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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Inland
Drittes europäisches Forum gegen gegen aufgezwungene Großprojekte
Der Widerstand wird stärker
Von Lothar Reinhard

Der Widerstand gegen unnütze und aufgezwungene Großprojekte wird in ganz Europa immer stärker. Es gibt derzeit noch keine entsprechende Plattform für Deutschland, aber auf dem "Dritten europäischen Forum gegen unnütze Großprojekte vom 25. bis 29. Juli 2013 in Stuttgart"(1) werden hoffentlich viele auch aus Deutschland vertreten sein. Gedanken zu den bedenklich aus dem Ruder laufenden Groß- und Prestigeprojekten in Serie von Lothar Reinhard, MBI-Fraktionsvorsitzender im Mülheimer Stadtrat.

S21-A2/3 Schlossgartenviertel
Quelle: www.deutsches-architektur-forum.de
 
Als Mugabes Regierungspartei ZANU sich in Zimbabwe ein Monumental-Gebäude als Hauptquartier in der Hauptstadt Harare baute, nannten die Afrikaner das einen „weißen Elefanten“, der ihnen das Essen stehle. Doch nicht nur in Diktaturen möchten viele Herrschende mit monumentalen Prachtbauten in die Geschichte eingehen. Höher, größer, gigantischer und koste es was es wolle, gilt nicht nur für Dubai, Kuala Lumpur oder Shanghai, sondern auch für Hamburg, Berlin, Köln, Düsseldorf und selbst für die Deutsche Bahn.
 
Doch auch viel bankrottere Städte wie Duisburg oder Dortmund wollten da nicht zurückstehen, ob mit „U“ in der BVB-Stadt, Eurogate und „lebenden Brücken“ o.ä. in der ex-Schimanski-Stadt. Fast jeder Kirchturm selbst im finanziell ausgebluteten Ruhrgebiet ließ sich sein eigenes Haupt-Prestigeprojekt aufschwatzen, womit der/die jeweilige OB eine wunderschöne Zukunft heraufbeschwor (28 ähnliche Projekte am Wasser alleine im Ruhrgebiet im letzten Jahrzehnt! Wie von der Stange). Je größer, je besser und Gutachter finden sich immer, die das für übermäßig viel gutes, öffentliches Geld in den höchsten Tönen loben, bunte Hochglanzbroschüren und Powerpoint-Präsentationen erstellen, die privaten „Partner“ mitliefern uswusf.
 
Jetzt zeigte sich zuletzt immer häufiger und fast überall, dass all die Prestigeprojekte gänzlich aus dem Ruder laufen. Stuttgart 21, Berliner Flughafen, die Hochmoselbrücke, das Duisburger Landesarchiv, der Nürburgring, die Elbphilharmonie, das Bonner „World Trade Center“, die Kölner U-Bahn, das Dortmunder U und, und, und … sind nur wenige Beispiele der letzten Monate. Der mainstream-Medientross und ganze Talkshows fragten bereits scheinheilig, was denn falsch laufe. Denn schließlich waren sie selbst an vorderster Stelle beteiligt, die ganzen gigantomanischen Fantasien inklusive der abenteuerlichen Finanzkonstruktionen lange Zeit hochzuloben.
 
Die gesamten Erkenntnisse und Diskussionen der 70er Jahre („Grenzen des Wachstums“) und der 80er Jahre bis Mitte der 90er („Rio-Konferenz mit agenda21“, Nachhaltigkeitsgebot, Klimakatastrophe) waren danach im Geiste eines ungezügelten Neoliberalismus („Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung“ als Heilsbotschaften) fast völlig an die Wand gedrängt und durch einen allumfassenden Kasinokapitalismus ersetzt worden, global, fast überall und in der sog. „entwickelten“ Welt bis in jede noch so kleine Kommune. Gier und Eitelkeit waren die obersten Motive und aggressive Werbung bzw. Schönrederei (hieß früher einmal Propaganda) die Methode ganz im Sinne einer radikalen Angebotsphilsophie, die alle Marktgesetze missachtete und immer mehr Menschen selbst in den sog. reichen Staaten ins „Prekariat“ ausgrenzte. Doch nichts konnte die Wahnsinnigen abhalten, ganz im Stil von Heroinsüchtigen immer größere Projekte auflegen zu „müssen“ und in immer größerem Ausmaß „Beschaffungskriminalität“ zum Normalfall zu machen (crossborder leasing, „Sale and lease back“, private public partnership usw., aber auch Bilanzfälschungen selbst im ganz großen Stil bei öffentlichen und privaten Händen, siehe Griechenland, Italien, Enron u.v.m. im kleinen und großen, in vielen NRW-Städten z.B. auch durch und mit Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements für Gemeinden im Land Nordrhein-Westfalen, NKF)
 
Dann kam der erste ganz große Knall mit der Immobilien- und Finanzkrise ab Ende 2008. Der Schock saß zwar tief, doch die Angst um die „systemischen“ Banken als die wahren Regierenden war noch größer, so dass das angerichtete Desaster auf die Staaten und damit auf die breite Masse der Menschen umverlegt wurde. Ausgang ungewiss!
 
Wie die fortdauernden Orgien bei Boni- oder Gehälterexzessen bei Banken und Großfirmen zeigen, hat der Schock nichts bewirkt. Genauso setzte bei den größenwahnsinnigen o.g. Prestigeprojekten auf allen Ebenen kein Nachdenkprozess ein, geschweige denn ein Umsteuern. Das sieht man nicht nur bei Schuttgart 21, der Elbphilharmonie oder dem Landesarchiv in Duisburg.

Werbung für Ruhrbania in Mülheim
NRhZ-Archiv
 
Auch in der kleinen Großstadt Mülheim, von allen Ausgangsbedingungen her die mit Abstand reichste Stadt des Ruhrgebiets, hält eine große Mehrheit von SPD, CDU, FDP und Grünen krampfhaft an den Plänen des sogenannten „strategischen“ Stadtentwicklungsprojektes Ruhrbania (beschlossen 2003 als „Wohnen, Arbeiten und Erleben am Fluss“) fest, obwohl das grandiose Scheitern seit Jahren bereits mehr als offensichtlich und für jeden sichtbar ist. Nichts, aber auch garnichts klappte so, wie man sich das als Wolkenkuckucksheim erträumt hatte bzw. hatte einreden lassen. Luxushotel – wurde nix, weil kein Bedarf. Ärztehaus – wurde sogar zweimal nix, weil für die meisten Ärzte zu riskant und zu teuer. Fachhochschule in Ruhrbania – konnte nix werden, weil getürkte Bewerbungsunterlagen beim Zuschlag für die neue FH. Und nun ist selbst die Architektur des mit vielen Jahren Verzögerung doch noch erbauten ersten Klotzes in Plattenbauweise derart unpässlich, dass inzwischen auch die WAZ, die es eigentlich immer überaus gut mit Ruhrbania meinte, auf den hässlichen Missstand hinweist. In der Printausgabe letzte Woche lautete die Überschrift „Ist das die schöne neue Welt?“ Online wurde die Überschrift abgeschwächt in „Ruhrbania-Fassade sorgt für Diskussionsstoff.“
 
Selbst wenn das eine oder andere nicht ganz so dilettantisch wie Ruhrbania in Mülheim gänzlich in die Hose geht, so muss man dennoch fragen, was sich denn drumherum durch das jeweilige gigantische Prestigeprojekt als Folge getan hat bzw. tun wird.
 
Es ist z.B. eine Binsenweisheit, dass die Bahn durch Stuttgart 21 viel weniger in die Fläche investieren wird, eine Katastrophe für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Durch den Bau immer weiterer Autobahnstücke und sündhaft teurer Brücken für kaum Verkehr wie an der Mosel wird das Geld u.a. für die überfälligen Brückensanierungen fehlen, die in riesigen Ausmaßen anstehen. (Dabei waren z.B. die Schwächen der Spannbetonbrücken seit Jahrzehnten bekannt!). Durch die beschlossene milliardenteure Elbvertiefung würden nicht nur gigantische Umweltzerstörungen und zusätzliche Hochwasserrisiken produziert, auch der gerade erst für ebenfalls Milliarden (mit der üblichen Verspätung und Verteuerung) gebaute TiefseehafenWilhelmshaven bekäme ökonomisch tödliche Konkurrenz durch Hamburg, wodurch einer der beiden oder beide als riesige Fehlinvestitionsruinen enden würden.
 
Für fast alle Gigantomanien kann man Ähnliches durchspielen. Und bei dem noch geplanten bzw. bereits beschlossenen noch größerem Wahnsinn wie der deutschen Variante von Berlusconis Sizilientunnelfantasie, dem Fehmarntunnel bis Dänemark, oder der Beck'schen Loreley-Rheinbrücke uswusf. bis in jede Kommune hinein, wird die bedrohliche Junkie-Logik der gesamten Angebotsorientierung des gescheiterten Monetarismus von Milton Friedmann deutlich, die nicht nur Umwelt und Menschen gnadenlos und immer schneller unter die Räder kommen lässt, sondern auch die funktionierenden Gemeinwesen in den sog. „entwickelten“ Ländern nach und nach völlig aus den Fugen geraten lässt.
 
Zur Veranschaulichung im Kleineren das Beispiel Mülheim und sein Ruhrbania:
Dafür nämlich hat die Stadt Mülheim ganz viel funktionierende Infrastruktur in der Innenstadt zerstören müssen: Rathausneubau, Bücherei, Denkmal Stadtbad leer ziehen (u.a. Rio-Kino, Kulturamt) für Umbau zu Luxuswohnungen, Ärztehaus im ehemaligen Stadtbadanbau abgerissen, das Gartendenkmal als grünes Gesicht der Stadt und die Ruhrstraße als Hauptverkehrsstraße zerstört und überbauen lassen. Das alles und die notwendige Ersatzbeschaffung hat die Mülheimer Innenstadt inklusive des nun leeren Kaufhofkolosses durch die jahrelangen Großbaustellen endgültig ruiniert, die Verkehrsführung weiter verschlechtert und die Stadtfinanzen auf Jahrzehnte - auch wegen der ganzen PPP-Umwegfinanzierungen - so hoffnungslos zerrüttet, dass Rettung nur noch kommen kann, wenn das Geld kaputt geht. Die eigentlich reiche Stadt Mülheim kann inzwischen selbst mit einer strukturschwachen Rest-Bergbaustadt wie Bottrop nicht mehr mithalten, und inzwischen ist Mülheim auch die einzig verbliebene NRW-Großstadt im Nothaushalt! „Tolle“ Leistung in der Heimatstadt von Hannelore Kraft, gell? Ganz am Rande: Zwei Bürgerbegehren gegen den Ruhrbania-Wahnsinn wurden mit bürokratischen Methoden für unzulässig erklärt, wohlwissend, dass eine überwältigende Mehrheit bei einem Bürgerentscheid die destruktiven Ruhrbania-Fantasien beendet hätte!
 
Doch immer noch wollen die Ruhrbania-Verfechter nicht einmal an Schadensbegrenzung auch nur denken. Wegen des seit drei Jahren kaum vermarktbaren neuen Stadtbadanbaus hat Vivacon bereits Schadensersatzansprüche von 300.000 € angemeldet, was vor Gericht geklärt wird. Die Vermarktung des gelben Klotzes (s.u.) in Baufeld 1 stockt ebenfalls, und mit der Bebauung von Baufeld 2 konnte noch nicht einmal begonnen werden, inzwischen fast vier Jahre später als ursprünglich behauptet. Damit bleibt auch der Rathausplatz gegenüber tote Parkplatzfläche, so oft auch der Rat bzw. seine Ausschüsse dafür eine bessere Zukunft beschließen mögen, wie zuletzt im Februar.
 
Die MBI-Fraktion hatte im letzten Sommer den erneuten Versuch der Schadensbegrenzung gestartet durch den Antrag zur Beendigung der Planung für weitere Ruhrbania-Baufelder 3-5 zwischen Eisenbahnbrücke und Friedrich-Wilhelm-Hütte, der aber mehrheitlich und diskussionslos(!) abgelehnt wurde. Es gibt ja auch keine wirklichen Argumente für dieses verantwortungslose Verhalten mehr! In den Feldern 3-5 müssten Gesundheitshaus, ex-Arbeitsamt (heute Ausländeramt als einer der diversen Rathausersatzgebäude) und die AOK (müsste noch gekauft werden) niedergelegt und Ersatz beschafft werden. Der 15 Millionen teure Abriss der intakten overflies am Brückenkopf dahinter wurde bereits getätigt und war verkehrsmäßig kontraproduktiv, von den allein dafür gefällten über 80 Innenstadtbäumen redet ohnehin keine/r mehr.
 
Was würde der Afrikaner in einer Diktatur zu all dem sagen? „Wo weiße Elefanten durchgefüttert werden, muss der Rest halt hungern.“ Oder anders ausgedrückt: In großen Schritten bewegt sich die ehemalige Erste Welt in Richtung dessen, was vor Jahrzehnten als typisch Dritte Welt galt: Segregationsprozesse im Eiltempo, bei denen insbesondere die Groß- und Prestigeprojekte die Katalysatoren sind.
 
Fazit: Eine breiter angelegte Initiative gegen unsinnige Großprojekte allerorten müsste längst auf der agenda stehen! Das gibt es auf europäischer Ebene ansatzweise schon. Deshalb noch einmal der Hinweis auf das "Dritte europäische Forum gegen unnütze Großprojekte vom 25. bis 29. Juli 2013 in Stuttgart" (1)
 
Die WAZ nannte Ruhrbania einst „Operation am Herzen der Stadt“. Der misshandelte Patient Stadt röchelt ob der massiven Eingriffe höchstens noch, doch der Stadtsprecher sagt in Vertretung vonr Obermeisterin Mühlenfeld: „Wartet ab, bis die Totaloperation fertig ist.“ Zynismus oder Dummheit? Der Vergleich mit der MüGa (Mülheimer Landesgartenschau 1993) ist völlig daneben, siehe auch „MüGa und Ruhrbania, zwei entgegengesetzte Welten?“ (2) (PK)
 
Lothar Reinhard ist Fraktionssprecher der Mülheimer BürgerInitiativen (MBI) im Stadtrat.
 
 
(1) http://drittes-europäisches-forum.de
(2) http://www.mbi-mh.de/2012/07/01/muega-und-ruhrbania-2-entgegengesetzte-welten/
 


Online-Flyer Nr. 398  vom 20.03.2013

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