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Aktueller Online-Flyer vom 02. Mai 2024  

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Inland
Todesfasten von Kurden in der Türkei: "Ein Schrei nach mehr Demokratie"
Hungerstreik auch im Knast in Bochum
Von Peter Kleinert

Unbeachtet von der Öffentlichkeit dauert der Hungerstreik von mehr als 700 kurdischen politischen Gefangenen der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) sowie der Partei der freien Frauen Kurdistans (PAJK) in der Türkei seit nun fast 50 Tagen an und ein Ende ist nicht in Sicht (1). Dass Kurden aus politischen Gründen auch in deutschen Gefängnissen eingesperrt sind, wird von den üblichen deutschen Medien nicht veröffentlicht, wie im Fall von Sadi Naci Özpolat der mit dem Vorwurf, Mitglied in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§129b) zu sein, vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf angeklagt und verurteilt wurde.

Kundgebung für Sadi Naci Özpolat und andere kurdische politische Gefangene am 2. Juli auf dem Kölner Domplatz
Quelle: http://political-prisoners.net
 
 
Der Generalsekretär des türkischen Ärzteverbands TTB, Bayazit Ilhan, warnte im Zusammenhang mit dem Hungerstreik bereits vor ernsthaften gesundheitlichen Schäden und verlangt in einem Brief vom 15. Oktober vom Justizministerium, Zugang des Ärzteverbands zu den Häftlingen zu erlauben. Währenddessen warnen die Ärzte die Öffentlichkeit davor, dass die Häftlinge, anders als bisher, auch Vitamintabletten verweigerten und die Situation deswegen umso kritischer sei.
 
Der Hungerstreik begann am 12. September 2012 durch die Entscheidung von 63 inhaftierten Aktivisten der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die Nahrungszunahme so lange zu verweigern, bis PKK-Chef Abdullah Öcalan aus seiner lebenslänglichen Isolationshaft befreit und die kurdische Sprache offiziell, also bei Behörden, an Schulen und im Gericht, anerkannt werde. In kürzester Zeit schlossen sich weitere kurdische Gefangene diesem "Todesfasten“ an. Inzwischen liegt die Zahl der Hungerstreikenden bei mehr als 700. Unter ihnen befinden sich auch demokratisch gewählte Abgeordnete der pro-kurdischen BDP, die im Rahmen des KCK-Prozesses inhaftiert worden sind. Unter dem Vorwand, terroristisch motivierten Bestrebungen unter dem Dach der "Union der Gemeinschaften Kurdistans" nachzugehen, werden seit geraumer Zeit unzählige kurdische Politiker auf Landes- und auf lokaler Ebene verfolgt – bereits Tausende sitzen hinter Gittern.
 
„Das Todesfasten der kurdischen Gefangenen ist ein Schrei nach mehr Demokratie in der Türkei. Die Öffentlichkeit muss endlich Kenntnis davon nehmen und entsprechende Schritte einleiten, denn es kann und darf nicht sein, dass die Gefangenen erst ihr Leben aufs Spiel setzen müssen, damit das türkische Justizministerium auf die Proteste reagiert und ernsthaft auf die Forderungen der Hungerstreikenden eingeht“, erklärt Mazlum Dogan, Stv. Generalsekretär des "Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e.V.".
 
Neben dem Ärzteverband, der bereits vor Todesfolgen des Hungerstreiks warnt, haben sich auch türkische Parlamentarier eingeschaltet, die sich für eine Annahme des Problems durch die türkische Regierung einsetzen. Der Justizminister reagierte nach dem 43. Tag des Hungerstreiks mit einer Pressemitteilung, in der erklärt wurde, dass man sich mit einem Teil der Forderungen befassen werde.
 
„Meist bleiben solche Versprechungen leere Floskeln. Wenn tausende Kurden aufgrund ihrer Forderung nach mehr kulturellen Rechten politisch verfolgt werden, dann zeugt das von einer stark defizitären Demokratie in der Türkei. Politische Aktivisten werden, sofern sie nicht der Linie der AKP-geführten Regierung entsprechen, ihrer demokratischen Partizipation beraubt und füllen bereits einen Großteil der türkischen Gefängnisse. Die Forderung der Kurden nach Anerkennung ihrer Sprache ist vollkommen legitim und muss endlich von den Zuständigen in Ankara erhört und umgesetzt werden“, kommentiert Dogan die Geschehnisse. "Todesfasten in der Türkei ist ein Schrei nach mehr Demokratie".
 
Sadi Naci Özpolat in der JVA Bochum
 
Sadi Naci Özpolat war viele Jahre in der Türkei politisch engagiert und dort infolgedessen mit langjährigen Haftstrafen, Folter und Verfolgung seitens der türkischen Behörden konfrontiert. Doch die Repression machte auch in Europa nicht Halt, und so wurde der Kurde inzwischen vom Oberlandesgericht Düsseldorf mit Hilfe von Polizeikomplotten und gefälschten Dokumenten der türkischen Behörden in einem §129b-Verfahren zu über 6 Jahren Haft verurteilt.
 

Sadi Naci Özpolat
Am 25. Juni war er in der JVA in Bochum in einen Hungerstreik für den Erhalt von Büchern und anderer Rechte getreten. Die geforderten Rechte wurden ihm in der Folge teilweise zugesprochen. Doch nun ist er mit einer weiteren Schikane konfrontiert. Da das Urteil in seinem Prozess rechtskräftig wurde, wollen ihn die Anstaltsleiter zwingen, die Anstalts- "Einheitskleidung" zu tragen. In der Türkei haben politische Gefangene bereits 1984 gegen den Zwang der Einheitskleidung gestreikt, weil diese einen Angriff auf die Würde des Menschen darstelle. Dabei waren im Metris-Gefängnis 4 Gefangene durch das Todesfasten ums Leben gekommen.
 
Sadi Özpolat kann diese Maßnahme als politscher Gefangener ebenfalls nicht akzeptieren und besteht darauf, seine Privatkleidung tragen zu dürfen. Doch ihm wurden alle Kleidungsstücke (einschließlich der Unterwäsche) abgenommen, was bedeutet, dass er jede Minute im nackten Zustand (lediglich in ein Leinentuch gehüllt) in seiner Zelle verbringt. Die Gruppe "Political Prisoners" (2) informiert auf ihrer Internetseite darüber und bittet, sich per e-mail an die JVA und den Justizminister zu wenden und für die Rückgabe seiner Kleidung einzutreten.
 
Brief von Sadi Özpolat vom 9. Oktober
 
„...Da mein Hafturteil nun rechtskräftig ist, haben sich auch meine Gefängnisbedingungen geändert. Und ich denke, der einzig positive Aspekt ist, dass Briefe schneller hinausgehen und eintreffen. Die negativen Änderungen sind in der Überzahl.
 
Zuvor hatte ich das Recht, meine private Kleidung zu tragen. Jetzt, wo ich den Status eines Verurteilten habe, wurden mir alle privaten Kleidungsstücke (einschließlich der Unterwäsche) abgenommen. An deren Stelle gaben sie mir die "Einheitskleidung". Die "Einheitskleidung", mit anderen Worten auch "Verbrecherkleidung", ist ein Angriff auf die Würde von Gefangenen. Sie ist eine Erniedrigung der Persönlichkeit. Deshalb habe ich nicht akzeptiert, sie zu tragen. Und deshalb werde ich seit dem 4. Oktober ganz ohne Kleidung in meiner Zelle festgehalten. Ob inzwischen Besuch gekommen ist, weiß ich nicht, aber da sie mir meine Kleidung nicht aushändigen, bedeutet das, dass ich auch meine Besuchs- und Anwaltsrechte nicht wahrnehmen kann. Zuvor gab es alle zwei Wochen einmal die Möglichkeit, im Supermarkt einzukaufen. Vergangene Woche habe ich die Einkaufsliste nicht bekommen. Ich weiß nicht, ob es auch in den kommenden Wochen so weitergehen wird. Es wurde keine Erklärung dazu abgegeben. Dabei ist der Einkauf das einzige Mittel, um grundlegende Bedürfnisse wie Tee, Briefmarken, etc. zu erhalten. Wenn sie also den Einkauf verhindern, dann nehmen sie mir damit auch mein Recht auf Briefkontakt.
 
All das dient dazu, mir die "Einheitskleidung" aufzuzwingen. Aber das kann einfach nicht akzeptiert werden.
 
Die gegen mich verhängte Gefängnisstrafe ist ohnehin ein Akt der Ungerechtigkeit. Dies in Begleitung von Isolation zu vollziehen, bedeutet gleichzeitig, die Gefangenschaft zur Folter zu machen. Einheitskleidung bedeutet, die Würde des Menschen anzugreifen. Das kann nicht akzeptiert werden. Der Imperialismus kann zwar im Übermaße von "Menschenrechten" und "Demokratie" sprechen, doch umsetzen kann er sie nicht.
 
Nach dem Hungerstreik haben sie begonnen, mir meine Bücher auszuhändigen. Ich denke, in dieser Sache wird es kein Problem geben. Außerdem habe ich beantragt, dass mir linke türkische Zeitschriften geschickt werden: Yürüyüs, Atilim, Devrimci Demokrasi, u.ä. Aber diese sind überhaupt nicht angekommen. Ich weiß nicht, ob sie "nicht geschickt wurden und deshalb nicht angekommen sind?"
 
Das ist also die derzeitige Lage hier. ....
 
Ich übermittle euch allen meine herzlichsten Grüße und wünsche euch Erfolg bei der Arbeit.
 
Sadi Naci Özpolat" (PK)
 
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18341
(2) http://political-prisoners.net/tag/137-sadi-oezpolat.html
JVA BOCHUM
Telefon: 0049 234 9558-200 (Behördenleitung)
Telefax: 0049 234 503316
E-Mail: poststelle@jva-bochum.nrw.de
Justizministerium NRW
E-Mail: poststelle@jm.nrw.de
 
Informationenen über das Todesfasten in der Türkei:
Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e.V.
Geschwister-Scholl-Str. 33-37 D-44135
E-Mail: info@bdaj.de Webseite: www.BDAJ.de
BANKVERBİNDUNG
Sparkasse Dortmund
Konto-Nr.: 161037451
BLZ: 440 501 99
Kontoinhaber: BDAJ
 
Weitere Informationen über Sadi Naci Özpolat:
Türkei Informationszentrum
Stiftgasse 8, A-1070 Wien
tuerkei.info@gmail.com


Online-Flyer Nr. 378  vom 31.10.2012

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