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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Inland
Drittes Europäisches Forum gegen den Bau aufgezwungener Großprojekte
Widerstand gegen Privatisierungen wächst weltweit
Von Ulrike Fink von Wiesenau

Durch neoliberale Geschäftsmodelle werden immer neue Megabauten und Übernahmen von Betrieben der Daseinsvorsorge vorangetrieben. Das "Dritte Europäische Forum gegen unnütze und aufgezwungene Großprojekte" das vom 25. bis 29. Juli 2013 in den Wagenhallen Stuttgart stattfand, hat sich den weißen Elefant zum Symbol gemacht: Als Mugabes Regierungspartei sich in Zimbabwe ein Monumentalgebäude als Hauptquartier in der Hauptstadt Harare baute, nannten die Afrikaner es einen "weissen Elefanten", der ihnen die Lebenssubstanzen stehle. Doch nicht nur in Diktaturen möchten Machthaber mit monumentalen Prachtbauten in die Geschichte eingehen. Gigantomanie und Hybris grassieren auch in unseren Breiten.

TeilnehmerInnen des dritten Europäischen Forums gegen unnütze und aufgezwungene Großprojekte
Foto: Ulrike Fink von Wiesenau
 
Die weißen Elefanten sind Großprojekte, die von privaten Konzernen mit Hilfe von öffentlichen Geldern realisiert werden, deren Nutzen für die Allgemeinheit in keinem vertretbaren Verhältnis zu ihren Kosten steht, und die überdies mit erheblichen sozialen und ökologischen Nachteilen oder Schäden einhergehen. Projekte also, die gesellschaftlich sinnlos sind, aber gleichzeitig massiv in die Lebensgrundlagen der Menschen eingreifen. Gegenstand des Forums, seiner Workshops und Vorträge waren die Funktionsweisen und Hintergründe dieser unseligen Allianzen von Wirtschaft und Politik, die mit Hilfe von Intransparenz, Täuschung und medialer Desinformationspolitik in oft brachialer Weise die Interessen der beteiligten Konzerne und Politiker gegen die Interessen der
Allgemeinheit durchsetzen.

In Stuttgart trafen sich zum dritten Mal Bürger, Protagonisten und Aktive der Protestbewegungen gegen „unnütze und aufgezwungene Großprojekte“ zu einem fünftägigen Forum, um Erfahrungen auszutauschen, Strategien zu diskutieren und eine Infrastruktur des Widerstandes aufzubauen. Unabhängig von Parteien und Verbänden hatten die Organisatoren dieses Forum organisiert, bei dem 24 Workshops, 15 Vorträge und 5 Podiumsdiskussionen auf dem Programm standen. Simultanübersetzung, Workshop-Koordinatoren und eine Pressestelle waren für die Teilnehmer bei allen Veranstaltungen verfügbar. Ebenso vorbildlich organisiert  waren Verköstigung und Unterkünfte, soziale Barrieren wurden auf allen  Ebenen vermieden.

Demonstration gegen Stuttgart 21 auf dem Marktplatz
Quelle: stuttgart-blog.net
 
Widerstand stellte sich vor, vielfältig, weltweit. In Deutschland gegen den Tiefbahnhof Stuttgart 21, die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe, die Hamburger Elbphilharmonie und den Flughafen Berlin-Brandenburg. Gegen den Bau des Eisenbahntunnels im italienischen Susatal, die Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Lyon und Turin, den Megaflughafen bei Nantes. Die brasilianische Protestbewegung gegen den Belo-Monte-Staudamm, die Initiative gegen den Ilisu-Staudamm in der Südosttürkei, die Rosia Montana-Kampagne gegen das gigantische Goldtagebauprojekt in Rumänien waren vertreten. Auch Initiativen die sich mit dem Ausstieg aus der Atomenergie und mit Großprojekten der Energiewirtschaft auseinandersetzen, stellten ihre Arbeit vor. Das Demokratie-Bündnis vom Taksim-Platz zum Erhalt des Gezi-Parks in Istanbul, ausserdem Protestbewegungen gegen gigantomane Flughäfen, Kraftwerke, Tunnel-, Brücken- und Straßenbauvorhaben.

Wichtiges Thema des Forums: Der Ausverkauf öffentlicher Güter
Foto: Ulrike Fink von Wiesenau

Großprojekte unterlaufen seit den 80er Jahren die in den Kommunalverfassungen der Bundesländer verankerte Forderung der Gemeinwohl-Orientierung der Städte und realisieren immer häufiger einseitig die Interessen einzelner Konzerne. Der Protest der Bewegungen richtet sich nicht generell dagegen, dass der Staat sich zur Erfüllung seiner Aufgaben privater Subunternehmer bedient. Worum es geht, sind Projekte, die erhebliche Auswirkung auf die Lebensgrundlagen der
Menschen haben und bei denen die Orientierung staatlichen Handelns am
Gemeinwohl, an gesamtwirtschaftlicher Effizienz, zugunsten der Orientierung an den Profitinteressen einzelner Großunternehmen in den Hintergrund tritt. Genau dies wird im Vorfeld solcher Projekte verschleiert, um öffentliche Akzeptanz zu erreichen, und – was nicht zuletzt durch die Arbeit von Lobbyisten zunehmend einfacher wird – die Zustimmung von Abgeordneten und anderen demokratischen
Kontrollinstanzen zu erhalten. Dabei werden in blumigen Worten die Vorteile der Vorhaben für die Allgemeinheit gepriesen – die gesellschaftlichen Kosten dagegen werden nur zum Teil erfasst und systematisch heruntergerechnet. Kennzeichnend für derartige Großprojekte ist die überproportionale Inanspruchnahme von Ressourcen, die dann zur Erfüllung elementar notwendiger Aufgaben im Bereich der öffentlichen Versorgung fehlen.

Öffentliche Enteignung durch PPP - Beispiel 1: Stuttgart 21

Um einige markante Aspekte der Beispiele aus Deutschland herauszugreifen:
Der ausdauerndste Protest gegen ein europäisches Infrastrukturprojekt ist der Widerstand gegen Stuttgart 21, eine Ermutigung, die in die Welt hinausgegangen ist. Die Manipulation der öffentlichen Meinung  in den 1990er Jahren begann auch hier mit dem Propaganda-Szenario einer Stadt, die im internationalen Wettbewerb zu unterliegen drohe und nur mit einem Großprojekt der verschärften Konkurrenzsituation standhalten könne. "S21" als Mittel gegen die eingeborene Furcht der Schwaben, in provinzieller Bedeutungslosigkeit zu versinken, traf hier den Nerv von Wirtschaftsverbänden und Verwaltung, die das Angst-Szenario mit
beschworen. Doch sie hatten die Rechnung ohne die Bevölkerung gemacht. Die Kosten für das Großprojekt lagen 1995 bei 2,46 Milliarden Euro und sind um über 4 Milliarden Euro auf 6,50 Milliarden gestiegen. Der Protest gegen "Stuttgart 21" ist nicht erloschen, er mobilisiert nach wie vor Tausende.

Die Hamburger Elbphilharmonie

Dem Baubeschluss für die Hamburger Elbphilharmonie ging eine Studie der
Unternehmensberatung McKinsey aus dem Jahr 2001 voraus - sie attestierte der Stadt, den internationalen Anschluss zu verlieren. Der Senat entwickelte daraufhin das Leitbild "Metropole Hamburg - wachsende Stadt" mit dem Ziel, sich als kulturelles Markenzeichen global zu inszenieren. Im Oktober 2011 stellte der Investor Hochtief die Bauarbeiten ein. Die Hansestadt will nicht mehr auf die bisher über hundert Nachforderungen eingehen, die von den Hochtief-Anwälten
gestellt wurden. Seit Baubeginn haben sich die Kosten für den öffentlichen Teil von 77 Millionen Euro auf 399 Millionen erhöht. Der Renditeanteil für Hochtief ist vertraglich festgeschrieben. Im eigens gebildeten parlamentarischen Untersuchungsausschuss wird der Konzern als "Anwaltskanzlei mit angeschlossener Bauabteilung“ bezeichnet.

Der Flughafen BER in Schönefeld

Mit der Faktenlage des Raumordnungsverfahrens des von Anfang an
umstrittenen Flughafen BER in Schönefeld hat sich Anfang 2013 der
Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses befasst. Der Verdacht von spekulativen Grundstücksgeschäften seitens der
Flughafenholding konnte nicht widerlegt werden. Die Kosten waren zu Beginn des Projektes mit 1,7 Milliarden Euro veranschlagt worden, jetzt sollen es bis 2014  5,1 Milliarden sein. Der neue Hauptstadtflughafen sollte wirtschaftliche Impulse für Berlin bringen - ein Milliardengrab droht nun der finanziell mehr als klammen Stadt.

Großprojekte sind Ausdruck einer neoliberalen Politik – wie die Privatisierung öffentlicher Betriebe, bei denen es im Kern ebenfalls darum geht, unter dem Deckmantel einer effizienteren Erfüllung öffentlicher Aufgaben und mit Hilfe öffentlicher Mittel die Gewinninteressen einzelner privater Großunternehmen zu befriedigen. Die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen wird seit den 90er Jahren massiv vorangetrieben. Die dahinter stehende neoliberale Sicht der
Dinge unterstellt, dass der Staat generell zu teuer ist und private Unternehmen die gleichen Leistungen besser und günstiger realisieren können. Die privatwirtschaftliche Erfüllung staatlicher Aufgaben habe große Effizienzvorteile: Unter anderem könne die öffentliche Hand durch den Abbau von Personal Ausgaben sparen, die privaten Unternehmen bräuchten sich im Personalbereich nicht an öffentliche Tarifverträge zu halten und müssten ihre Sub-Unternehmer nicht durch zeit- und kostenintensive öffentliche Ausschreibungen ermitteln.

Öffentliche Enteignung

Das vorherrschende Modell der öffentlichen Enteignung ist das Geschäftsmodell »Public Private Partnership« (PPP). Seit anderthalb Jahrzehnten wird es von den wechselnden deutschen Regierungen, der Europäischen Union, vom Internationalen Währungsfonds, von Großbanken und privaten Investoren weltweit propagiert. Unter dem trügerischen Namen einer „Partnerschaft' breitet sich dieses Modell überall auf der Welt aus. Kennzeichnend für diese demokratiefeindliche Verbindung von Wirtschaft und Politik nicht nur in Europa sind: Dubiose Vergabeverfahren, eine 30-jährige Vertragslaufzeit und eine
unübersichtliche komplexe Holding-Konstruktion mit überproportionalen
Entscheidungsbefugnissen und exorbitanten Gewinngarantien zugunsten der
beteiligten privaten Konzerne und zu Lasten der Allgemeinheit. Auch skandalöse Kompensationsvereinbarungen für den Fall der Verfassungswidrigkeit einzelner Vereinbarungen sowie die Geheimhaltung der relevanten Verträge und Dokumente sind typisch für diese Allianzen im Dienste privater Profitinteressen.

Das PPP-Geschäftsmodell wurde von den Wirtschaftsprüfern Price Waterhouse Coopers, der Unternehmensberatung McKinsey und der Kanzlei Freshfields in Großbritannien unter Tony Blair entworfen. Die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder übernahm es und es kam in Deutschland als »Öffentlich-Private Partnerschaft« (ÖPP) auf den Markt. Eine Aufklärung der Öffentlichkeit über die konkreten Inhalte der Privatisierungsverträge scheitert daran, dass die Verträge und Dokumente, wie am skandalösen Beispiel der Teilprivatisierung der
Berliner Wasserbetriebe gezeigt werden konnte, geheim gehalten werden. Darüber hinaus erschwert bereits das üblicherweise im Zuge der Privatisierung gebildete verschachtelte System der beteiligten Unternehmen die Transparenz. Solche Strukturen sind selbst von Experten nur schwer zu durchschauen und in ihren Konsequenzen zu überblicken – eine demokratische Kontrolle durch das Parlament und Öffentlichkeit wird systematisch unmöglich gemacht.

Die Berliner Wasser-Privatisierung

Doch im Fall der Berliner Wasser-Privatisierung erzwang die Bürgerinitiative Berliner Wassertisch im Februar 2011 einen Volksentscheid: über 666.000 Berliner stimmten für ein Gesetz zur Offenlegung der Geheimverträge bei den Berliner Wasserbetrieben. In Berlin sind nach 14 Jahren PPP die Wasserpreise um über 35 Prozent gestiegen, die Berliner zahlen im deutschen Städtevergleich die höchsten Wasserpreise. Das Bundeskartellamt hat im Juni 2012 eine
Preissenkungsverfügung gegen die Berliner Wasserbetriebe wegen
"missbräuchlich überhöhter Trinkwasserpreise" erlassen.


Berliner Wassertisch
NRhZ-Archiv

Drei Wasserwerke wurden geschlossen, ökologisch wichtige Wasserschutzgebiete wurden in lukratives Bauland verwandelt, Verwertungsrechte auf Patente privatisiert und der Personalbestand der Berliner Wasserbetriebe wurde massiv abgebaut. Aufgaben der Nachhaltigkeit wie Netzrehabilitation, Energieeffizienz und Reinigungsqualität werden nur unzureichend angegangen. Die Investitionen bleiben hinter dem zurück, was von den Wasserkunden dafür bezahlt wird, Erhaltungsaufwendungen werden als "Investition" abgerechnet, worunter die Substanz des Rohrleitungsnetzes leidet. Die Gewinne sind zu Gunsten der Privaten ungleich verteilt, das Land Berlin haftet für die Gewinne der privaten "Partner" und hat sich
obendrein seiner Entscheidungsbefugnisse beraubt, denn die betriebliche
Führung liegt, auch nach dem überteuerten Rückkauf der Anteile von RWE
im Oktober 2012, beim privaten Minderheitseigner Veolia. Das Land hat, obwohl es nun mit 75 Prozent der Anteile Mehrheitseigner ist, weiterhin nichts zu sagen. Es ist offensichtlich, dass ein unauflösbarer Widerspruch zwischen dem Streben eines Großunternehmens nach betriebswirtschaftlicher Rentabilität und einer am Gemeinwohl orientierten, demokratischen Wasserversorgung besteht.

Die Frage nach der Verantwortung für die beschriebenen Missstände bei
Privatisierungen und Großprojekten ist nicht leicht zu beantworten. Komplexe Systeme verselbständigen sich, ursächliche Zusammenhänge sind immer schwerer zu fassen, einzelne Verantwortliche immer schwerer auszumachen. Intransparente und kompliziert konstruierte Beteiligungsgeflechte sind weder durch Parlamente noch durch die Öffentlichkeit wirksam zu kontrollieren und öffnen der Korruption Tür und Tor.

Um Großprojekte und Privatisierungen politisch mehrheitsfähig zu machen und gegenüber einer kritischer reagierenden Bevölkerung durchzusetzen, werden zunehmend demokratiefeindliche Szenarien erprobt. Wird es den Initiativen und einer kritischen Öffentlichkeit gelingen, eine demokratische Alternative zum derzeit vorherrschenden Gesellschafts- und Politikmodell zu entwickeln und durchzusetzen? Klar ist: Der Staat muss Gestaltungsmacht zurückgewinnen, um seine Verantwortung erfüllen zu können, öffentliche und private Interessen müssen konsequent entmischt werden, BürgerInnen und Bürger müssen direkter an Kontrollen und Entscheidungen beteiligt werden. Die Proteste, die sich zurzeit
weltweit artikulieren und sich gerade auch anlässlich des „Europäischen Forums gegen unnütze und aufgezwungene Großprojekte“ vorstellten und vernetzten, geben Anlass zur Hoffnung, dass immer mehr Menschen entschlossen sind, die Hoheit über ihre Lebensgrundlagen einzufordern und den öffentlichen Raum zurückzuerobern.  (PK)
 
Ulrike Fink von Wiesenau gehört zum Sprecherteam der Initiative Berliner Wassertisch, die die BerlinerInnen vor einer weiteren Ausbeutung durch die Konzerne RWE und Veolia schützen will.


Online-Flyer Nr. 421  vom 28.08.2013

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