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Medien
Medienmanipulation am Beispiel der Berliner Zeitung
Hintermann - gut getarnt
Von Ralf J. Münzner und Peter Kleinert

Der Kommentar "Stagnation mit der großen Koalition" von Werner Gegenbauer in der Berliner Zeitung vom vergangenen Freitag* offenbart einmal mehr, woran Deutschland wirklich leidet: Es ist die ständige mediale Verbreitung neoliberaler und größtenteils nachweisbar falscher Argumente und klarer Manipulationsversuche - in der Regel vorgetragen von dafür gut bezahlten Journalisten, manchmal aber auch von einem gut getarnten Hintermann.
BZ-Kommentator Gegenbauer vertritt noch immer die These, es existiere beispielsweise in Bezug auf das Renten- oder Gesundheitssystem ein Ausgabeproblem, während es doch offensichtlich ist, dass es in Wahrheit aufgrund des massiven und ständig fortgesetzten Arbeitsplatzabbaus bei gleichzeitigen milliardenschweren Steuergeschenken an die Wirtschaft ein Einnahmeproblemist, das unsere Gesellschaft und den Staat belastet und erheblich bedroht (siehe z.B. NRhZ 51, Unfug der Woche).

Angesichts dieser Problematik ist es geradezu zynisch, dass Gegenbauer hier eine generelle Leistungskürzung als Lösung fordert. Eben diese Leistungskürzungen, die der gesamten Bevölkerung in den vergangenen Jahren in immer stärkerem Maß zugemutet wurden und auch weiterhin fortgesetzt werden, sind doch verantwortlich für die nachlassende Binnennachfrage, die zunehmende soziale Spaltung und - auch "Hartz IV" sei´s gedankt - die massenhafte Verarmung von Millionen von Menschen. Die Rentenzahlungen sinken ebenso wie die Löhne seit Jahren; die finanziellen Mehrbelastungen nicht nur im Gesundheitssystem sind für die Bürger erheblich gestiegen und sollen auch weiterhin massiv steigen; die desaströsen Folgen der "Hartz"-Gesetze sorgen für weit verbreitete Armut, eine unkontrollierte Ausbreitung von Niedrigstlohnjobs auch für gut Ausgebildete und Akademiker und die Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze durch "Ein-Euro-Jobs". Gebracht hat das alles nichts.

All diese "Reformen", die man eher "Deformationen" nennen müsste, haben die Lage stattdessen weiter verschärft und verschlimmert. Folgt man Gegenbauers Gedankengängen, liegt das jedoch in erster Linie an einer in Deutschland angeblich herrschenden "Anspruchsmentalität", womit natürlich nicht die Reichen, sondern die Menschen "ganz unten" gemeint sind. Die Frankfurter Rundschau hat ein solches Menschenbild treffend als "Sozialzynismus" bezeichnet. In diesem neoliberalen Gesellschaftsbild, in dem einem Großteil der Menschen zunächst die finanzielle Grundlage entzogen wird, um sie danach zynisch in die "Eigenverantwortung" zu entlassen, ist kein Raum mehr für Toleranz, Solidarität, Fairness oder paritätisches Denken.

Wie die Gesellschaft nach seiner Meinung funktionieren sollte, sagt Gegenbauer seinen Lesern auch: Die Menschen müssen sich eben, was Rente und Gesundheit betrifft, vermehrt "privat versichern". Man fragt sich, ob er dabei bewusst verschleiert, dass eine solche private Vorsorge ja nichts anderes ist als eine finanzielle Mehrbelastung der ohnehin gebeutelten Mehrheit. An wen der Bürger seine vermehrten Aufwendungen zahlt - ob nun an den Staat oder einen Versicherungskonzern -, dürfte den Menschen egal sein. Nicht egal ist das allerdings den Konzernen, so dass deutlich wird, wo sich denn die wirklichen (und einzigen) Gewinner einer solchen gebetsmühlenartig immer wieder geforderten "Privatisierung" befinden. Auch die Frage, wie all die Armen und Ärmsten unseres Landes eine solche "Privatisierung" bezahlen sollen, bleibt weiter offen. Hinreichende ärztliche Versorgung und eine auskömmlicheRente scheinen dem Kommentator nur noch für einen zunehmend kleiner werdenden Teil der Bevölkerung wünschenswert und notwendig. In seinem Text fehlt nur noch der logische Ruf nach einer Änderung des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar, sofern er sie sich leisten kann."

Klar ist für Gegenbauer auch, dass die durch diese Sparsamkeit in der Gesundheitspolitik sinkenden Lohn(neben)kosten neue Arbeitsplätze schaffen würden. Dass seine Behauptung "Arbeit würde wieder billiger und damit auch wieder häufiger in Deutschland wie ursprünglich versprochen" längst widerlegt ist, scheint ihn nicht zu stören. Der riesige Niedrigstlohnsektor, der auf Druck der Schröder-Regierung entstanden ist, hat ja bekanntlich nicht zu mehr Arbeitsplätzen, sondern zur Vernichtung angemessen entlohnter Stellen geführt. Schon Ende 2005 befand dazu Hartmut Reiners, Leiter des Referats Grundsatzfragen der Gesundheitspolitik im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie des Landes Brandenburg: "Aber auch wenn man die Lohnnebenkosten als eigenständigen Wettbewerbsfaktor betrachtet, gibt es keine belastbaren empirischen Belege für die Behauptung, die Höhe der Sozialabgaben schädige den Standort Deutschland. Man findet eher Anhaltspunkte dafür, dass es sich dabei um einen Popanz handelt (...)."

"Popanz" - das Wort beschreibt trefflich die gesamte neoliberale Ideologie, die da heißt: Gebt alles Geld den Konzernen, reduziert den Staat auf ein reines Bürgerüberwachungssystem und überlasst die Menschen ansonsten sich selbst und dem Markt. So wird Wohlstand und Reichtum für alle entstehen.

Welche Motive, so fragt man sich am Ende dieser Lektion, bewegen einen Redakteur im Ressort Wirtschaft der einst angesehenen Berliner Zeitung zu einem solchen Kommentar? Standen Werbekunden oder Anteilseigner mit gezogenen Colts hinter seinem Schreibtisch? - Weit gefehlt, denn Werner Gegenbauer ist gar kein Redakteur, sondern Unternehmer (die Gegenbauer Holding SA & Co. KG und ihre Tochterfirmen erzielten im Jahr 2005 einen Gesamtumsatz in Höhe von 300,5 Millionen Euro) und Ehrenpräsident der Industrie- und Handelskammer Berlin. So einer kann natürlich nicht anders als - gut getarnt im eigenen und im Interesse der anderen Reichen und Superreichen - ein paar hunderttausend BZ-LeserInnen an der Nase herumzuführen.

Die erfahren nun über die NRhZ, warum ein BZ-Kommentator milliardenschwere Steuergeschenke des Staates an die Wirtschaft gut heißt und gleichzeitig "Hartz-IV" als "das teuerste Kuckucksei" bezeichnet, "das die Schröder-Regierung der großen Koalition ins Nest gelegt hat". Hinter dem scheinbar unabhängigen Journalisten Gegenbauer enthüllt sich - wahrlich exemplarisch - einmal mehr die hässliche Fratze des Kapitalismus, die unsere übl(ich)en Medien willfährig und manipulierend unters Volk bringen.

Zudem ist es auffällig, dass gerade die Berliner Zeitung, die im Herbst 2005 von einem Investorkonsortium, bestehend aus der britischen Firma Mecom und dem amerikanischen Unternehmen Veronis Suhler Stevenson, übernommen wurde (siehe NRhZ Nummer 14), erst kürzlich wieder für Schlagzeilen gesorgt hat: Völlig überraschend und gegen den Willen der Redaktion wurde im Mai 2006 der bisherige Chefredakteur, Uwe Vorkötter, durch Josef Depenbrock ersetzt. Depenbrock, der zuvor unter anderem für die Bild-Zeitung, das Finanzmagazin Cash und das Boulevardblatt Hamburger Morgenpost gearbeitet hat, stieß in der Redaktion der Berliner Zeitung auf breite Ablehnung. In einer Presseerklärung des Betriebsrats des Berliner Verlages heißt es: "Der Betriebsrat kritisiert insbesondere, dass Herr Josef Depenbrock als Chefredakteur der Berliner Zeitung auch in der Geschäftsführung der BV Deutsche Zeitungsholding tätig sein wird. Diese Verquickung gefährdet die redaktionelle Unabhängigkeit der Berliner Zeitung." Auch die stellvertretende Chefredakteurin, Brigitte Fehrle, hat daraufhin die Konsequenzen gezogen und um eine Auflösung ihres Vertrages gebeten. Noch im Oktober 2005 hatte der Mecom-Chef und nun auch Aufsichtsratsvorsitzende des Berliner Verlages, David Montgomery, gesagt: "Wir werden die stolzen Hüter der Publikationen des Berliner Verlages sein und die höchsten Standards journalistischer Qualität, verlegerischer Integrität und guten Managements einhalten."

Wie dieser Anspruch in der Realität aussieht, hat der Kommentar des Hintermannes
Werner Gegenbauer nun eindrucksvoll bewiesen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass andere Beiträge Gegenbauers in der Berliner Zeitung in der Vergangenheit üblicherweise mit dem Zusatz versehen waren: "Der Unternehmer und frühere Berliner IHK-Chef Werner Gegenbauer schreibt an dieser Stelle im wöchentlichen Wechsel mit dem Ost-Experten und Banker Edgar Most." Dieser erhellende Zusatz fehlt unter dem aktuellen Kommentar - ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Man mag nicht an Nachlässigkeit glauben, vielmehr scheint es durchaus beabsichtigt zu sein, dass hier der falsche Eindruck erweckt werden soll, es handele sich um einen journalistischen Text und nicht etwa um schamlose Propaganda eines führenden Vertreters der Wirtschaft.

Dennoch steht die Berliner Zeitung hier nur stellvertretend für den Niedergang des Journalismus und die Aushebelung der Kontrollfunktion einer längst nicht mehr freien Presse.
________________
*siehe http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/wirtschaft/566948.html

Online-Flyer Nr. 52  vom 12.07.2006

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