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Inland
Verweigerung des Rechts auf freien Informationszugang in Deutschland
Von CDU/CSU völlig abgelehnt
Von Walter Keim

Am 25. Mai 2012 kam es zu einer Debatte im Bundestag über den Vorschlag der Grünen zum "Grundrecht auf Informationszugang" (BT-Drs 17/9724). Deren Begründung lautete: "Transparenz und Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu Informationen sind notwendige Voraussetzungen für die Meinungs- und Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger; eine notwendige Voraussetzung (...für) eine modernen, lebendigen demokratischen Rechtsstaat."

Schon das erste Ostsee-NGO-Forum forderte 2001 den Zugang zu Informationen in amtlichen Dokumenten als Teil der Meinungsfreiheit
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Nur die Linke unterstützte diesen Vorschlag, der von der CDU/CSU völlig abgelehnt wurde. Auch die SPD hielt Verbesserungen des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) immerhin für wünschenswert, während die FDP den Vorschlag als überflüssig anzusehen schien. Das IFG mache nach Artikel 5 GG Akten "allgemein zugänglich", behaupteten deren Abgeordnete.
 
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte bereits im April 2012 in ihren Kommentaren zum Entwurf eines Transparenz- und Informationszugangsgesetzes in Spanien den Menschenrechtscharakter des Informationszugangs dokumentiert, mit Hinweis auf OSZE, Zivilpakt und EGMR. (siehe Anlage 1: "International documents (...), state that access to information is a fundamental human right and an essential condition for all democratic societies.").
 
Die "Evaluation des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes – Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG)" hat den Menschenrechtscharakter unterschlagen, obwohl er vorher mitgeteilt wurde (Anlage 2). Dort wird erwähnt, dass die Verfassungen Belgiens, Finnlands und Schwedens (dort bereits seit 1766) das Prinzip der Öffentlichkeit von amtlichen Dokumenten und individuelle Informationsgrundrechte enthalten. Darüber hinaus haben im Ostseeraum (3), am "Meer der Informationsfreiheit" (8), die Staaten Litauen (1992), Estland (1992), Russland (1993), Polen (2001) und Norwegen (2004) ebenfalls Bestimmungen in ihren Verfassungen über Verwaltungstransparenz. Andere europäische Staaten mit Informationszugang in ihren Verfassungen sind: Portugal, Spanien, Belgien, Niederland, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Rumänien, Bulgarien, Moldawien, FYR Mazedonien und Albanien.
 
Während also im Bundestag nur zwei Parteien mit weniger als einem Fünftel der Stimmen den Informationszugang als Grundrecht unterstützen, haben weltweit mehr als 50 Staaten (4) den Informationszugang in Verfassungen verankert, d. h. mehr als 2/3 der Abgeordneten unterstützten das dort.
 
Damit wird klar, warum 84 Staaten mit ca. 5,5 Milliarden Bürgern(4, 5), d h. 75 % der Bewohner der Welt ein besseres Informationsfreiheitsgesetz haben als deutsche Bürger. (6) Nur Liechtenstein, Österreich, Griechenland und Jordanien haben schlechtere Informationsfreiheitsgesetze.
 
Auch nach mehr als 200 Jahren Informationsfreiheit hat die schwedische Verwaltung ihren Widerstand noch nicht völlig aufgegeben. Das schwedische Parlament zieht daraus den Schluss, dass man streng sein muss: "Doch die Vorschriften sind so deutlich abgefasst, die Einsichtnahme des Ombudsmannes des Reichstags so streng und die Tradition so alt, dass diesem Widerstand im Ernstfall nicht nachgegeben wird". Wer die Machtfrage stellt, sollte sie beantwortet bekommen. In Deutschland wurden 6 der 12 Informationsfreiheitsgesetze von Parlamenten vorgeschlagen und verabschiedet, weil die Regierung keinen Gesetzesvorschlag zustande brachte. Offenbar können Regierungen zu sehr von Interessen der Verwaltung dominiert sein, anstatt Menschen- und Bürgerrechte zu vertreten.
 
Die CDU/CSU trägt außerdem die Verantwortung dafür, dass in 5 Bundesländern d. h. der Hälfte der Bevölkerung in Deutschland generelle (über VIG und UIG hinausgehende) Informationsfreiheitsgesetze fehlen. Dagegen haben mehr als 115 Staaten (7) mit mehr als 5,9 Milliarden Einwohnern, d. h. 85% der Weltbevölkerung entweder Informationszugangsgesetze oder entsprechende Verfassungsbestimmungen.
 
Aufgabe der Parlamente als Volksvertreter ist, Menschenrechte, Bürgerrechte und Demokratie (Volksherrschaft) zu sichern. Die Verweigerung der CDU/CSU, das Menschenrecht des Informationszugangs, einer essentiellen Voraussetzung der Demokratie - so die OSZE laut Anlage 1 - zu unterstützen, zeigt, das CDU/CSU das trojanische Pferd der Bürokratie im deutschen Parlament ist. Sie ist unfähig oder unwillig, das Volk, den Souverän der Demokratie, zu vertreten. So etwas gibt es in keinem der demokratischen Staaten der zivilisierten Welt. (PK)
 
Anlagen:
(1) OSZE, April 2012: COMMENTS ON THE DRAFT LAW ON TRANSPARENCY, ACCESS TO INFORMATION AND GOOD GOVERNANCE OF SPAIN: http://www.osce.org/fom/89577
(2) 17.06.12: Evaluation des IFG des Bundes: http://home.broadpark.no/~wkeim/files/120617foev.htm
(3) 13.06.2012: Neue Rheinische Zeitung: "10. Ostsee-NGO Forum unterstützt Zugang zu amtlichen Informationen. Deutschland als Schlusslicht" http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17885
(4) CONSTITUTIONAL PROTECTIONS OF THE RIGHT TO INFORMATION: http://right2info.org/constitutional-protections-of-the-right-to
Access to Information Laws: http://right2info.org/access-to-information-laws
(5) FOI Laws: Counts Vary Depending on Definitions: http://www.freedominfo.org/2011/10/foi-laws-counts-vary-slightly-depending-on-definitions/
(6) http://rti-rating.org/results.html
(7) http://right2info.org/laws
(8) Neue Rheinische Zeitung: 10. Ostsee-NGO Forum unterstützt Zugang zu amtlichen Informationen. Deutschland als Schlusslicht: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17885
 
Mehr von Walter Keim zu diesem Thema finden Sie unter http://walter.keim.googlepages.com und http://home.broadpark.no/~wkeim/files/enforce_access_to_information.html


Online-Flyer Nr. 363  vom 18.07.2012

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