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Lokales
Bankrott der Kölner Politik: Programm "Mülheim 2020" in den Sand gesetzt
Die Nein-Sager von Köln-Mülheim
Von Heinz Weinhausen

Da wird das Kernstück des Mülheim 2020-Programms in den Sand gesetzt, nämlich den benachteiligten Stadtteil in der Arbeitslosenquote auf den Kölner Durchschnitt zu bringen. Weil insgesamt nur 32 von 42 möglichen Millionen Euros an Fördergeldern abgerufen werden, fließen allein im Bereich der Lokalen Ökonomie acht Millionen Euro wieder nach Brüssel zurück. Die Bürgerinitiative "Rettet Mülheim 2020" macht seit Jahren Vorschläge, wie das Programm gerade insbesondere bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit noch fruchten kann. Doch kaum einer wurde aufgegriffen, Projekte stattdessen aufgegeben. Nun steht Mülheim vor einem Scherbenhaufen.

Mülheimer Bezirksvertretung: Die Nein-Sager
Foto: INA 
 
So mussten die Mitglieder der Bezirksvertretung sich auf ihrer Sitzung am 15. April nun mit einem Bürgerantrag auseinandersetzen, der in der Notlage Ungewöhnliches wollte. Nämlich den Fördertopf für selbsttätige Bürgerprojekte, den sogenannten Verfügungsfonds, von 220.000 Euro auf fünf Millionen Euro aufzustocken und auf diese Weise die brachliegenden Millionen doch noch für Mülheim nutzen zu können.
 
Aber es war ja schon vorher klar: Wer vorher immer Nein sagte zu den Bürgervorschlägen, wer vielmehr den Ausflüchten der Verwaltung nichts entgegensetzte, der wird auch nicht den selbst angerichteten Schaden beseitigen, der nun für Mülheim eingetreten ist. Der wird auch nicht Verantwortung übernehmen und Gelder von anderer Stelle beanspruchen. Im Linksrheinischen tickt die Welt ganz anders, da wird die U-Bahn gebaut, komme, was da wolle. Da werden die zerstörten Dokumente vom Stadtarchiv in kostspieliger Weise wieder restauriert. So muss es auch sein. Im Rechtsrheinischen herrscht dagegen nur Schicksalsergebenheit in den Fraktionen der GRÜNEN, der CDU, SPD und FDP. Keiner votierte für die Ausweitung des Bürgerfonds, die Fördermillionen können nun verfallen. Einzig Wilfried Seldschopf von den Grünen zeigte sich nach meiner hier drunter wiedergegebenen Rede zur Begründung des Bürgerantrages noch erreichbar, alle anderen Fraktionen schwiegen in trauter Gemeinsamkeit. Seldschopf meinte, sie von den Grünen hätten ziemlich versagt, er habe auch ein schlechtes Gewissen. Sie wollten aber weiter kreativ versuchen. so viel Mittel wie möglich nach Mülheim zu holen. Recht so. Leider reichte die kreative Energie noch nicht dazu, für die Aufstockung des Verfügungsfonds zu stimmen, es reichte nur für eine Enthaltung. Was passiert, ist passiert. Schaden läßt sich aber wieder gut machen. Das Ziel der Bürgerinitiative bleibt bestehen: 40 Millionen Euro für Mülheim und keinen Cent weniger.
 
Einen kleinen Hoffnungsschimmer gab es dann doch noch. In einem rot-grünen Antrag wurde die Verwaltung beauftragt, zeitnah ein geeignetes Verfahren einzuleiten, damit das Projekt "Neue Arbeit für Mülheim" förderunschädlich vergeben werden kann.
 
Begründung des Bürgerantrags
 
Wir dokumentieren im Folgenden die Rede unseres Autors Heinz Weinhausen, die er am Montag zur Begründung des Bürgerantrages "Fünf Millionen Euro für den Verfügungsfonds" in der Bezirksvertretung gehalten hat. 
 
Sehr geehrter Herr Bezirksbürgermeister Fuchs,
sehr geehrte Damen und Herren,
 
die Lage beim Mülheim-Programm ist dramatisch. 42 Millionen Euro, so hat der Rat der Stadt Köln im Jahre 2009 beschlossen, wurden für Mülheim im Rahmen des Programms "Soziale Stadt" bereitgestellt. Toll, dass EU-Gelder nach Mülheim geholt wurden, eine beträchtliche Summe an Geld, um unseren benachteiligten Stadtteil endlich voranzubringen, endlich auf den städtischen Durchschnitt zu bringen - insbesondere hinsichtlich der Arbeitslosenquote und hinsichtlich des Bildungsniveaus.
 
Heute vier Jahre später zeigt sich: Nur 32 Millionen Euro wurden und werden noch an Fördermitteln abgerufen. 10 Millionen Euro, ca. 25 Prozent, wandern wieder nach Brüssel. Schauen wir genauer hin: Im Kernstück des Programms, bei der Schaffung von dauerhaften Arbeitsplätzen, werden acht Millionen Euro nicht abgerufen, während beim Städtebau sogar noch zwei Millionen Euro drauf gesattelt wurden. Was aber haben Arbeitslose von neu geteerten Straßen, mit welchen Autos sollen sie darüber fahren? Sie brauchen erst einmal dringend Arbeitsplätze.
 
10 Millionen Euro, überlegen Sie bitte einmal, das sind 100 x 100.000 Euro. Oder 1.000 x 10.000 Euro. Die Früchte hingen am Baum, aber die Verwaltung hat miserabel geerntet. Jeder Obstbauer würde pleite gehen, wenn er so arbeiten würde.
 
Die Bürgerinnen und Bürger haben früh gewarnt, 2010 wurde eigens eine Bürgerinitiative "Rettet Mülheim 2020" gegründet. Immer neue Vorschläge wurden von der Initiative gemacht, wie das Programm beschleunigt und noch gerettet werden könnte. Die Verwaltung selbst hat leider wenig reagiert, hinsichtlich des Verfügungsfonds allerdings vorbildlich. Das Engagement von Mülheimer Vereinen und Organisationen, von Bürgerinnen und Bürgern, kleinere Projekte durchzuführen war von Anfang an sehr groß. So wurden die Gelder dafür von 50.000 Euro auf 220.000 Euro aufgestockt. Auch jetzt kann noch einiges auf den Weg gebracht werden. Es ist ja in der Lokalen Ökonomie beispielsweise noch kein einziger dauerhafter Arbeitsplatz für Benachteiligte geschaffen worden, obwohl dies die erste erklärte Absicht des Mülheim 2020-Programms ist. Das ist doch wie eine Bundesgartenschau, bei der man die Gärten vergessen hat.
 
Sehr geehrte Mitglieder der Bezirksvertretung, hier ist vor allem ihr Engagement gefragt. Bisher haben Sie, so mein Eindruck als Bürger, ja in vielem nur zugesehen, wenn die Verwaltung misswirtschaftete, nur selten haben Sie eingegriffen.
 
Der Kardinalfehler war, dass Sie das im Jahre 2010 von der Verwaltung aufgestellte Dogma unbesehen schluckten. Es lautet: "Jedes Projekt muss europaweit ausgeschrieben werden." Seitdem heißt es immer wieder, es wäre alles so kompliziert, langwierig und aufwendig. Hätten Sie, sehr geehrte Mitglieder der Bezirksvertretung, sich aber das von der Stadt Köln beauftragte Rechtsgutachten einer Düsseldorfer Kanzlei zeigen lassen, hätten Sie durch Fettschrift hervorgehoben gelesen. "In jedem Einzelfall muss geprüft werden, wie die Ausschreibungen zu gestalten sind und ob gegebenenfalls auch eine Direktvergabe in Betracht kommt."
 
Eine Direktvergabe, also das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb, ist dann der bessere und der richtige Weg, wenn eine preisliche Vergleichbarkeit schwierig ist, sprich besondere lokale Bedingungen im Programmgebiet vorliegen. Die erwähnte Ausnahme gilt dadurch generell bei den sogenannten B-Dienstleistungen, nämlich Soziales, Bildung und Kultur.
 
Die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim hat den Sachverhalt für das Projekt "Neue Arbeit für Mülheim" ebenfalls anwaltlich prüfen lassen. Ich zitiere das Fazit: "Die Stadt hat bereits mit der Wahl der Vergabeart einen Vergabefehler begangen. Sie hat außerdem eine Leistung ausgeschrieben, für die sich in der ganzen EU kein einziges »Unternehmen« gefunden hat. Jetzt dem SSM die Schuld zuzuweisen für den Nichtabruf der Mittel ist, jedenfalls juristisch gesehen, abwegig."
 
Die Verwaltung konnte sehr wohl, wollte aber nicht den einfachen Weg. Und dann hat sie nach dem Eintreffen des Zuwendungsbescheids für das Projekt "Neue Arbeit für Mülheim" mit der europaweiten Ausschreibung sage und schreibe 15 Monate gebraucht, um sie zu starten. Normalerweise schafft das die Verwaltung in 3 bis 6 Monaten. Haben Sie da eingegriffen, sehr geehrte Politikerinnen und Politiker? War das hier Thema in der Bezirksvertretung?
 
Haben Sie gerügt, dass auch die Vorarbeiten und die Ausschreibungen im wichtigen Bildungsbüro und beim jetzt gerade eröffneten Wirtschaftsbüro wieder und wieder hinausgezögert wurden? Mit der Folge, dass beide Projekte um die Hälfte der Mittel und um mehr als die Hälfte der Projektzeit abgespeckt wurden? Hier allein geht es um mehrere Millionen Euro, die der EU sozusagen geschenkt wurden. Trotz des guten Engagements der beauftragten Firmen, für unseren Stadtteil heißt die Konsequenz: Strohfeuer statt Nachhaltigkeit.
 
Stellen Sie sich bitte vor: Das Projekt "Sprachförderung in den Kitas" war schon von der Verwaltung aufgegeben. Erst durch einen Bürgerantrag im Mai 2012, der das direkte Verhandlungsverfahren beantragte, wurde der erste Schritt getan, diesem Projekt wieder Leben einzuhauchen. Und es ist tatsächlich seit dem Januar dieses Jahres am Start. Dies zeigt wiederum, wie kreativ die Verwaltung bei gutem Willen arbeiten kann. Sehr geehrte Mitglieder der Bezirksvertretung, war die Wiederbelebung nicht ihre Aufgabe gewesen? Herr Seldschopf, die Thematik wurde doch damals bei den Grünen diskutiert. Warum legten Sie die Hände in den Schoß?
 
Und haben Sie, sehr geehrte Damen und Herren, schon einmal überlegt, wie es kommen kann, dass die Stadt für den Fahrradweg am Rheinboulevard Gelände in Millionenhöhe gekauft hat, während ein Bodenkauf auf der Industriebrache "Alter Güterbahnhof" für das Leuchtturmprojekt "Internationales Geschäftshaus" angeblich nicht machbar ist? Das Ergebnis: Radfahren statt neuer Arbeitsplätze. Richtig wäre: Radfahren und neue Arbeitsplätze
 
Das vorbildliche Projekt "Stadtteilmütter" wurde von der Verwaltung wiederum rechtzeitig und effizient auf den Weg gebracht. So fließen die Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit nun ohne Probleme. Das Projekt "Baurecyclinghof", zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslose vorgesehen, wurde dagegen verschleppt, bis es dann für Zuschüsse vom Arbeitsamt zu spät war. Das wurde dann kurioserweise als Begründung für die Aufgabe dieses sozialen und innovativen Arbeitsprojektes genommen.
 
Nun es hilft nichts, was passiert ist, ist passiert. Blicken wir nach vorne. Es kann nicht sein, dass zehn Millionen Euro, die einkalkuliert waren, nun nicht in unseren benachteiligten Stadtteil fließen. Arbeitsplätze müssen geschaffen werden, Schaden muss wieder gut gemacht werden. Das ist jedenfalls im Linksrheinischen so. Da kann das Stadtarchiv zusammenstürzen, die Politik beschließt, dass es neu gebaut wird, dass die vielen beschädigten historischen Dokumente zu möglichst 100 % repariert werden. Da kann der U-Bahnbau daniederliegen, es wird nicht beschlossen, dass nur 75 % der Strecke gebaut werden. Nein, alles wird umgesetzt, wie es geplant wurde. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Das muss auch für das Rechtsrheinische gelten. Und beim Mülheim 2020-Programm im Besonderen. Das Soziale und die Bildung sind nämlich die wichtigsten Fundamente einer Stadt.
 
Sehr geehrte Mitglieder der Bezirksvertretung, jetzt sind Sie gefragt und jetzt sind Sie in der Verantwortung, die von der Verwaltung schon aufgegebenen zehn Millionen Euro für unser benachteiligtes Mülheim wieder flott zu machen. Und an ihrem Engagement werden Sie selbstverständlich auch in der kommenden Kommunalwahl gemessen werden. Einen guten Schritt in diese Richtung haben die Fraktionen der SPD und der GRÜNEN jetzt gemacht, ein Dringlichkeitsantrag zur Umsetzung des Projektes "Neue Arbeit für Mülheim" ist für die heutige Sitzung eingebracht worden. Dies ist ganz im Sinne unseres Oberbürgermeister Jürgen Roters, der mehrfach versprochen hat, dass alle Projekte umgesetzt werden. Sehr geehrte Mitglieder der Bezirksvertretung, für diesen ihren Einsatz danke ich Ihnen.
 
Es bleibt allerdings noch mehr zu tun. Ich als Mülheimer Bürger beantrage in dieser Notsituation, dass der Verfügungsfonds auf fünf Millionen Euro aufgestockt wird.
 
Das ist auch nicht absurd, wie es Herr Projektleiter Oster der Presse gegenüber meinte darstellen zu müssen. Die Bürgerdienste, die Vereine, die Schulen, die Bürgerinnen und Bürger haben sich beim Mülheim 2020-Programm sehr engagiert und kreativ gezeigt. Das werden sie auch in Zukunft sein. 100 x 100.000 Euro für vielfältige Projekte, für Arbeitsplätze und Bildung. Alle zusammen können wir es schaffen, Mülheim voran zu bringen. (PK)
 


Online-Flyer Nr. 402  vom 17.04.2013

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