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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Arbeit und Soziales
Mehr als eine Million armer Alter in einem der reichsten Länder der Welt
Eine riesige Welle neuer Altersarmut
Von Matthias W. Birkwald

Am 13. September hat Rede des Kölner Abgeordneten Matthias W. Birkwald von der Fraktion DIE LINKE zur ersten Lesung des Haushaltsgesetzes 2013 im Plenum des Deutschen Bundestages eine Rede zum Thema Rente und Altersarmut gehalten. Damit hat er bei den Abgeordneten der Regierungskoalition, von denen viele sogar die Rentenpläne ihrer Kollegin und Ministerin Ursula von der Leyen kritisieren, nicht eben Begeisterung hervor gerufen. Wir bringen Birkwalds Rede im folgenden Text vollständig. - Die Redaktion
 

Matthias W. Birkwald,
rentenpolitischer Sprecher der
Fraktion DIE LINKE
NRhZ-Archiv
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine riesige Welle neuer Altersarmut rast auf uns zu, und wir Linken warnen seit Jahren vor ihr. Bisher wurde das als Schwarzmalerei abgetan.
(Max Straubinger (CDU/CSU): Oh je!)
Darum danke auch ich Ihnen, Frau Bundesministerin von der Leyen. Sie haben mit Ihrer Schocktabelle dafür gesorgt, dass endlich breit über Altersarmut diskutiert wird. Aber Ihre Zuschussrente wird an der Altersarmut leider nichts ändern. Darum sage ich Ihnen: Ihre Diagnose ist fast richtig, nur Ihre Therapie ist leider völlig falsch.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
 
Zur Diagnose gehört nämlich ebenfalls, dass die Altersarmut, Herr Kolb, schon heute bedrohlich näher kommt. Denn: Beständig sinkende Renten, steigende Zahlen in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie bei den minijobenden Menschen im Rentenalter haben eines gemeinsam: Sie sind die Vorboten einer neuen Altersarmut. Über 40 Prozent der Menschen haben nach einer repräsentativen Emnid-Umfrage im Auftrag der Bild am Sonntag - die ist kein linksradikales Kampfblatt - Angst vor Altersarmut.
 
Ihr Ministerium, Frau von der Leyen, hat die Fakten dazu klar auf den Tisch gelegt: Langjährig Versicherte, also Menschen, die 35 Versicherungsjahre erreicht haben, die neu in Rente gingen, haben im Jahr 2000 im Durchschnitt 1.021 Euro Rente gehabt. 2011 wurden Neurentnerinnen und Neurentnern nur noch 953 Euro überwiesen. Die durchschnittliche Rente bei voller Erwerbsminderung sank in dieser Zeit von 738 Euro auf 634 Euro. Die durchschnittliche Rente der Frauen im Westen lag vergangenes Jahr bei mickrigen 593 Euro.
 
Immer mehr Menschen im Rentenalter haben einen Minijob. 120.000 Minijobberinnen und Minijobber sind sogar älter als 75 Jahre. Vor allem sind immer mehr Menschen auf die Grundsicherung im Alter angewiesen. Doch das sind nur die offiziellen Zahlen. Viele Menschen beantragen nämlich aus Scham die Grundsicherung im Alter nicht. Würden all diejenigen, die einen Anspruch auf Grundsicherung haben, sie auch wirklich beantragen,
würden wir hier heute nicht von 412.000, sondern von mehr als einer Million armer Alter reden. Das heißt, Altersarmut ist schon heute ein Problem, und das in einem der reichsten Länder der Welt. Ich nenne das eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
 
Es ist also allerhöchste Zeit, endlich umzusteuern. Die Rente muss wieder den einmal erworbenen Lebensstandard sichern, und sie muss vor Altersarmut schützen.
(Beifall bei der LINKEN - Andrea Nahles (SPD): Richtig!)
 
Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist: Das Rentenniveau darf nicht weiter gesenkt werden. Ganz im Gegenteil: Es muss wieder auf 53 Prozent angehoben werden, also auf das Niveau aus dem Jahre 2000, bevor SPD und Grüne es gesenkt haben. Denn wenn das Rentenniveau weiter sinkt, ist die Gefahr für die große Mehrheit der Friseurinnen, der Gebäudereiniger, der Kellnerinnen und der Leiharbeiter, der Bäckerinnen, der Floristen und der Hotelkauffrauen riesengroß, in die Altersarmut zu rutschen. Sie alle haben weniger als 2.200 Euro brutto im Monat. Das ist das Einkommen, das nach den Berechnungen von Frau von der Leyen direkt in die Altersarmut führt. Ich sage Ihnen: Das müsste nicht so sein.
 
Wer davon spricht, Altersarmut bekämpfen zu wollen, macht sich völlig unglaubwürdig, wenn gleichzeitig das Rentenniveau weiter sinken soll.nDas gilt für die CDU, für die FDP, für die SPD und auch für alle anderen, die das wollen.
(Beifall bei der LINKEN)
 
Deswegen ist das SPD-Rentenkonzept von Sigmar Gabriel ein ebenso schlechtes Rentenkonzept wie das von der CDU-Frau von der Leyen. Die SPD nennt immerhin ein paar gute einzelne Punkte; das will ich konzedieren. Aber das Rentenniveau soll weiter sinken. Auch an der Rente erst ab 67 wollen weder Herr Steinmeier noch Herr Gabriel irgendetwas ändern.
(Elke Ferner (SPD): Ein ganz klarer Parteitagsbeschluss!)
 
Dabei wird diese in Zukunft massiv für Rentenkürzungen sorgen. Deswegen ist es kein Wunder, dass die IG Metall das SPD-Konzept ablehnt. Völlig zu Recht!
(Beifall bei der LINKEN)
 
Wir Linken haben noch einen ausgesprochen wichtigen Grund, das Konzept des SPD-Chefs abzulehnen. Von der Angleichung der ostdeutschen Renten an das Westniveau ist in dem ganzen Papier nichts zu lesen. Das ist wie bei der CDU und der FDP. Auch die machen nichts für die Ostrentnerinnen und Ostrentner. Dabei müssten die Renten der Menschen in den neuen Bundesländern so schnell wie möglich auf das Westniveau angehoben werden, damit sowohl diejenigen, die heute Rente bekommen, etwas davon haben, als auch diejenigen, die dafür bestraft werden, dass sie heute mit 20 oder 25 Jahren im Osten leben.
(Elke Ferner (SPD): Sagen Sie einmal, wie Sie das den Bürgern im Westen erklären wollen!)
 
Innerhalb von fünf Jahren kann das Rentenniveau stufenweise angehoben werden. Darum sollten dafür 2,4 Milliarden Euro in den Haushalt für das nächste Jahr eingestellt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Genau deshalb darf der Bundeszuschuss an die Rentenkasse im kommenden Jahr nicht um 1 Milliarde Euro gekürzt werden. Die Rentenkasse braucht jeden Cent für Rentengerechtigkeit und um Altersarmut zu vermeiden. Darum ist es richtig, auf die Beitragssatzsenkung von 19,6 auf 19 Prozent zu verzichten. Auch das hilft, Altersarmut zu vermeiden.
(Beifall bei der LINKEN)
Teilhabe darf auch im Alter nicht enden. Darum wollen wir den Solidarausgleich innerhalb der Rente stärken. Deshalb will die Linke eine steuerfinanzierte, einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente - diesen Begriff haben wir zuerst genannt - von zunächst 900 Euro einführen, die schrittweise auf 1 050 Euro erhöht wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Das wäre eine Mindestrente, die vor Armut schützt und die vor allem ihren Namen verdient.
(Elke Ferner (SPD): Ja, 900 Euro für alle, ohne Bedingungen! Und im Himmel ist Jahrmarkt!)

Herzlichen Dank. (PK)
 
 
P.S. Die Rede als Video finde Sie hier: http://www.matthias-w-birkwald.de/article/497.bundeszuschuss-an-die-rentenkasse-darf-nicht-gekuerzt-werden.html


Online-Flyer Nr. 372  vom 19.09.2012

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