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Inland
Im Abschieben ist Deutschland Weltmeister - Fotogalerie
Zu Gast bei Feinden
Von Jutta Ditfurth, Hartmut Barth-Engelbart und Peter Kleinert

Während der WM konnte er als Spieler des Siegerteams beim "Antirassistischen Fußballturnier" in Frankfurt-Rödelheim den ersten Preis entgegennehmen. Am Freitag danach sollte der junge Kurde Serif Akbulut gewaltsam über den Frankfurter Flughafen in die Türkei abgeschoben werden. Der Pilot verweigerte den Abflug. Seitdem sitzt Serif Akbulut in Abschiebehaft, und ein breites hessisches Bündnis versucht durch Demonstrationen, ihn da wieder rauszuholen.

Mit großem Erfolg und unter lebhafter Teilnahme mehrerer Dutzend Kinder- und Jugendteams veranstaltete das Bündnis »Kick-it« vom 30. Juni bis 2. Juli in Frankfurt-Rödelheim
ein antirassistisches Fußballturnier. Das Siegerteam hieß »Bleiberecht Hanau«, einer seiner Spieler, der heute 20jährige Serif Akbulut, lebt seit 1998 in Deutschland. Hierher waren die Eltern des damals Zwölfjährigen vor politischer Verfolgung aus der Türkei geflohen. Da Vater und Mutter durch Folter arbeitsunfähig sind, kümmerte Serif sich seit seinem 15ten Lebensjahr um die Eltern. Trotz aller widrigen Bedingungen hat er sich integriert, spricht perfekt die deutsche Sprache, hat einen guten Schulabschluss gemacht und ist bei den lokalen Fußballvereinen als Spieler begehrt.

Nur eins hat Serif nicht geschafft: den Unterhalt für seine arbeitsunfähigen Eltern und sich selbst mit einem eigenen Job zu bestreiten. Trotz mehrerer Angebote von Arbeitgebern wurde ihm von der zuständigen Arbeitsagentur nicht einmal ein 2-Stunden-Job erlaubt, weil die Familie nur "geduldet", also ständig von Abschiebung bedroht ist.

Am Freitag nach dem Sieg beim »Antirassistischen Fußballturnier« war es dann so weit: Polizisten holten Serif am frühen Morgen aus seiner Unterkunft in Schlüchtern, schleppten ihn auf den FRAPORT und dort in eine Turkish Airlines-Maschine, die ihn durch eine "Blitzabschiebung" in "seine Heimat" bringen sollte. Serif wehrte sich. So lange, bis der Pilot sich weigerte, ihn mit zu nehmen.

Seitdem sitzt Serif in Abschiebehaft. Zunächst in Offenbach, wo am Freitag vor der JVA eine erste Kundgebung stattfand, seit Samstag in Frankfurt-Preungesheim, wo sich erneut mehr als 150 Menschen, darunter auch Mitglieder seiner Fußballmannschaft, trotz Polizei vor dem Gefängnis versammelten, seine Freilassung forderten und über Transparente und Megafon Kontakt zu ihm aufnehmen konnten, bis er in eine abgelegenere Zelle verlegt wurde. Von den eingeladenen Medien war während der Kundgebung nichts zu sehen. "Das ist die Pressefreiheit: wenn´s drauf ankommt, ist die Straße, sind die Plätze frei von Presse. Völlig frei, keíne FR, FAZ, kein HR und sonst was, alles völlig frei", hieß es im Redebeitrag eines der Kundgebungsteilnehmer, "so frei wie die dann erfundenen Berichte, wenn es welche gibt".

War es zunächst die Ausländerbehörde des Main-Kinzig-Kreises, die sich einer Bleiberechtslösung für die Familie Akbulut verweigerte, liegt es nun vor allem an der neu geschaffenen Zentralen Ausländerbehörde beim Regierungspräsidium in Darmstadt, ob daran festgehalten wird, die Familie mit allen verfügbaren Mitteln außer Landes zu schaffen. Deshalb fand am Dienstagmittag vor dem Regierungspräsidium eine weitere Demonstration statt.

Wie Serif Akbulut und seine Eltern leben in Deutschland etwa 200.000 Menschen, die lediglich "geduldet" sind; in Hessen sind es mehr als 15.000. Die weitaus meisten leben seit mehr als fünf Jahren hier, viele mehr als zehn und manche sogar seit über 15 Jahren. Sie sind vor Krieg, Verfolgung, Unsicherheit geflohen, haben sich hier integriert und haben hier ihre Freunde. Die Kinder sprechen oft besser Deutsch als die Sprache des Landes, das sie zum Teil nur vom Hörensagen kennen, und das doch nach Ansicht der Behörden ihre Heimat ist. Obwohl sie Teil dieser Gesellschaft sind, werden ihnen grundlegende Rechte vorenthalten, und sie müssen ständig mit der Angst leben, abgeschoben zu werden.

Letzte Meldung: Am Donnerstag, 15. Juli , ab 15 Uhr, findet am Römerberg in Frankfurt unter dem Motto "Hier geblieben" eine Protestaktion gegen drohende Abschiebungen von Serif und seiner Familie und weiterer Migrantenfamilien statt, deren Kinder Frankfurter Schulen besuchen.


Weitere Informationen:
Bündnis für Bleiberecht Hanau / Main-Kinzig-Kreis
Herwig Putsche
c/o Diakonische Flüchtlingshilfe
Johanneskirchplatz 1
63450 Hanau
Tel. / Fax 06181-184369
und
www.antifa.frankfurt.org.


Überreichung der Preisurkunde; rechts hält Serif den Preis hoch
Überreichung der Preisurkunde; rechts hält Serif den Preis hoch


Das Team und der Preis - Serif mit Spielernummer 10
Das Team und der Preis - Serif mit Spielernummer 10


Serif trägt einen Mitspieler
Serif trägt einen Mitspieler


Serif, zweiter von links, ahnt noch nichts von Abschiebung
Serif, zweiter von links, ahnt noch nichts von Abschiebung

Fotos: Jutta Ditfurth



Demo für Serif vor der JVA Franfurt-Preungesheim
Demo für Serif vor der JVA Franfurt-Preungesheim

Foto: Jörg Schmidt




Online-Flyer Nr. 52  vom 12.07.2006

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