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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Inland
Hanauer Bündnis reicht Petition für Abschiebestopp ein
Lebensgefahr für Fatma Akbulut
Von Christel Mertens

Das Bündnis für Bleiberecht Hanau / Main-Kinzig-Kreis hat am Dienstagmorgen beim Hessischen Landtag eine Petition für ein Bleiberecht der von Abschiebung bedrohten Familie Akbulut aus Schlüchtern (Main-Kinzig-Kreis) eingereicht. Ein Sprecher der Initiative begründet die Eingabe mit der "akuten Lebensgefahr", in der die kranke Mutter und Ehefrau Fatma Akbulut sich aufgrund des kürzlichen Abschiebeversuchs gegen den Sohn der Familie befinde.
Der 20jährige Serif Akbulut sollte, wie in NRhZ-Fotogalerie Nr. 52 berichtet, auf Anweisung des Regierungspräsidiums Darmstadt am Freitag, 7. Juli, mit einer Maschine der Turkish Airlines nach Istanbul abgeschoben werden. Im Flugzeug protestierte er gegen seine Abschiebung, die ihn von seinen kranken Eltern trennen sollte, und wurde vom Personal wieder an die Polizei übergeben. Seitdem sitzt er in Abschiebehaft.

Serif Akbulut (rechts) nach dem Sieg im
Serif Akbulut (rechts) nach dem Sieg im "Antirassistischen Fußballturnier"
Foto: Jutta Ditfurth


Die nun für ein Bleiberecht der Familie eingelegte Petition zitiert zur Darstellung der dramatischen Reaktion der schwerkranken Mutter auf diese Behördenaktion aus dem Protokoll eines Gesprächs mit ihr: "Um vielleicht sieben Uhr morgens habe sie im Hof Polizei gesehen. Sie habe Angst gehabt. Sie wollte sich verstecken, aber sie konnte nicht. Sie habe zu stark gezittert, sie konnte nicht mehr weiterlaufen, sie sei hingefallen und dann könne sie sich an nichts erinnern." Im weiteren Gespräch wird deutlich, dass Erinnerungen an die früher in der Türkei erlebten Folterungen Ursache ihres Ohnmachtanfalls waren. Aus Angst, sie tue sich etwas an, hatten die sie betreuenden Angehörigen ihr lange verschwiegen, dass ihr Sohn Serif, wichtigster Vertrauter und Betreuer, in Abschiebehaft sitzt. Als sie es schließlich doch erfährt, erleidet sie einen erneuten Anfall.

Mutter aus Klinik geflohen

Gestern schließlich floh Frau Akbulut in Panik aus der Psychiatrischen Klinik, in die sie am vergangenen Samstag Angehörige wegen ihres sich verschlimmernden Zustands gebracht hatten. Völlig verwirrt wurde sie auf der Straße von einem ihrer Enkel entdeckt. Sie habe erzählt, es seien Polizisten zur Klinik gekommen, die sie abholen wollten, berichtete der Enkel. Eine Nachfrage habe dann ergeben, dass tatsächlich zwei Polizeibeamte einen Patienten in die Klinik eingeliefert hatten. Frau Akbulut jedoch war nicht davon abzubringen, dass sie in der Klinik nicht in Sicherheit sei.

Flüchtlingsbetreuer Putsche: "Aus diesen Vorfällen ergibt sich unmittelbar eine akute Gefahr für die Gesundheit von Frau Akbulut, bis hin zur Lebensgefahr. Die unkontrollierten Sturzanfälle können zu schwersten Verletzungen führen. Bereits bei früheren solchen Stürzen hatte sie zum Teil schwere Verletzungen wie z.B. einen gebrochenen Arm davon getragen, nicht zu reden von den Hämatomen und Prellungen im Normalfall." Hinzu komme die latente bis akute Suizidgefahr bei Frau Akbulut, auf die sämtliche sie behandelnde Psychiater seit drei Jahren in ihren Attesten übereinstimmend hingewiesen hätten.

Putsche: "Was die Ausländerbehörden, zunächst im Main-Kinzig-Kreis, dann auch beim RP in Darmstadt bisher `übersehen´ haben, liegt ihnen in Form von mehr als 30 Attesten vor. Unsere Petition listet nur die wichtigsten Hinweise auf die Selbstmordgefahr und die Warnungen der Ärzte vor den Gefahren einer Abschiebung auf. Wir haben die Arbeit der Behörden gemacht."

"Inlandsbezogene Abschiebehindernisse" nicht erkannt

Weiter erklärt er, dass die jeweiligen Sachbearbeiter die Atteste wohl zur Kenntnis genommen hätten, immerhin seien die vom Anwalt der Familie gestellten Anträge auf Feststellung so genannter "inlandsbezogener Abschiebehindernisse" immer wieder beantwortet worden. "Allerdings: die von den Ärzten festgestellte Reiseunfähigkeit wurde jeweils in Frage gestellt, denn den Gefahren der Selbstverletzung oder gar Selbsttötung sei mit einer so genannten `Sicherheitsbegleitung´ durch Polizeibeamte zu begegnen", sagt Putsche und schlägt vor, "sich einmal eine psychisch traumatisierte Frau vorzustellen, wie sie von zwei stämmigen Polizisten links und rechts gepackt wird." Das wäre das Rezept, Frau Akbulut in die totale psychische Zerrüttung zu treiben, "denn sie wurde von Polizisten gefoltert und kann den Unterschied zwischen deutschen und türkischen Polizeibeamten nicht erkennen."

Gegen die von der Ausländerbehörde geplante Abschiebung mit "ärztlicher Begleitung" wendet Putsche ein, dass Frau Akbulut wohl auf einer Bahre "per Liegendabschiebung" per Flugzeug in die Türkei transportiert werden müsse, eine Methode und ein Behördenjargon, wie sie vor einiger Zeit erstmals in Nordhein-Westfalen verwendet worden seien.

Überhaupt nicht berücksichtigt werde bei solchen Planungen, dass sich Betroffene bereits vor einer Abschiebung, im Angesicht der anrückenden Polizei, aus einem Fenster stürzen könnten. Oder - wie es Frau Akbulut am Tag der missglückten Abschiebung ihres Sohnes geschehen sei - bei diesem Anblick einen Sturzanfall erlebten und sich dabei auch "den Schädel brechen" könnten.

Das Bündnis für Bleiberecht regt in seiner - mit Anlagen - 19 Seiten umfassenden Schrift an, "dass der Petitionsausschuss der zuständigen Ausländerbehörde empfiehlt, zur Klärung des Gesundheitszustands von Frau Fatma Akubulut zunächst eine amtsärztliche Begutachtung durchführen zu lassen." Denn das sei nie geschehen.

"Bis dahin", wird weiter gefordert, "sollten Frau Akbulut, ihr Ehemann und ihr Sohn weiterhin geduldet werden." Und Serif Akbulut solle aus der Abschiebehaft entlassen werden, "um die akuten Ängste und die damit verbundenen Gefahren für das Leben seiner Mutter zu mindern."

"Wirtschaftliche Integration" und Bleiberecht

Ein zweiter Teil der Petition legt bezüglich des in Wiesbaden inhaftierten Serif weitere Gründe für sein Aufenthaltsrecht vor. Sprachlich, sozial und gesellschaftlich sei der junge Akbulut ohnehin integriert, es fehle nur noch an der oft geforderten "wirtschaftlichen Integration". Diese sei von seiner Seite aber ebenfalls machbar, denn er habe kürzlich ein Angebot jeweils für eine Lehrstelle als Zimmermann und für eine Arbeitsstelle als Druckereihelfer bekommen.

Dieser Information schließt sich eine ausführliche Betrachtung der aktuellen Diskussion um eine Bleiberechtsregelung an. Hingewiesen wird auf zahlreiche Beschlüsse von Kommunal- und Kreisparlamenten, die jetzt nicht nur eine solche Regelung fordern, sondern bis zu ihrer Einführung auch einen Abschiebestopp für den möglichen Kreis der zukünftigen Nutznießer anmahnen.

Die Petition weist am Schluss auf die Fluchtgründe des Vaters Akbulut und seiner Familie hin. "Nach den uns jetzt vorliegenden Unterlagen hatte Ali Akbulut in seinem ersten Asylverfahren die erlebte Folter detailliert geschildert." heißt es, und das hielten die zahlreichen Unterzeichner der Petition "für ebenso glaubhaft wie die von seiner Ehefrau immer wieder wenigen Menschen gegenüber berichteten schrecklichen Erlebnisse, die zu ihrer schweren Erkrankung geführt haben."

Demo für Serif vor der JVA Franfurt-Preungesheim
Demo für Serif vor der JVA Franfurt-Preungesheim

Foto: Jörg Schmidt

"Unser Kampf für ein Bleiberecht und einen Abschiebestopp geht weiter", sagt Bündnissprecher Putsche. So wurde der am Dienstagmorgen angesetzte Haftprüfungstermin für Serif Akbulut am Hanauer Landgericht vor der Tür mit einer kurzfristig vorbereiteten Solidaritätskundgebung begleitet. Für die nächsten Tage sei eine ähnliche Aktion vor der Haftanstalt in Wiesbaden geplant, in die Serif wohl nach dem Haftprüfungstermin wohl wieder zurückgebracht werde.


Weitere Informationen und Zugang zur Petition unter: Bündnis für Bleiberecht, c/o Diakonische Flüchtlingshilfe, Johanneskirchplatz 1, 63450 Hanau, Tel./Fax 06181-184369, Email: df.hanau@gmx.de, www.bleiberecht.info

Online-Flyer Nr. 53  vom 18.07.2006

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