wochenende in Deutschland eingetroffen, hieß es am Mittwoch in einer von der Enthüllungsplattform veröffentlichten Erklärung. Aus Angst vor Repressalien kehre sie nicht ihr Heimatland Großbritannien zurück, schrieb Harrison. Wie lange sie sich in Deutschland aufhalten will und wie ihre weiteren Pläne sind, geht aus ihrem Offenen Brief nicht hervor, den wir hier veröffentlichen. 
 
Edward Snowden, SarahHarrison (rechts von ihm) und weitere ehemalige Geheimdienstmitarbeiter in Moskau
Quelle: Getty Images
 
In ihrem am Mittwoch, 6. November, verfassten Offenen Brief an die deutsche Öffentlichkeit beschreibt die Journalistin es als ihre Pflicht, "sich der Macht entgegenzustellen". Gleichzeitig wirbt sie dafür, Snowden Asyl in Deutschland zu gewähren. Selbst tagesschau.de dokumentierte das Statement der Snowden-Vertrauten im Wortlaut:
 
"Nachdem ich die letzten vier Monate als Journalistin zusammen mit dem NSA-Whistleblower Edward Snowden verbracht habe, bin ich an diesem Wochenende in Berlin angekommen. Ich gehörte zu dem kleinen WikiLeaks-Team, das in Hongkong eine Reihe von Asylmöglichkeiten für Snwoden vermittelte. Ich verhandelte auch über seine sichere Ausreise aus Hongkong, damit er sein Recht auf politisches Asyl ausüben konnte.
 
39 Tage im Transitbereich
 
Ich war mit ihm unterwegs nach Lateinamerika, als die USA seinen Reisepass für nichtig erklärten und er in Russland strandete. Die nächsten 39 Tage verbrachte ich mit ihm im Transitbereich des Moskauer Scheremetjewo-Flughafens und half ihm, in 21 Ländern, darunter auch Deutschland, Asyl zu beantragen. Trotz des erheblichen Drucks der USA gelang es uns, ihm Asyl in Russland zu verschaffen. Ich blieb weiter an seiner Seite, bis sich unser Team sicher war, dass er sich dort eingerichtet hat und ihn keine Regierung der Welt stört.
 
Während Snowden nun erst einmal sicher und geschützt ist, bis sein russisches Visum in neun Monaten erneuert werden muss, gibt es noch viel Arbeit zu erledigen. Edward Snowden hat sich dem Kampf gegen staatliche Überwachung und für mehr Transparenz der Regierungen angeschlossen - es ist ein Kampf, den WikiLeaks - und viele andere - seit langem führen und den wir fortsetzen werden.
 
Der Krieg geht weiter
 
WikiLeaks kämpft an vielen Fronten: wir kämpfen gegen Mächtige, die keine Rechenschaft geben wollen, und gegen die Geheimniskrämerei der Regierungen. Wir veröffentlichen Analysen und Dokumente für alle Betroffenen und sorgen dafür, dass die Öffentlichkeit ihre Geschichte zurückerhält, denn sie gehört ihr. Dafür kämpfen wir in Rechtsstreitigkeiten an vielen Orten und sind in einem noch nie dagewesenen Prozess in den USA angeklagt. WikiLeaks setzt sich weiter dafür ein, dass Quellen geschützt werden. Wir haben die Schlacht um Snowdens unmittelbare Zukunft gewonnen, aber der Krieg geht weiter.
 
Es ermutigt mich, was ich in den wenigen Tagen seit meiner Ankunft in Deutschland erlebt habe: Die Menschen versammeln sich und fordern ihre Regierung dazu auf, endlich das zu tun, was getan werden muss - die Enthüllungen über das NSA-Spähprogramm müssen untersucht und Edward Snowden muss Asyl angeboten werden. Die Vereinigten Staaten sollten nicht länger in der Lage sein, jede Person auf diesem Planeten auszuspähen und zugleich diejenigen zu verfolgen, die diese Wahrheit aussprechen.
 
Die britische Regierung bricht das Gesetz
 
Snowden befindet sich in Russland momentan in Sicherheit, aber es gibt Whistleblower und Informanten, auf die dies nicht zutrifft. Chelsea Manning wurde von der US-Regierung misshandelt und sitzt momentan eine 35-jährige Haftstrafe ab, weil sie die wahre Natur des Krieges offengelegt hat. Jeremy Hammond steht ein Jahrzehnt in einem New Yorker Gefängnis bevor, weil er Journalisten Dokumente weitergegeben hat, die die Rolle von Privatfirmen in den Spähprogrammen belegen. Ich hoffe, ich habe ein Gegenbeispiel geliefert: Mit der richtigen Hilfe können Whistleblower die Wahrheit sagen und zugleich ihre Freiheit behalten.
 
Journalisten, Verleger und Experten, die so mutig dafür arbeiten, dass die Wahrheit ans Licht kommt, werden hart attackiert. Glenn Greenwald, Laura Poitras und Jacob Applebaum befinden sich faktisch im Exil. Barrett Brown ist angeklagt, weil er über unethische Überwachungspraktiken berichtet hat. Mein Chefredakteur Julian Assange hat wegen der amerikanischen Drohungen Asyl bekommen, aber Großbritannien gestattet es ihm nicht, dieses Recht auszuüben. Dadurch wird das Gesetz gebrochen. Die britische Regierung hat außerdem David Miranda auf Grundlage des britischen Terrorgesetzes in Gewahrsam genommen, weil er mit Laura Poitras und Glenn Greenwald zusammen arbeitet.
 
In Großbritannien bin ich nicht mehr sicher
 
Das britische Terrorgesetz definiert Terrorismus als Handlung oder die Androhung einer Handlung, die "darauf zielt", eine Regierung "im Sinne eines politischen oder ideologischen Anliegens zu beeinflussen". Darunter fallen Handlungen, die das Funktionieren eines "elektronischen Systems" (also das riesige Spähprogramm der NSA) stören oder Aktionen, welche nach Ansicht der Regierung ein "Risiko" für einen Teil der Öffentlichkeit darstellen. Es klingt abstrus, Journalismus als Terrorismus zu bezeichnen, dessen Ziel es ist, über nationale Sicherheit zu berichten, für eine ehrliche Regierung zu sorgen oder die simpelsten Bürgerrechte durchzusetzen.
 
Aber die britische Regierung hat sich entschieden, dieses Gesetz so zu interpretieren. Fast jeder Bericht, der über das umfangreiche Spähprogramm der NSA oder des britischen Geheimdiensts GCHQ veröffentlicht wurde, fällt in die Kategorie von "Terrorismus", wie ihn die britische Regierung interpretiert. Deshalb machen mir unsere Anwälte geraten, dass es für mich nicht sicher ist, in meine Heimat Großbritannien zurückzukehren.
 
Sich der Macht entgegenstellen


Es ist die Aufgabe der Presse, sich der Macht entgegenzustellen. Und trotzdem werden wir verfolgt, wenn wir unsere Arbeit machen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass uns diese aggressiven und illegalen Taktiken (durch willkürliche Interpretation von Gesetzen, übereifrige Anschuldigungen und unverhältnismäßige Gefängnisstrafen) zum Schweigen bringen. Ich erkläre mich mit denen solidarisch, die eingeschüchtert und verfolgt werden, weil sie der Öffentlichkeit die Wahrheit mitteilen wollen.
 
In diesen Zeiten der Geheimhaltung und des Machtmissbrauchs gibt es nur eine Lösung: Transparenz. Wenn unsere Regierungen so kompromittiert sind, dass sie uns nicht die Wahrheit sagen wollen, dann müssen wir nach vorne treten um für Transparenz zu sorgen. Wenn die Leute die eindeutigen Belege in Form von Originaldokumenten sehen, dann können sie zurückschlagen/sich wehren. Wenn unsere Regierungen uns diese Informationen nicht geben wollen, dann müssen wir sie uns selbst nehmen.
 
Wenn Whistleblower nach vorne treten, dann müssen wir für sie kämpfen, damit andere ermutigt werden, es ihnen gleich zu tun. Wenn sie geknebelt werden, dann müssen wir ihre Stimme sein. Wenn sie gejagt werden, dann müssen wir ihr Schutzschild sein. Wenn sie eingesperrt werden, dann müssen wir sie befreien. Es ist kein Verbrechen, uns die Wahrheit zu sagen. Es sind unsere Daten, unsere Informationen, unsere Geschichte. Wir müssen kämpfen, damit diese wieder uns gehöredn. Mut ist ansteckend."

Hinweis der Redaktion:

Während die ARD bei "tagesschau.de" den Offenen Brief von Sarah Harrison im Netz dokumentierte, brachten ihre TV-Redakteure in den Mittagsnachrichten und im Mittagsmagazin des 7.11. dazu keinerlei Informationen. Um 17 und 20 Uhr gab es in einem Beitrag über die britischen Geheimdienste nur ein paar Sekunden über die Snowden-Unterstützerin. "arteJOURNAL" dagegen berichtete am Abend über sie und ihren Offenen Brief, und in "tagesschau 24" am heutigen Freitag, 8. November gab es dazu endlich ein angemessenes Interview mit dem NDR-Journalisten John Goetz. (PK)


Online-Flyer Nr. 431  vom 07.11.2013

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