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Kommentar
Kommentar vom "Hochblauen"
Kritik, aber ohne Konsequenzen!
Von Evelyn Hecht-Galinski

Merkel hat in der Pressekonferenz mit Israels Ministerpräsident Netanjahu die israelische Siedlungspolitik kritisiert, mit dem diplomatischen Satz: "Wir sind einig, dass wir uns nicht einig sind" (We agree to disagree), doch das war es auch schon. Die Kanzlerin lobte in ihrem Statement die Zusammenarbeit, betonte abermals, dass "die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson" sei und verfälschte mit der unrichtigen Aussage, dass bei den "jüngsten Eskalationen" im Gaza-Streifen die Schuldfrage eindeutig geklärt sei, "Hamas-Extremisten" hätten mit ihrem fortdauernden Raketenbeschuss Israel zum Handeln genötigt.
 

Frau Merkel – war das korrekt?
NRhZ-Archiv
Weiter stellte sie fest, dass "Ursache und Wirkung nicht durcheinandergebracht werden dürfen"! Wie wahr Frau Merkel, nur dieser Satz stimmt, Ursache sind die Blockade und Einriegelung, Ursache waren Morde der israelischen Kriegsarmee an unschuldigen Jugendlichen im Gaza-Streifen und gezielte Morde an Hamas-Führern. Frau Merkel, kein Wort des Bedauerns an die Angehörigen der Opfer der israelischen Gräueltaten, sondern nur die Bekräftigung auf Israels Recht auf Selbstverteidigung!
 
Es gab noch einen kleinen Schönheitsfleck: Auch Rivka Feldhay eine Wissenschaftlerin und Forschungsdirektorin des Minerva Humanities Center und Mitarbeiterin der Universität Tel Aviv, war zu den Wirtschaftskooperationsgesprächen in Berlin eingeladen worden, immerhin ist sie seit fünfundzwanzig Jahren auf diesem Gebiet tätig. Sie befand sich schon in Berlin, als ihr die deutsche Botschaft aus Tel Aviv mitteilte, dass sie auf "Befehl" des Chefs des Nationalen Sicherheitsrats von Israel, Jakov Amidror ausgeladen wurde und ihre Teilnahme unerwünscht sei, da sie der Regierung gegenüber kritisch eingestellt sei und sich gegen die Besatzungspolitik ausgesprochen hatte. Frau Feldhay betonte, dass sie entgegen den Anschuldigungen nie zu irgendwelchen Maßnahmen, etwa Boykotten, oder zur Befehlsverweigerung von Soldaten aufgerufen hätte. Man sieht daran, wie der jüdische Staat alle Kritiker, von "soft bis hart" als Feinde zum Schweigen bringen will. Das reiht sich ein in die Repressalien (z.B. Einreiseverbote) gegen Professoren wie, Chomsky, Finkelstein, Pappe, Butler, unter vielen anderen Personen, entweder von Israel aus, oder vom Zentralrat der Juden. Auch ich erlebte so etwas, als man gegen eine Teilnahme in einer Phoenix-Diskussion seitens der israelischen Botschaft, natürlich erfolgreich, intervenierte. Schon interessant, wie die Israel Lobby Kritik und Fakten fürchtet. Immerhin, auch das ist schon ein Erfolg unserer Arbeit!
 
War es doch alles so stimmungsvoll geplant von Frau Merkel und Außenminister Westerwelle im Kanzleramt und im Gästehaus der Bundesregierung, Villa Borsig, zum Nikolaustag. Der Schnee rieselte auf die Dachterrasse des Kanzleramts. Bei einem Empfang in der Villa Borsig sangen Schüler der Jüdischen Oberschule Chanukka- und Weihnachtslieder vor dem Kamin, man trank Glühwein auf der Terrasse, mit Lagerfeuer. Sogar der israelische Finanzminister Yuval Steinitz, der den Palästinensern gerade als Strafaktion ihre ihnen zustehenden Steuergelder einbehalten hatte, bemerkte: "Auch wenn es draußen kalt ist, hier drinnen ist es herrlich. Er dankte auch für die wunderbare Atmosphäre und Freundschaft"! Merkel kredenzte derweil zum intimen Abendessen unter vier Augen Lachs, Perlhuhn und Apfelküchlein. Etwas Wehmut wird allein Westerwelle beschlichen haben, da sein israelischer Freund und Kollege Lieberman kurzfristig abgesagt hatte, und daher konnte auch ein Regierungsabkommen nicht unterzeichnet werden, das dem fünfzigsten Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten gegolten hätte.

Anstatt nach Berlin zu kommen, wirft Außenminister Lieberman den Europäern judenfeindliche Politik vor. Er schämte sich nicht, die europäische Kritik am Siedlungsbau mit der Judenfeindlichkeit Ende der dreißiger Jahre zu vergleichen. Diese Instrumentalisierung des Holocaust zeigt erneut, warum Israel so vehement darauf dringt, als Jüdischer Staat von den Palästinensern anerkannt zu werden. So wird berechtigte Israel-Kritik zu Judenfeindlichkeit, sprich Antisemitismus! So werden wir alle mundtot und zu Antisemiten gemacht. Dass müssen wir erkennen und nicht mehr so einfach hinnehmen!

Aber Frau Merkel hat ja schon die intensiven Bande zwischen Westerwelle und Lieberman für die weitere Zukunft geplant: beide Außenminister sollen intensiv die geplanten Feierlichkeiten zu diesem Zweck für 2015 vorbereiten, das lässt uns das Schlimmste befürchten! Westerwelles Wehmut wird sich schnell verflüchtigt haben, angesichts der Tatsache, dass im Grunde Merkels Strategie aufgegangen zu sein scheint, die vierten Regierungskonsultationen, unter dem Motto "Innovation, Bildung, Nachhaltigkeit" durch "aktuelle" gemeinsame Interessen glänzen zu lassen und "aktuelle" Verstimmungen klein zu halten. Bewies sie das doch auch schon, als sie Lieferungen von Panzern an Saudi Arabien beschönigte und mit der Bedrohung vom iranischen Atomprogramm gegenüber Saudi Arabien verband, unserem strategischen Verbündeten.
 
Mit dieser Falschaussage hat sie meiner Meinung nach wieder einmal einen kapitalen Bock geschossen, da es mir neu ist, dass man sich mit Panzern vor einer atomaren Bedrohung schützen kann, sehr wohl diese aber zur Vereitelung von Demonstrationen und Protesten von Gegnern im eigenen Land benutzen kann! Merkel macht sich hier auch, wie schon mit der Verteidigung der Unrechtspolitik des jüdischen Staates, intellektueller und handfester Beihilfe schuldig. So ist also die Kritik am völkerrechtswidrigen Siedlungsbau ebenso Theaterdonner wie die Enthaltung gegenüber der Aufwertung Palästinas zum UN-Beobachterstatus. Diese begründete sie mit den Aussagen in der Resolution über die Zweistaatenlösung, denen ja auch Israel zugestimmt hätte. Sie (die Bundesregierung) hätte sich den Entschluss nicht "leicht" gemacht.
 
Es kam aber noch schlimmer: die Kanzlerin verglich doch tatsächlich die "einseitigen" Schritte beider Seiten, nämlich die Errichtung der neuen illegalen Wohnblöcke im Westjordanland und in Ost-Jerusalem mit dem Antrag der Palästinenser in der UN-Vollversammlung!
 
Damit stellte sie sich erneut voll auf die Seite des israelischen Regimes, dass die Palästinenser das Oslo-Abkommen damit gebrochen hätten! Wirklich ein Hohn, da Israel Verträge immer so auslegt wie es gerade genehm ist! Sprach Netanjahu in Berlin doch wieder in seiner bekannten Art und Weise und drückte das folgendermaßen aus: Einzig und allein die Palästinenser seien verantwortlich dafür, dass nicht weiter verhandelt werde! Das Problem seien doch nicht die Siedlungen, territoriale Verhandlungen könnten in Verhandlungen ohne Vorbedingungen (die Vorbedingungen hat und schafft Israel täglich) gelöst werden. Das Problem sei, dass relevante Kreise bei den Palästinensern gegen die Existenz Israels seien. Welches Israel in welchen Grenzen meint er denn? Viele Regierungen in der EU seien etwas ungeduldig (nach 45 Jahren Besatzung und 64 Jahren Staat ohne Grenzen). Der Konflikt werde aber weder von den Vereinten Nationen (Israel hat alle Beschlüsse nicht anerkannt, nur den seiner Staatsgründung) noch in Europa, sondern allein zwischen Israelis und Palästinensern gelöst. Wie das aussieht, ohne Druck und Konsequenzen sieht man!
 
Wenn die "ausgestreckte Hand der einzigen Demokratie im Nahen Osten" so leer ist wie ihre Propaganda, und ihre Untaten so grausam sind wie bisher, dann wird es nie einen gerechten Frieden geben. Wer diese Politik weiter unterstützt, wird die Palästina-Frage immer mehr zu einem Nebenschauplatz der Geschichte verkümmern lassen, der die Palästinenser vergisst.
Hierzu passt ein Interview im DLF vom 6. Dezember zwischen Prof. Michael Wolffsohn (ehemaliger Dozent an der Bundeswehrhochschule München!) und Dirk Müller. Ich möchte hierzu nur auf einen, wie ich finde sehr bedeutungsvollen und gefährlichen Gesichtspunkt hinweisen, der die zionistischen Planspiele wie sie auch schon Tom Segev eine Woche zuvor beim DLF Interview mit Anne Reidt ansprach.
 
O-Zitat aus dem Interview Wolffsohns: "Ich füge aus historischer Sicht und mit Blick auf die Zukunft hinzu: Ich bedauere diese Entfremdung ob der Siedlungspolitik in keiner Weise, weil weder die Zweistaatenlösung noch die Siedlungspolitik eine Lösungsperspektive für den israelisch-palästinensischen Konflikt bedeutet. Die Bundesregierung ebenso wie die Europäer sollten sich darauf konzentrieren, Jordanien als zentralen Akteur mit hineinzubringen, denn Jordanien ist mit dreiviertel seiner Bevölkerung als Palästinenser eigentlich Palästina. Man müsste anstreben eine Bundesrepublik Palästina plus Jordanien, heißt Jordanien als souveräner Staat, dann aber Palästina, Westjordanland als Bundesland, Gazastreifen als Bundesland. Alle diese Fragen, Grenzen Siedlungen, wären dann zweit- und drittrangig." Zitat Ende!!!! Dirk Müller, DLF, O-Ton: "Ein neuer Friedensplan im Deutschlandfunk, vorgestellt von Michael Wolffsohn." Zitat Ende!
 
Ja so sind sie die zionistischen Gedanken und Planspiele. Wie sagte Segev wörtlich? Der "korrupte" König von Jordanien müsse weg! So einfach löst man das Palästinenser-Problem im Sinne der Zionisten: alles bleibt für sie erhalten: Siedlungen, Rückkehrrecht, Gaza, Westjordanland, Palästinenser, die es in zionistischen Augen ja gar nicht gibt, ab nach Jordanien! Ob Wolffsohn (ein Nolte-Schüler) seine schlimmen Theorien auch vor der Bundeswehrhochschule vor seinen Studenten vortrug? Hört man diese immer wiederkehrenden Lösungen, dann zeigt das genau die Pläne des jüdischen Staates! Nicht umsonst gehört Israel in der deutschen Öffentlichkeit zu den unbeliebtesten Staaten in der Welt, zusammen mit Nordkorea. Kann man es Bürgern verdenken, wenn sie so denken? Ist das schon Antisemitismus?
 
Was gibt es sonst noch?

Die tatsächliche Annexion des Westjordanlandes hat sich doch schon fortgesetzt! Israel stempelt jetzt Pässe von Besuchern mit Jüdäa und Samaria. Hier sieht man, dass die sogenannte palästinensische Behörde keine wirkliche Kontrolle oder Herrschaft hat, denn jeder, der das Westjordanland besucht, kann das ja nur mit israelischer Genehmigung tun. Dies schließt ausländische Besucher und Tausende von Palästinensern ein, die einen Pass aus einem dritten Land haben!
Das berichtete die angesehene Electronic Intifada des palästinensisch/amerikanischen Journalisten Ali Abunimah, der auch den Begriff der Vichy-Bande für das Ramallah Regime prägte. Ich lernte ihn kennen und schätzen, auf der Stuttgarter Konferenz 2010. Die Electronic Intifada ist ein sehr wichtiger und informativer Blog!

Eine herzliche Gratulation an Uri Avnery, den Gründer des Friedensblog Gush Schalom, Journalist und Friedensaktivist. Er konnte einen wichtigen Sieg gegen Ministerpräsident Netanjahu verbuchen. Avnery war gegen das umstrittenen Anti-Boykott-Gesetz vor Gericht gezogen. Dieses sah vor, dass quasi jedem, der zu Boykott aufrief, eine Strafe von bis zu 10.000 Euro drohen sollte, sowie Schadenersatz für Firmen, die Profit-Verluste erleiden würden. Dieses schreckliche Anti-Boykott-Gesetz liegt jetzt erst einmal auf Eis und gehört für immer in die Wüste geschickt! Dieses Gesetz widerspricht der Meinungsfreiheit, die von der Netanjahu Regierung immer mehr eingeschränkt werden soll!

Ich wiederhole nochmals: Boykott auf allen Ebenen ist so wichtig und wirksam, um das israelische Regime zu treffen! Ein Regime, das die Meinungsfreiheit und Menschenrechte so massiv verletzt, darf nicht mit immer neuen Vergünstigungen, Assoziierungsverfahren, Städtepartnerschaften und weiteren Freundschaftsdiensten belohnt werden!
 
Noch einen Geburtstagsglückwunsch an die Hamas. Vor fünfundzwanzig Jahren wurde sie unter Mithilfe Israels gegründet! Und Khaled Meschal, der 1967 mit seiner Familie aus dem Westjordanland fliehen musste, konnte bei seinem ersten Besuch im Gazastreifen nach dieser Zeit seine "dritte Geburt" feiern. Es ist zu hoffen, dass diesem Mann, der sogar einen Mordversuch des Mossad überlebte, dass Wunder gelingt, die "vierte Geburt", nämlich die Befreiung Palästinas zu erleben und endlich die Versöhnung mit der Fatah zu vollenden! Denn nur als geeinte Partner sind sie stark, um Freiheit für das palästinensische Volk zu erlangen und erhobenen Hauptes in Verhandlungen, die diesen Namen auch verdienen, mit Israel eintreten zu können!
 
Beunruhigendes meldete die Sunday Times: Israel plane einen Angriff gegen syrische Chemiewaffen, Netanjahu habe seine Mossad-Leute nach Jordanien gesandt, um dort "grünes Licht" einzuholen für diese Angriffe, die Jordanien aber negativ beschied, da die Zeit noch nicht reif sei.
 
Diese amerikanischen und israelischen Angstszenarien erinnern fatal an die Vorzeichen des Angriffs gegen den Irak und Saddam Hussein, auch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen der Bush-Regierung mit chemischen und biologischen Waffen.
 
Wer spricht davon, dass Israel in Gaza Phosphor oder ähnliche Waffen aller Art ausprobiert und die Gaza-Bevölkerung dafür als "Versuchskaninchen" herhalten musste? Wer spricht von den Streubomben, die von Israel während des Libanon-Krieges 2006 abgeworfen wurden und noch heute Kinder im Libanon töten?
 
Israel arbeitet auch immer mehr am Einsatz von Kampfrobotern an seinen Grenzen, der israelischen Rüstungsindustrie gehen die Tötungs-Phantasien nie aus. Und Israel verlangt Inzwischen sogar, demnächst mit am Tisch zu sitzen, wenn über deutsche Waffenexporte entschieden wird!

Ich wünsche allen Leser/innen nachdenkliche Feiertage!
(PK)
 
Links zum Thema: 
http://electronicintifada.net/blogs/ali-abunimah/uks-observer-adds-kill-jews-hamas-leader-khaled-meshals-gaza-speech-when-he-did
 
Hatte die Hamas nicht Israels in den Grenzen von 1967 anerkannt? Was nie toleriert wurde?
http://derstandard.at/1353208609557/Hamas-Chef-Maschaal---Werden-Israel-niemals-anerkennen
 
http://www.tagesspiegel.de/meinung/messias-gesucht-gottes-wille-israels-grenzen-und-die-palaestinenser/7496646.html
 
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/netanjahus-paranoia-wer-nur-noch-feinde-kennt-11985860.html
 
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1942204/
 
http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/sunday-times-israel-has-waged-secret-war-to-track-syria-wmd-1.483590
http://www.haaretz.com/
 
http://www.tagesschau.de/ausland/clinton-aussenministerin-zukunft100.html?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter
 
ein bezeichnender Link zu der Zukunft von Außenministerin Hillary Clinton!
http://www.tachles.ch/news/hillary-clinton-signalisiert-ambitionen
 
http://english.al-akhbar.com/content/israel-raids-palestinian-ngo-offices
 
Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", ihrem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen.      


Online-Flyer Nr. 384  vom 12.12.2012

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