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Kommentar
Sigmar Gabriel nennt Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen elitär
Das wirkliche Leben
Von Harald Schauff

Politiker sind professionelle Redekünstler. Dank ihrer Kunst verkaufen sie ihre Ahnungslosigkeit auf vielen Gebieten als der Weisheit letzten Schrei. Voraussetzung: Sie treffen auf Fragesteller, die sich genauso wenig auskennen. So hört sich, was sie von sich geben, gut durchdacht an. Auf den unaufgeklärten Zuhörer machen sie einen kompetenten und weitsichtigen Eindruck. Auf den, der sich besser auskennt, wirken sie nur ärgerlich und peinlich. Um so mehr, sobald sie versuchen mit "Volkes Stimme" zu tönen, also "populistisch" daherzukommen.

Sigmar Gabriel – elitär oder egalitär?
NRhZ-Archiv
  
SPD-Chef Sigmar Gabriel inszeniert sich gern als ein solcher "Volkstribun". In dieser Hinsicht steht er in der Tradition seines Vorgängers und Ziehvaters Gerhard Schröder. In einem SPIEGEL-Interview (Nr. 16/ 16.4. 2012) warf er den Piraten vor, deren Vorstellungen von Demokratie übers Internet hätten "etwas Elitäres". Nur wenige könnten sich diese permanente Beteiligung leisten.
 
Dann fügte er an: “Übrigens hat auch die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen etwas Elitäres. Wie soll ich der Krankenschwester, die hart im Schichtdienst arbeitet, eigentlich erklären, dass sie nicht nur ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen muss, sondern jetzt noch einen Teil abgeben soll, damit andere ihr Hobby zum Beruf machen können? Das wirkliche Leben findet da draußen statt, nicht nur vor dem Computer.“
 
Genau Gabriel, roter Erzengel, alter Scherzbengel: Aufs wirkliche Leben kommt es an. Und da treffen wir alle, für welche die Krankenschwester primär von ihrem Gehalt kräftig abgeben darf: Krankenhäuser, die wie Privatunternehmen zum profitablen Wirtschaften angehalten sind. Banken, die mit hundert milliardenschweren Rettungspaketen aus ihren ruinösen Spekulationen herausgepaukt werden. Die oberen Prozent der Einkommens- und Vermögensskala, die von Steuervergünstigungen aller Art profitieren, obwohl sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten ordentliche Zuwächse verzeichnen konnten. Das Militär und die Rüstungssparte, die Nutznießer milliardenteurer Auslandseinsätze der Bundeswehr sind. Und natürlich öffentlich bezahlte Volksvertreter, die so tun, als könnten sie sich in die Situation von Kleinverdienern versetzen, obgleich sie ganz anderen Gehaltsklassen angehören.
 
Überall dort haben wir es mit Begünstigten des wirklichen Lebens, sprich der realen Besitz- und Einkommensverteilung, zu tun. Für diese Wenigen wird Gabriels Krankenschwester zur Ader gelassen. Geht es noch elitärer?
 
Das bedingungslose Grundeinkommen käme ausnahmslos allen zugute, also auch der Krankenschwester. Das ist nicht elitär, sondern egalitär. Die Krankenschwester stünde einkommensmäßig deutlich besser da. Sie könnte bessere Arbeitsbedingungen wie kürzere Arbeitszeiten durchsetzen. Sie könnte Patienten besser, weil stressfreier betreuen. Warum soll es sie angesichts solcher Verbesserungen stören, dass sie und alle anderen mit ihren Beiträgen ermöglichen, dass wer sein Hobby zum Beruf macht? Genau so sollte man es ihr erklären.
 
Gabriel hatte in besagtem Interview Glück, dass er auf unbedarfte Interviewer traf, deren Blatt das bedingungslose Grundeinkommen als aus "mehreren Gründen unrealistisch“ abtut. So blieb seine Position an dieser Stelle unhinterfragt. Als Chef einer Partei, die sich "soziale Gerechtigkeit" auf die Fahnen schreibt, gibt er hier eine ganz schwache Figur ab. Ihm bleibt zu empfehlen, sich an die Rhein-Erft-SPD zu wenden. Die ist bundesweit der einzige Kreisverband der SPD, welcher die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen in sein Parteiprogramm aufgenommen hat. Dort gibt man dem Chef bestimmt gern Nachhilfe.(PK)
 
 
Harald Schauff ist verantwortlicher Redakteur der Kölner Arbeits-Obdachlosen Selbsthilfe-Mitmachzeitung "Querkopf", die für 1,50 Euro auf der Straße verkauft wird. Diesen Artikel hat er in der August-Ausgabe des "Querkopf" veröffentlicht.


Online-Flyer Nr. 365  vom 01.08.2012

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