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Kommentar
Zwischen Fiktion und Wirklichkeit
Triumph der Revolution unseres großen deutschen Volkes
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Deutschland kann sich glücklich schätzen. Dieses Land wird zum Vorreiter einer revolutionären, demokratischen Bewegung, wie es sie noch nicht gegeben hat. Wir erkennen: Bundeskanzlerin Merkel hat nicht gehalten, was sie versprochen hat. Und die Bundesregierung hat eine Politik betrieben, die die Interessen der Bevölkerung nicht angemessen berücksichtigt. So kann es nicht weitergehen. Es reicht!  Deshalb tritt die Bundeswehr auf den Plan.


Protest gegen den Militärputsch in Ägypten, Köln, 6.10.2013
Alle Fotos: arbeiterfotografie.com (Anneliese Fikentscher, Klaus Franke, Andreas Neumann)

Die Bundeswehr behauptet, 14 Millionen Deutsche seien auf die Straße gegangen und hätten gegen die Bundeskanzlerin protestiert. Jetzt zeigt sich Demokratie pur. Die Bundeswehr setzt die Bundeskanzlerin ab und inhaftiert sie an unbekanntem Ort. Die demokratische Rolle der Bundeswehr ist unbeschreiblich. Sie setzt eine „Übergangsregierung“ ein und ruft dazu auf, ein weiteres Mal auf die Straße zu gehen und gegen Gegner ihres Eingreifens, das von diesen mit der Bezeichnung Putsch verunglimpft wird, zu demonstrieren.

Tatsächlich folgen Menschen dem Ruf der Bundeswehr. Diese wertet die Proteste als Legitimation, gegen den "Terror" der Putsch-Gegner vorzugehen, die es wagen, ein Protestcamp einzurichten und über Wochen aufrechtzuerhalten. Das ist das Startsignal: Die Bundeswehr geht mit Waffengewalt gegen das Protestcamp vor und richtet ein Blutbad an, um endlich Ruhe zu schaffen.

Ist das vorstellbar? Müsste die Linke diese Vorgänge gutheißen oder gar als Revolution preisen? „Triumph der Revolution unseres großen deutschen Volkes!“ Müsste das Eingreifen der Bundeswehr mit diesem Ausruf der Begeisterung gefeiert werden? JA SICHER, muss die Antwort lauten. Was für Ägypten gilt, gilt für Deutschland schon lange!

Opfer einer Begriffsschlacht

Wirklich? Können wir das wirklich im Ernst so sehen? Oder sind diejenigen, die das Eingreifen des ägyptischen Militärs am 3. Juli 2013 begrüßten, Opfer manipulierender Operationen und speziell einer Begriffsschlacht geworden? Was passiert, wenn in Formulierungen der Medien aus einem Massaker Zusammenstöße, aus staatlichen Mördern Sicherheitskräfte, aus Kräften, die ihr politisches Handeln am Islam orientieren, Islamisten, aus Verbrechen Konflikte und aus einem Militärputsch eine Revolution wird, und wir dieses Vokabular als reales Abbild der Verhältnisse in uns aufnehmen? Können wir dann noch klar sehen? Die Antwort auf diese Frage ergibt sich von selbst.

„Islamisten nicht klein zu kriegen!“ So lautet am 19. Juli 2013 der Titel eines Artikels der Mainstream-Presse über den Sachverhalt, dass Mursi-Anhänger Großkundgebungen in ganz Ägypten planen. Diese kurze Überschrift ist gleich zweifach infiziert. Politische Kräfte werden mit einem herabsetzenden Begriff disqualifiziert. Und es wird unterschwellig die Botschaft transportiert, dass es wünschenswert wäre, diese Kräfte klein zu kriegen – was immer das auch heißen mag. Der Phantasie der Leser sind dabei keine Grenzen gesetzt.

In der linken Tageszeitung "junge Welt" heißt es am 23. Juli 2013: „Am 3. Juli wurde der ägyptische Präsident Mohammed Mursi nach Massenprotesten vom Militär gestürzt und eine Übergangsregierung eingesetzt, an der die Muslimbrüder nicht mehr beteiligt sind.“ Im Titel des Artikels wird für die Leser vorgegeben, wie dieser Vorgang zu bewerten ist. Er lautet: Revolution »reloaded«. Das ist zumindest die Sichtweise des außenpolitischen Sprechers der Ägyptischen Sozialistischen Partei.


Protest gegen den Militärputsch in Ägypten, Frankfurt, 20.7.2013

Noch extremer ist es unmittelbar nach dem Putsch. Eine Erklärung der Ägyptischen Kommunistischen Partei vom Tag des Putsches ist überschrieben mit „Triumph der Revolution unseres großen ägyptischen Volkes“. Und am 5. Juli 2013 lesen wir in einem Artikel von Sofian Philip Naceur in der Tageszeitung "junge Welt": „Der Druck der Straße erzwingt in Ägypten die zweite Revolution in zwei Jahren... Am Mittwoch [3.7.2013] abend setzten die Militärs die von den Islamisten im Herbst durchgepeitschte Verfassung außer Kraft und stellten Mursi unter Hausarrest... Der Rest ist nicht enden wollender Jubel. Es gibt kein Halten mehr, der Druck der Straße hat einmal mehr die Geschichte des Landes umgeschrieben.“

Wie können wir glauben, dass ein Militär wie das in Ägypten, das defakto als der verlängerte Arm Israels und der USA operiert, Garant für Demokratie sein könnte – oder gar tragende Kraft bei einer Revolution im Interesse der Menschen? Wie ist es zu bewerten, wenn während der Präsidentschaft von Mohamed Mursi dessen mächtige Gegner die Verknappung der Güter des täglichen Bedarfs herbeiführen, auf diese Weise die Regierung als unfähig erscheinen lassen und so den Protest der Massen auslösen? „Interessanterweise waren nach dem Sturz von Mursi alle vor dem Putsch knappen Waren des täglichen Lebens, wie Treibstoff, Lebensmittel und andere Güter wieder reichlich erhältlich.“ Das schreibt Evelyn Hecht-Galinski in der Neuen Rheinischen Zeitung vom 14. August 2013.

Wie können wir glauben, dass Terror der Bekämpfung von Terror dienen kann? Wie können wir annehmen, dass Terror mit Terror beantwortet werden müsse – sogar dann, wenn der Terror, der angeblich bekämpft werden soll, gar nicht der ist, als der er erscheint? Von Angriffen auf Regierungsgebäude und Kirchen ist in Ägypten die Rede. „Für die werden unisono Anhänger der Muslimbrüder und des gestürzten Präsidenten Mohamed Mursi verantwortlich gemacht, als wäre aus der Vergangenheit nicht bekannt, dass die Geheimdienste des Regimes islamistischen Terror inszeniert und instrumentalisiert haben.“ Solche Betrachtungen sind selten. Dieser Satz ist nachzulesen in einem Artikel von Rüdiger Göbel, erschienen am 17. August 2013 in der Tageszeitung "junge Welt". Die Inszenierung von Terror dient der Legitimierung von Terror. Das ist ein gängiges Prinzip. Das ist das Sender-Gleiwitz-Prinzip, das Racak-Prinzip, das 9/11-Prinzip.

Schachzug im Vorfeld der Syrien-Planungen

Seit 2011 läuft ein verdeckter Krieg gegen Syrien. Ziel ist ein Regime-Change. Der ehemalige NATO-Oberbefehlshabers und US-General Wesley Clark hatte es schon 2007 in aller Klarheit ausgesprochen. Bereits wenige Wochen nach dem 11. September 2001 sei der US-Generalstab angewiesen worden, in sieben Staaten einen Regime-Change herbeizuführen: Irak, Libanon, Somalia, Sudan, Libyen, Syrien, und schlussendlich Iran. In einem Moment, in dem die Planungen der imperialistischen Raubmörder dahin gehen, den verdeckten in einen offenen Krieg zu überführen, ist ein unkalkulierbares Verhalten Ägyptens ein zu großes Risiko.


Protest gegen den Militärputsch in Ägypten, Frankfurt, 20.7.2013

Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, macht am 4. Juli 2013, einen Tag nach dem Militärputsch, in einem Interview des Deutschlandfunks deutlich, dass in Mursi eine Kraft zu sehen ist, die sich gegen die Verbrechen Israels und das dahinter stehende US-Imperium richten könnte. Mißfelder sagt: „Ich fand... Ich habe Präsident Mursi, Expräsident Mursi in Berlin erlebt, ich fand... Ich hatte den Eindruck, dass es sich um einen radikalen, gefährlichen Antisemiten bei ihm handelt, der vorsätzlich gegen Israel Hetze betreibt, der Juden als Affen bezeichnet hat. Davon … Ich habe ihm die Frage persönlich gestellt, ob er davon abrückt, das hat er nicht getan, er hat Ausflüchte gesucht. Ich habe den Expräsidenten Mursi von Anfang an als eine Gefahr für die Region gesehen und ich glaube, dass man das nicht außer Acht lassen darf. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass er wirklich Ägypten in eine demokratische Richtung führen will.“ Wenn klar ist, dass der Begriff Antisemit verwendet wird, wenn es darum geht, politische Kräfte, die israelische Verbrechen als solche bezeichnen, zu verunglimpfen, dann ist auch klar, was diese Äußerung zu bedeuten hat.

Am 17. August 2013 berichtete das Wall Street Journal, dass Israel engen Kontakt zu Putsch-General Abdel Fattah Al-Sisi halte. Davon schreibt Knut Mellenthin in der Tageszeitung "junge Welt" in einem Artikel mit der Überschrift „Achse der Vernunft – USA, Israel, Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Emirate unterstützen gemeinsam das ägyptische Militärregime“.


Protest gegen den Militärputsch in Ägypten, Köln, 6.10.2013

 „Israel startet eine weltweite Werbetour für die Putsch-Generäle in Ägypten. Was klingt wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte, ist pure Angst vor Anarchie im Nachbarland. Israel ist aufs Höchste alarmiert... Gute Freunde in der Not sind ein Geschenk des Himmels. Die viel gescholtene Militärführung in Ägypten darf sich also glücklich schätzen, dass bei allem Gegenwind wenigstens ein Land treu an ihrer Seite steht: Israel. Ausgerechnet die Regierung in Jerusalem, der Erzfeind aller Araber, schickt Emissäre aus, um in den USA und in Europa um Verständnis für den Gewaltkurs von Armeechef Abdel-Fatah al-Sisi zu werben und davor zu warnen, die Waffen- und Wirtschaftshilfen für das Kairoer Regime zu kürzen.“ So heißt es in einem Kommentar von Peter Münch in der Süddeutschen Zeitung vom 20. August 2013.

Der Putsch in Ägypten ist ein strategischer Schachzug im Vorfeld dessen, was für Syrien geplant war. Ein unsicherer Kantonist, der im Bündnis mit Hisbollah und Hamas (und damit mit Iran und Syrien) für die imperialistischen Kräfte USA, Israel etc. zu einem unkalkulierbaren Risiko hätte werden können, musste ruhig gestellt werden. Deshalb musste Präsident Mursi liquidiert werden.


Übernommen aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 6 (September 2013) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch. (Die Fotos sind nicht Bestandteil des KROKODIL-Artikels und sind hier nachträglich ergänzt.)



Mehr dazu und wie es sich bestellen lässt, hier: http://www.das-krokodil.com/


Online-Flyer Nr. 428  vom 16.10.2013

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