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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Inland
Der Marsch der Lobbyisten durch die Institutionen – Teil 3
Lobbyismus sogar in der Bildung
Von Werner Rügemer

Die Banken, über deren Erfolge als Lobbyisten Werner Rügemer im ersten Teil dieser Serie berichtete, stellen gegenwärtig die mächtigste und erfolgreichste Lobby dar. Aber auch Bau-, Pharma- und andere Konzerne vertreten die Interessen ihrer Unternehmen unter staatlicher Tarnkappe, so der Autor in Teil 2 dieser Serie. Doch nicht nur durch Einflussnahme in der Exekutive und durch privatwirtschaftlich gelenkte „Kontrolle“ üben Konzerne quasistaatliche Macht aus. Ihr Machtbereich beginnt wesentlich früher: Schon in Schulen und Universitäten versuchen sie, ihren Einfluss geltend zu machen.
 
So gründete etwa die Unterneh-mensberatung Boston Consulting Group (BCG) 1998 die Initiative business@school („Eine Idee macht Schule“), die seitdem vom Konzernsitz in München aus betrieben wird.(22) Mit Zustimmung der Landesministerien für Bildung sind Manager als ehrenamtliche Lehrer tätig und vermitteln „Wirtschaftswissen“ bundesweit in zahlreichen Klassen der gymnasialen Oberstufe. Unterstützt wird BCG dabei von Konzernen wie Adidas, Commerzbank, Generali, Oracle, Axa, BMW, Ford, Hochtief, Lufthansa, Rewe und der Postbank, seit 2009 Tochterunternehmen der Deutschen Bank.21 Auch sie schicken Manager zum zeitweiligen Unterricht in die Schulen, organisieren Projekte und verteilen großzügig kostenlose Unterrichtsmaterialien, während die staatliche Versorgung der Schulen mit Schulbüchern immer schlechter und für die Schüler und Eltern teurer wird. Im Schuljahr 2012/13 nahmen 90 Schulen an dieser ganz speziellen Form der PPP teil. Doch damit nicht genug: BCG übernimmt sogar auch Lehrerfortbildungen.
 
Dagegen werden andere Organisationen und Einzelpersonen, die über eine alternative Form des „Wirtschaftswissens“ verfügen, von den Kultusministern nicht gefördert. Auf diese Weise befördert der Staat statt einer freien Bildung die einseitige Einflussnahme auf Lehrer und Schüler durch starke, oft global agierende Unternehmen. Auch an den Universitäten ist der Einfluss von Unternehmen immer deutlicher zu spüren. Neben mehreren Dutzend Lehrstühlen, die von Deutscher Bank, Energie Baden Württemberg (EnBW) und anderen Konzernen gestiftet werden, unterhalten andere Firmen eigene Business Schools und Unternehmenshochschulen. Diese werden allerdings vielfach vom Staat (mit)finanziert, wie etwa die Privatuniversität Herdecke und die European Business School (EBS) in Hessen.
 
Immerhin ist dies bekannt; insofern kann hier zumindest von einer gewissen Transparenz hinsichtlich der Vermengung von staatlichen und privaten Interessen gesprochen werden. Eine andere Qualität erreichen dagegen jene Institute, die von der Privatwirtschaft direkt finanziert werden, aber gleichzeitig Teil einer staatlichen Universität sind. Hier bleibt die private Finanzierung der breiten Öffentlichkeit zumeist unbekannt, auch wenn sich im Einzelfall im Internet dazu Hinweise finden lassen. Konstrukte dieser Art beherbergen die Ludwig-Maximilians-Universität München, die Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie die beiden Technischen Universitäten München und Berlin. Im Folgenden werden zwei Fälle herausgegriffen, die für diese Form des unsichtbaren Lobbyings unter staatlichem Siegel besonders exemplarisch sind.
 
Professoren mit Tarnkappen
 
2004 gründeten der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie und der Arbeitgeberverband der baden-württembergischen Chemieindustrie die Stiftung für Arbeitsrecht (StAR), die die Bayerische Staatsregierung als gemeinnützig anerkannte. Mit Hilfe von StAR gründete und betreibt die Unternehmerlobby das Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) an der Universität München. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes An-Institut, sprich: eine organisatorisch und rechtlich eigenständige Forschungseinrichtung, die aber einer deutschen Hochschule angegliedert ist. Die Professoren wurden zwar noch von der Universität zu ordentlichen Professoren ernannt, aber dann beurlaubt. Im ZAAR werden sie dann direkt von den Arbeitgebern bezahlt, dürfen sich aber weiter als Professoren der Universität bezeichnen. Als solche treten sie auch in der Wissenschaft und in den Medien auf. Das Institut ist materiell und personell wesentlich besser ausgestattet als die wenigen verbliebenen Universitätsinstitute für Arbeitsrecht, die staatlich finanziert werden.(23)
 
Inhaltlich geht es im ZAAR vor allen Dingen darum, das deutsche Arbeitsrecht aus seiner eigentlichen, auf Ausgleich und Kompromiss gerichteten Tradition herauszulösen und in ein Kampfrecht für Arbeitgeber umzudeuten. Dafür organisiert das ZAAR Konferenzen für Manager und Unternehmensvorstände, bei denen etwa Möglichkeiten zur Umgehung von Mindestlöhnen für Leiharbeiter vermittelt werden.(24) An anderer Stelle polemisieren die Tarnkappen-Professoren gegen die „Machtanmaßung“ der Arbeitsrichter, halten Mindestlöhne für „schizophren“, beklagen die „Übermacht des Kollektivs“ durch Gewerkschaften und Betriebsräte und bezeichnen Tarifverträge als eine Krankheit, die man „schwer wieder loswird“.(25)
 
Quasistaatliche Institute mit neoliberaler Mission
 
Seit 1997 finanziert die Stiftung der Deutschen Post (DHL) in gleicher Weise das Institut Zukunft der Arbeit (IZA), dessen Präsident der Ex-Vorstandschef des Konzerns, Klaus Zumwinkel ist.(26) Immerhin befindet sich auf der Webseite des IZA ein Hinweis darauf, dass das Institut „durch die Deutsche Post-Stiftung gefördert“ wird. Das IZA ist wie das ZAAR ein universitäres An-Institut, allerdings der Universität Bonn. Faktenwidrig bezeichnet es sich als „unabhängig“. Das IZA versteht sich als weltweit vernetzter Think-Tank. Zu den Research und Policy Fellows gehören unter anderem Entwicklungsminister Dirk Niebel, Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegießer, Professor Klaus Rürup von der Maschmeyer Rürup AG, Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin, Nikolaus Piper von der „Süddeutschen Zeitung“ und Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, kurzum: ausschließlich ausgesprochen konzernfreundliche Personen.
 
Das Institut war unter anderem an der Ausarbeitung der Hartz-Gesetze beteiligt und ist Dauer-Berater der Europäischen Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Bundesregierung. Es bereitet die Fortsetzung der Agenda 2010, nämlich die Agenda 2020 vor: Erklärtes Ziel ist die weitere Auflösung des Standard-Arbeitsverhältnisses und die Durchsetzung längerer und flexiblerer Arbeitszeiten. IZA-Direktor Klaus Zimmermann – lange Zeit gleichzeitig Direktor des Berliner Instituts für Wirtschaftsforschung DIW – fordert, das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre anzuheben. Die Stoßrichtung des Instituts ist also eindeutig und kann aufgrund seiner Konstruktionsart auch nicht verwundern. Von „freier Wissenschaft“ kann hier allerdings beim besten Willen nicht gesprochen werden.
 
Lobbyregister gut und schön, entschlossenes Handeln ist notwendig!
 
„Mehr Transparenz!“ lautet die Losung, die im Kampf gegen Lobbyismus immer wieder zu hören ist. So wird regelmäßig die zentrale Registrierung von Lobbyisten gefordert. Doch wenn der politische Wille, den Einfluss der wirtschaftlich Mächtigen tatsächlich zurückzudrängen, nicht vorhanden ist, dann nützen auch Instrumente wie ein Lobbyregister nichts.(27) Die Lobbyisten finden dann immer Wege, die jeweilige Regelung zu unterlaufen. Das gilt umso mehr dann, wenn sich die Lobbyisten wie beschrieben bereits an den Schalthebeln der Macht befinden. So ist das vielfach im Ausland als vorbildlich gelobte US-Lobbyregister schon lange nur noch ein dürftiges Alibi. Denn längst haben Anwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Steuer- und Unternehmensberater einen wesentlichen Teil des Konzernlobbyismus übernommen. Und sie können das „ganz legal“ tun, da der Lobbyismus nicht ihr Hauptgeschäft ist und sie deshalb gar nicht im Lobbyregister erfasst werden – weder in dem des US-amerikanischen noch dem des Europäischen Parlaments.(28)
 
Zu den Grundannahmen der neoliberalen Propaganda gehört bekanntlich, dass der Staat sich aus Wirtschaft und Finanzen heraushalten muss. Dementsprechend haben die Vertreter neoliberaler Politik in den vergangenen 30 Jahren nicht nur drastische Deregulierungen gefordert, sondern auch tatsächlich Gesetze und Kontrollmechanismen abgeschwächt oder sogar ganz abgeschafft. Die so entstandene Lücke wurde jedoch keineswegs verteidigt, sondern im Gegenteil dazu genutzt, neue Institutionen und Bürokratien der „Regulierung“ unter zumeist staatlichem Label zu schaffen, die aber ausschließlich privatwirtschaftlichen Maximen folgen. Wer die Demokratie vor ernsthaftem Schaden bewahren will, muss daher zuallererst diese Privatlobby bekämpfen und ihren Einfluss auf Staat und Gesellschaft zurückdrängen. Dafür braucht es jedoch politischen Willen und eine transparente Debatte, die sich nicht scheut, die eigentlichen Gefahren des Lobbying offen zu benennen. Gegenwärtig sind wir leider von beidem weit entfernt. (PK)


Die Anmerkungen Nr. 1 bis 21 finden Sie in den ersten beiden Teilen in  den NRhZ-Ausgaben 420 und 421


22 Vgl. www.business-at-school.net.
23 Vgl. die jährlichen Tätigkeitsberichte und den Internetauftritt auf www.zaar.uni-muenchen.de.
24 Werkverträge: Das nächste Lohndumping-Modell der Arbeitgeber, „Monitor“ (ARD), 2.2.2012.
25 Vgl. die Kolumnen von Volker Rieble auf
www.zaar.uni-muenchen.de/forschung/publikation/kolumnen/index.html
26 Vgl. www.iza.org. Zumwinkel wurde auch als erfolgreicher Steuerhinterzieher bekannt und wurde zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Zugleich erteilte das Gericht eine Bewährungsauflage, nach der ein Geldbetrag in Höhe von einer Million Euro zu zahlen sei.
27 Dies gilt umso mehr, als sich auch die Parteien zu einem großen Teil über Spenden in die Abhängigkeit von Konzernen begeben haben.
28 Wolfgang Böhm, „Dreiste“ Intervention der US-Lobby in Brüssel, in: „Die Presse“, 21.2.2012.


Werner Rügemers Serie haben wir mit Dank aus der Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik 8/2013 übernommen.
 


Online-Flyer Nr. 422  vom 04.09.2013

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