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Inland
Der Innenminister von Sachsen Anhalt, seine Polizei und der Tod von Oury Jalloh
Das Dessau-Prinzip: Opfer zu Tätern machen
Von Dirk Vogelskamp

Nach den polizeilichen Gewaltexzessen gegen eine Demonstration zum Gedenken an Oury Jalloh in Dessau hat der sachsen-anhaltinische Innenminister Holger Stahlknecht einen Brief an die ihm unterstellten Polizeibeamten geschrieben. Darin äußert er  mit einem Anflug von Bedauern, dass der Slogan „Oury Jalloh – das war Mord“ von dem großzügig ausgelegten Recht der Meinungsfreiheit gedeckt sei.  Er schreibt: „Das Recht der Meinungsfreiheit“ werde in Deutschland „sehr hoch bewertet“. – Einen Offenen Brief(1) des Komitees für Grundrechte und Demokratie, den die NRhZ am 8.1. nach dem Gewalteinsatz veröffentlichte, hat Herr Stahlknecht natürlich nicht beantwortet. – Die Redaktion


Polizisten zufrieden im Bahnhof Dessau, nachdem
sie dort einen Demonstranten auf dem Heimweg
brutal zusammengeschlagen haben
NRhZ-Archiv
Man fragt sich: Kann man das Recht der Meinungsfreiheit auch niedrig bewerten? Zutiefst erschreckend ist jedoch die Art, wie der Minister die Realität umdeutet. Auch er empfindet solche Aussagen als drastische Provokationen und kann die emotionalen Reaktionen „seiner“ Polizeibeamten verstehen. Kein Wort darüber, dass die Polizeibeamten durch die Polizeileitung gegen das Motto der Demonstration aufgehetzt wurden, indem ihnen gesagt wurde, dieses sei rechtswidrig. Mit Bedauern werden die Polizeibeamten jetzt darauf hingewiesen, dass diese Aussagen zugelassen und hingenommen werden müssten. Man dürfe sich nicht provozieren lassen. Er tut so, als ob die Meinungsäußerung verständlicherweise polizeiliche Gewalt provoziert hätte. Die Polizeibeamten hätten Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, auch dann, „wenn Ausschreitungen durch Veranstaltungsteilnehmer provoziert und initiiert“ würden.
 
Das aggressive polizeiliche Handeln wird innenministeriell ins rechte Licht gerückt! Jedoch: Die Provokation und Aktion gingen allein von der Polizei aus, indem sie versuchte, der polizeilich inkriminierten Transparente gewalteskalierend habhaft zu werden. Die Eingriffsgrundlage der Polizei war rechtswidrig und mit den Grundrechten unvereinbar! Darauf haben Bürgerrechtsorganisationen die Polizeidirektion rechtzeitig hingewiesen. Erst aus dieser Rechtswidrigkeit heraus wurden Bürgerinnen und Bürger von Polizisten schwer verletzt. Es wurde polizeigewaltsam in ihre Grundrechte eingegriffen.
 
Statt nun couragiert das polizeiliche grundrechtsentbundene Handeln zu kritisieren, den Beamten ihr rechtswidriges Eingreifen einsichtig zu machen, sich bei den Opfern zu entschuldigen und dieselben für ihre erlittenen Schmerzen und ihren Schaden zu entschädigen, wird die Polizei seitens des Innenministeriums geschützt. Die Opfer jedoch werden zu den eigentlich handelnden Provokateuren und Initiatoren der Gewalt gemacht. Hingegen: Ohne das gewaltsame Eingreifen der Polizei am 7. Januar 2012 in Dessau wäre die Demonstration wie seit Jahren friedlich verlaufen. Der Innenminister schützt mit seinem Brief in allererster Linie seine „provozierten“ Polizeibeamten – die Grundrechte der Demonstrantinnen und Demonstranten sind kaum der Rede wert. Kein Bedauern mit den Provokateuren, heißt seine vorwärtsverteidigende Devise. 

Oury Jalloh - Bürgerkriegsflüchtling
und Vater eines kleinen Kindes aus
Sierra Leone
NRhZ-Archiv
Seit fünf Jahren wird gerichtlich die polizeidiktierte und staatsanwalt-schaftlich übernommene Hypothese untersucht, dass ein stark alkoholisierter Asylsuchender, der nach polizeilicher Leibesvisitation an Händen und Füßen auf eine feuerfesten Matratze gefesselt worden war, dieselbe selbst angezündet habe. Um wie viel mehr, so bleibt öffentlich besorgt zu fragen, bestimmt das Dessau-Prinzip, nämlich Opfer zu Tätern umzufunktionieren, auch die gerichtliche Aufklärung des Verbrennungstodes Oury Jallohs in der Polizeigewahrsamszelle Nr. 5.  (2) Innenminister Holger Stahlknecht jedenfalls hat bewiesen, dass er zum Schutz „seiner“ Polizeibeamten bereit ist, Opfer zu Tätern zu machen. Die Polizeizeugen im laufenden Gerichtsverfahren werden das vernommen haben. (PK)
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17378
(2) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13223
 
Dirk Vogelskamp ist Mitarbeiter des Komitees für Grundrechte und Demokratie


Online-Flyer Nr. 338  vom 25.01.2012

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