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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Inland
Vernehmung von Ex-Umweltministerin Merkel zu Gorleben wird verschleppt
Schwarz-Gelb ist jedes Mittel recht
Von Peter Kleinert

Wie von der NRhZ bereits gemeldet, haben die Obfrauen der Oppositionsfraktionen Dorothée Menzner (DIE LINKE), Ute Vogt (SPD) und Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis'90/Die Grünen) im Untersuchungsausschuss Gorleben vor einigen Tagen in einer Pressemitteilung erklärt: "Zur Verhinderung zügiger Zeugenvernehmungen ist der CDU/CSU-FDP-Koalition mittlerweile jedes Mittel recht. Ohne nachvollziehbaren Grund beschloss die Koalitionsmehrheit heute (am 29.3.), einen bereits angereisten vernehmungsbereiten Zeugen unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu schicken. Dies ist ein weiteres Beispiel für die willkürliche Verschleppungsstrategie der Koalition.

Ob Lady Angela nach ihrer Vernehmung tatsächlich den OSCAR bekommen wird?
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
 
Während es der Koalitionsmehrheit im vergangenen Jahr mit der Forderung nach Abschluss der Zeugenvernehmungen nicht schnell genug gehen konnte, tritt sie nun, wo es nur geht, auf die Bremse, seit zunehmend unangenehme Wahrheiten über die Zeit der damaligen Bundesumweltministerin und heutigen Kanzlerin Angela Merkel ans Tageslicht kamen. Die Fraktionen der SPD, DIE LINKE und B'90/Die Grünen hatten für die Vernehmung des heutigen Zeugen eine Sondersitzung beantragt, nachdem die Koalition Anfang März aus fadenscheinigen Gründen dem Ausschuss gegen die Stimmen der Opposition eine Zwangspause verordnete. Die nächste Sitzung sollte erst Ende April stattfinden, um bis dahin das Lesen von lediglich 8 neuen Aktenordnern des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) zu ermöglichen.
 
Für die Befragung des nun geladenen Zeugen sind diese Ordner jedoch nicht relevant. Damit hätte die Vernehmung heute stattfinden können, worum auch das BMWi in einem zuvor an den Ausschuss gerichteten Schreiben bat. Die Koalitionsmehrheit setzte sich jedoch über sämtliche Sachargumente hinweg und missbraucht ihre Mehrheit für ein durchschaubares Manöver, das sie auf dem Rücken des Zeugen austrägt. Bereits im Januar hatte die Mehrheit auf Zeit gesetzt und beschlossen, lediglich nur einen Zeugen pro Sitzung in den späten Nachmittagstunden zu hören, was nach der jetzigen Zeugenliste einen Abschluss der Vernehmung frühestens im Laufe des Jahres 2013 bedeutet. Die Opposition hatte demgegenüber der Koalition unter Angabe eines konkreten Zeitplans angeboten, den Ausschuss bereits dieses Jahr zu beenden. Die Koalition lehnte dies jedoch ab, da sie nach eigenen Aussagen keine Vorlage des Abschlussberichts in der heißen Wahlkampfphase des niedersächsischen Landtagswahlkampfs haben wollte. CDU/CSU und FDP unterlaufen damit den Sinn und Zweck von Untersuchungsausschüssen, zügig, effektiv und sorgfältig auf ein Ergebnis hin zu arbeiten."
 
Der SPIEGEL: "Bislang unbekannte Unterlagen"
 
Der SPIEGEL vom 26. Februar bestätigt diese Vorwürfe unter dem Titel "Merkel soll im Gorleben-Ausschuss aussagen". In dem Artikel heißt es: "Bislang unbekannte Unterlagen aus den neunziger Jahren könnten Kanzlerin Angela Merkel zu einer zentralen Zeugin im Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestags werden lassen. Wie aus den Papieren hervorgeht, setzte sie als Bundesumweltministerin Untersuchungen des Salzstocks gegen rechtliche und wirtschaftliche Bedenken mehrerer Atomkraftunternehmen durch. So hat es zwei Treffen Merkels mit den Konzernspitzen gegeben, in denen die Position der Union und der Atomwirtschaft für Verhandlungen mit der SPD über einen Energiekonsens abgestimmt werden sollten. Das Umweltministerium behauptet, weder Protokolle noch Teilnehmerlisten der Gespräche zu besitzen.
 
Die Wirtschaft hegte damals Zweifel, ob die Weitererkundung Gorlebens sinnvoll wäre, da der Bund nicht über alle zur Erforschung notwendigen Salzrechte verfügte. Die Konzerne fürchteten eine Investitionsruine und wollten das Projekt auf Eis legen. Merkel aber lehnte laut Unterlagen ab, weil sonst die Entsorgungsnachweise der Atomkraftwerke gefährdet seien. "Beide Seiten", heißt es in einem Vermerk über ein Treffen vom 5. Dezember 1996, hätten sich schließlich darauf geeinigt, dass "ein Mindestmaß an Arbeiten durchgeführt wird, … um das Interesse an der Fortführung des Projekts zu demonstrieren und die ,Glaubwürdigkeit' zu erhalten". Bei dem zweiten Treffen am 13. Januar 1997 versprach Merkels Ministerium, für den Ausbau fehlende Salzrechte "konsensual oder über Enteigung" von den Besitzern zu beschaffen."
 
Sylvia Kotting-Uhl: "Zweifel an der Eignung des Salzstocks ignoriert"
 
Nach Ansicht der atompolitischen Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, sollte die Kanzlerin nun zügig im Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen befragt werden. "Merkel", so wertet sie die Unterlagen, "hatte nur ein Ziel: So billig und so schnell wie möglich in Gorleben weitermachen."
 
Zum Beschluss der Koalitionsmehrheit, das Zeugenvernehmungsverfahren im Untersuchungsausschuss Gorleben erheblich zu ändern, erklärt Sylvia Kotting-Uhl, Obfrau im Untersuchungsausschuss für die Grünen: "Entgegen des vorgelegten Vorschlags der Opposition, die Zeugenvernehmung spätestens bis zum Anfang der Sommerpause abzuschließen, hat die Koalitionsmehrheit heute beschlossen, dass ab sofort zu den jeweiligen Ausschusssitzungen jeweils nur ein Zeuge vernommen wird. Die Koalition benannte nun auch weitere Zeugen, so dass sich die Vernehmungen höchstwahrscheinlich bis 2013 hinziehen werden. Dies steht im krassen Widerspruch zur bisherigen Forderung von CDU/FDP, den Ausschuss möglichst schnell zu beenden. Die Koalition hatte überdies die Auffassung vertreten, dass weitere Zeugen keine neuen Erkenntnisse zu Tage fördern würden.
 
Mit dem Beschluss wird deutlich, dass die Koalition die Ergebnisse des Ausschusses fürchtet. Vor dem Hintergrund der aktuell schlechten Umfragewerte von CDU/FDP in Niedersachsen möchte diese auf keinen Fall den Wahlkampf von Ministerpräsident McAllister mit der Offenlegung unliebsamer Tatsachen zu Gorleben belasten.
 
Auch die Vernehmung von Frau Merkel will die Koalition massiv hinauszögern. Angela Merkel hatte sich als damalige Umweltministerin für die Veränderung des Erkundungskonzeptes eingesetzt und bestehende Zweifel an der geologischen Eignung des Salzstocks Gorleben ignoriert.
 
Die Koalitionsmehrheit hat darüber hinaus beschlossen, dass die Vernehmungen nun nur nachmittags stattfinden. Damit wird die Presseberichterstattung erschwert. Wir werden die Zulässigkeit einer solchen Behinderung der Öffentlichkeitsarbeit rechtlich prüfen lassen."
 
Ute Vogt: Regierung unterdrückt Akten
 
Die Obfrau der SPD-Bundestagsfraktion Ute Vogt erklärt zu den jüngsten Vorgängen im "Untersuchungsausschuss Gorleben": "Die schwarz-gelbe Bundesregierung verweigert dem Untersuchungsausschuss wichtige Akten zu Angela Merkels Rolle beim Endlager Gorleben. In der Vernehmung gestern Abend hatte ein Zeuge Unterlagen dabei, die der Untersuchungsausschuss mehrfach angefordert hatte, deren Existenz jedoch von der Bundesregierung bisher bestritten wurde.
 
Es handelt sich unter anderem um Protokolle über Gespräche zwischen der damaligen Umweltministerin Merkel mit Vorständen der deutschen Atomindustrie. Der geladene Zeuge Dr. Matting, ein ehemaliger Beamter des Umweltministeriums (BMU), brachte diese Akten zur Überraschung von Koalition und Opposition mit zu seiner Zeugenvernehmung. Er musste während seiner Befragung zugeben, dass er diese Akten vor "etwa 14 Tagen" aus dem BMU erhalten habe. Persönlich "als Dossier" übergeben, vom Beamten Walter Kühne, der selbst schon als Zeuge im Ausschuss aussagen musste und daher eigentlich bis zum Abschluss seiner Vernehmung gar nicht damit befasst sein dürfte. Kühne und Matting waren zu Merkels Amtszeit maßgeblich an der Änderung des Erkundungsbereichs in Gorleben involviert. Es finden sich zahlreiche Vermerke von beiden Beamten an die Ministerin. Und beide Beamten haben sich mit weiteren Beamten (Bloser und Schneider) vor ihren Zeugenvernehmungen besprochen. Deshalb sind die Aussagen dieser Zeugen auch weitgehend übereinstimmend. Und nun wurde deutlich, dass Merkels ehemalige Spitzenbeamte sich auf Akten stützen können, die dem Untersuchungsausschuss nicht überstellt wurden, obwohl der Regierung bekannt war, dass nach genau diesen Protokollen intensiv nachgefragt worden ist. Ein Skandal im Gorleben-Skandal, der aufgeklärt werden muss.
 
Dass dem CDU-Abgeordneten Grindel vor diesem Hintergrund nichts anderes einfällt, als die völlig reguläre Vernehmungstechnik unseres Kollegen Sebastian Edathy zu diskreditieren, ist unerträglich. Die Regierungskoalition musste jetzt die aktuelle Aktenschlamperei eingestehen und statt einfach beschämt den Mund zu halten, wird in Richtung Opposition gepöbelt. Die Nerven liegen blank bei der CDU. Über den Ursprung der geringen Frustrationstoleranz von Herrn Grindel müssen allerdings Fachleute entscheiden, die für derartige Analysen eine spezielle Ausbildung haben.
 
Fest steht jedoch: Sein Verhalten ist eines Parlamentariers nicht würdig. Mit seiner Art hat Herr Grindel jegliches Mindestmaß einer Zusammenarbeit aufgekündigt. Aufklären wollte die Grindel-CDU im Untersuchungsausschuss ohnehin bislang nicht. Es bleibt: Die heutige Merkel-Röttgen Regierung deckt die damalige Kohl-Merkel Regierung - ihr Erfüllungsgehilfe im Untersuchungsausschuss: Reinhard Grindel."
 
Dorothée Menzner: "Wir wollen Transparenz herstellen"
 
Eine Stellungnahme von Dorothee Menzner vom 23. März im Bundestag zum Thema können unsere LeserInnen hier unter http://www.youtube.com/watch?v=g_OMr9MT-Vw hören. Ihre Meinung kurz zusammen gefasst: "Wir wollen Transparenz herstellen hinsichtlich der Frage: Wie konnte es zu der verengten Sicht auf diesen einen Standort kommen? Waren wissenschaftliche Vorbedingungen ausschlaggebend, oder war das eine Frage von politischer Opportunität und Durchsetzbarkeit? Dafür liegen ernstzunehmende Hinweise vor, die wir unter die Lupe nehmen werden, um Transparenz herzustellen. Demokratie kann nämlich nur funktionieren, wenn Transparenz vorhanden ist, wenn die Menschen wissen, wie, auf welcher Grundlage Entscheidungen zustande gekommen sind." (PK)


Online-Flyer Nr. 348  vom 04.04.2012

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