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Krieg und Frieden
Reuven Moskovitz warnt vor Kriegslust der israelischen Regierenden
Mit meinen letzten Atemzügen der Hoffnung
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Vorgezogene Parlamentswahlen haben stattgefunden in Israel im Januar 2013, und die Politik heißt: Weiter so! Die Politik zur Vollendung der palästinensischen Katastrophe und der den Weltfrieden gefährdenden kriegerischen Aggression Israels. Besorgt wendet sich der 84jährige in Jerusalem lebende Aachener Friedenspreisträger von 2003, Reuven Moskovitz, an seine deutschen Freunde: „Ich, Reuven Moskovitz, kein Holocaust-Überlebender, sondern Überlebender der Shoah-Katastrophe, die nicht nur die Shoah des jüdischen Volkes war sondern auch die der Aufklärung, der Demokratie und der Freiheit, rufe auf mit meinen letzten noch gebliebenen Atemzügen der Hoffnung: Hört auf, auf diese Stimmen zu hören, die unaufhörlich die Lüge über einen Antisemitismus wiederkäuen, um damit gerade die Falschen zu verunglimpfen.... Nichts kann in diesen Augenblicken aufrichtiger sein als der Versuch, die Kriegslust der israelischen Regierenden zu kritisieren und zu mahnen.“


Reuven Moskovitz (Träger des Aachener Friedenspreises von 2003) am 1.9.2011 in Aachen
Fotos: arbeiterfotografie.com

Vor wenigen Tagen, am 30. Januar 2013, drangen israelische Kampfflugzeuge in syrisches Hoheitsgebiet ein und bombardierten Ziele bei Damaskus. „Und während ich dies schreibe, bestätigen internationale Medien, aber nicht Israel, dass israelische Flugzeuge unprovoziert militärische Einrichtungen in Damaskus bombardiert haben, es gab Tote und Verletzte.“ Aus aktuellem Anlass größter Besorgnis erhebt der in diesem Jahr 85jährige Historiker Reuven Moskovitz, Autor von „Der lange Weg zum Frieden. Deutschland – Israel – Palästina“ ein weiteres Mal „mit meinen letzten Atemzügen der Hoffnung“ seine Stimme – sich selbst bewusst darüber, wie wenig seine über 60jährige Arbeit als aktiver „Friedensabenteurer“ zu einem angestrebten gerechten Frieden beizutragen vermocht hat. Anlässlich der Preisverleihung der Amos-Preise der evangelischen Kirche 2011 fragt er, wie man es schafft „in einem Land, geplagt von Krieg, Hass, Fanatismus, Selbstsucht und Habgier, dass Frieden sich durchsetzt? Frieden, der eine Frucht der Gerechtigkeit ist?“

Israel, eine Demokratie ohne Demokraten

Moskovitz, der in den 70er Jahren intensive Studien zum Thema „Deutsche und Juden zwischen der Macht des Geistes und der Ohnmacht der Gewalt“ betrieb, kommt heute zu dem Schluss: „80 Jahre nachdem die demokratische Republik Deutschland kapituliert hat gegenüber einem der größten Schurken der Geschichte, Adolf Hitler, zeigt sich paradoxerweise Israel ’die einzige Demokratie im Nahen Osten’ – ähnlich wie die Weimarer Republik – als eine Demokratie ohne Demokraten.“

Frieden, eine Frucht der Gerechtigkeit

„Nach den Wahlen in Israel versuchen irrtümlicherweise auch aufgeklärte Menschen über einen Ruck in der israelischen Politik zu sprechen. Diesen Ruck gab es leider nur bei hunderttausenden Wählern, die den ‘falschen‘ Demokraten gewählt haben. Die Wahlen haben gezeigt, dass Israel eine Demokratie ist, mit noch weniger Demokraten als damals in Deutschland nach der Machtübernahme Adolf Hitlers. Damals haben noch 56 % der Wähler gegen Hitler gestimmt. In Israel aber reichen die Wahlergebnisse aus, um noch einmal Netanyahu als Ministerpräsidenten zu bestätigen, allerdings nur mit der Unterstützung durch den angeblich demokratischen Star, Yair Lapid. Es mögen sich unter den 19 Abgeordneten Lapids manche aufrichtigen Demokraten befinden. Er selbst aber ist kein Demokrat, wenn er wiederholt betont, dass er auf keinen Fall bereit ist, sich an einer Regierungskoalition zu beteiligen, die von den arabisch-israelischen Abgeordneten unterstützt wird.“

Kriegstreiber bestimmen die Politik

„Wenn auch geschwächt, werden Netanyahu, Liebermann und andere Kriegstreiber die Politik bestimmen. Die Beweise bekommen wir noch, bevor die neuen Abgeordneten und die neue Regierung angetreten sind. Plötzlich hat Netanyahu keine Zeit, sich mit einer Regierungsbildung zu beschäftigen. Die ersten Schritte zu einer neuen Brandstiftung sind schon gemacht worden. Gestern wurde die israelische Öffentlichkeit informiert, dass Israel vor einem ’neuen Untergang’ steht: Unkonventionelle chemische Waffen sollen sich in den Händen des syrischen Diktators Bassar Assad befinden. ’Selbstverständlich’ muss man sofort reagieren – bedrohliche Geschwader der israelischen Luftwaffe sind die ganze Nacht und den heutigen Tag über Libanon geflogen.“ Wie sich die Bilder und vorgeschobenen Kriegsgründe doch gleichen.

Aachener Friedenspreis 2003

Laudator Andreas Zumach würdigt Reuven Moskovitz, den Preisträger des Aachener Friedenspreises 2003, als „zu den unermüdlichen Warnern vor der Gefahr des eskalierenden Terrors und Gegenterrors im Nahen Osten“ gehörend. „Wer wie Reuven Moskovitz als Jude damals dennoch oder gerade wegen der Erfahrungen im Golfkonflikt umso dringlicher auf einem friedlichen Ausgleich mit den Palästinensern beharrte, wurde als Nestbeschmutzer oder Verräter beschimpft.“ Doch der Preisträger belasse es „nicht bei klagender Analyse, sondern benennt die aus dieser Verstrickung für Deutschland erwachsende Verantwortung, an einer Problemlösung aktiv mitzuwirken. Diese Verantwortung hieße zunächst einmal, dass auch in Deutschland Politiker wie auch die Kirchen gewisse Tatsachen zur Kenntnis nehmen oder nicht mehr länger leugnen.“

Lautes Schweigen

Als „lautes Schweigen“ vernimmt die langjährige stellvertretende Vorsitzende des Aachener Friedenspreises, Veronika Thomas-Ohst, neben Reuven Moskovitz die mangelnde Unterstützung der vielen israelischen und palästinensischen Preisträger von Aachen – angefangen mit Mitri Raheb, Nabila Espanioli, Roni Hammermann und Uri Avnery. Preisträger und staunende Öffentlichkeit „warten auf ein Zeichen der Solidarität“. Sie erwarte eine Stellungnahme „zu den Schandtaten der israelischen Regierung“. Gefahr sei im Verzuge in Anbetracht „der jüngsten Ereignisse in Israel“ und niemand solle irgendwann sagen können „er habe NICHTS gewusst.“ Eine deutsche Spezialität?

Lüge Antisemitismus

Mit seinem „letzten Atemzug“ vergleichbar mit Grass’ „letzter Tinte“, dem Jahrhundertschriftsteller, der „von intelligenten Dummköpfen zum Schweigen gebracht wurde“, ringt ein jung gebliebener alternder Mensch und Holocaust-Überlebender, Reuven Moskovitz, wie eine Kassandra um Gehör und verurteilt den verlogenen Kampf mit den Mitteln des instrumentalisierten Antisemitismus. Auch Thomas-Ohst, Mitbegründerin des jüdisch-christlich-islamischen Trialogs sah sich in der Vergangenheit zahlreichen Kampagnen und Medienhetze ausgesetzt. Wie viele Kritiker der ungesetzlichen israelischen Politik wurden leichter Hand und mit einem Streich des „Antisemitismus“ beschuldigt?


Reuven Moskovitz mit Walter Herrmann (beide Träger des Aachener Friedenspreises) am 1.9.2011 in Aachen

Soeben erstritt, ebenfalls ein Aachener Friedenspreisträger, dem wegen seiner Kritik an der israelischen Gewaltpolitik Antisemitismus vorgeworfen wurde, seine Wiedereinsetzung in die Ratsfraktion der „Linken“. Aber die Glashäuser dieser Republik geraten ins Wanken und deutsche Wahlen bringen – abseits von geringen Beteiligungen – Tendenzen zum Ausdruck. Moskovitz mahnt in seiner Botschaft aus Jerusalem: „Hört auf, auf diese Stimmen zu hören, die unaufhörlich die Lüge über einen Antisemitismus wiederkäuen, um damit gerade die Falschen zu verunglimpfen. Nämlich, wie ich es nenne, das prophetische Zehntel Deutschlands, das Zehntel, das sich gerade um die Zukunft Israels, des Nahen und Mittleren Ostens und ohne Zweifel auch Europas, Sorge macht. Nichts kann in diesen Augenblicken aufrichtiger sein als der Versuch, die Kriegslust der israelischen Regierenden zu kritisieren und zu mahnen.“

Wie prophezeite doch der große jüdische Philosoph und moderne Exponent der dialektischen Auseinandersetzung, Theodor W. Adorno: „Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten."

Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann sind Mitglieder des Aachener Friedenspreis e.V. und des Bundesverbands Arbeiterfotografie.

Online-Flyer Nr. 392  vom 06.02.2013

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