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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Der Fluch eines jüdischen Staates
Von Evelyn Hecht-Galinski

Schrieb ich nicht schon jahrelang über die Tolerierung der rassistischen Parteien und Rabbiner, so haben wir jetzt, frei nach Goethe, "die Geister, die ich rief", die ungezügelt ihre Geister in der jüdischen Ideologie eines jüdischen Staates gewähren lassen. Schon bei Staatsgründung legten zionistische Politiker wie Ben Gurion, trotz totaler Säkularität durch ihre Sprüche und Taten die Wurzeln für die heutigen Zustände im "Scheinheiligen Land".
 
Diskriminierung von Nichtjuden war von Beginn an in allen Lebensbereichen Tatsache. Nehmen wir das Wohnrecht: Gründet sich diese Diskriminierung nicht auf die Tatsache, dass über 90% von Israels Land Staatseigentum war und von der israelischen Landbehörde gemäß Bestimmungen des Jüdischen Nationalfonds, einer Tochterorganisation der World Zionist Organisation, erlassen wurde? In diesen Bestimmungen verweigert der JNF jedem der nicht jüdisch ist, das Recht in Israel zu wohnen, ein Geschäft zu eröffnen und oftmals auch zu arbeiten. Gleichzeitig ist es Juden nicht verboten, sich irgendwo in Israel anzusiedeln, oder Unternehmen zu eröffnen. Eine derartige diskriminierende Behandlung gegenüber Juden in einem anderen Staat würde sofort und mit Recht als Antisemitismus gebrandmarkt werden und ohne Zweifel massive öffentliche Proteste auslösen.
 
Dies alles las ich in dem 1998 erschienen Buch von Israel Shahak, "Jüdische Geschichte, Jüdische Religion", das ich schon mehrmals empfahl. Dieser Fakt, ebenso wie das Rückkehrrecht für alle Juden, ist für mich eine untragbare schändliche Tatsache, die heute schamlos von Orthodoxen, Siedlern und säkularen Politikern benutzt wird, um das palästinensische Volk zu unterdrücken und  inzwischen auch die eigene Bevölkerung, sich ihren Regeln zu unterwerfen.
 
Riefen nicht rassistische orthodoxe Rabbiner dazu auf, die Palästinenser zu töten, auch ihre Frauen, Kinder und ihr Vieh? Riefen sie nicht dazu auf, kein Land an Palästinenser zu vermieten, oder zu verkaufen? Kamen nicht die Mörder von Rabin, wie Yigal Amir und der Hebron Massaker-Mörder Baruch Goldstein aus diesem Milieu? Goldstein hatte seine politische Heimat in der rechtsextremen Kach Partei. War nicht Avigdor Lieberman, der heutige Vorsitzende der Rechtsradikalen Beitenu Partei "Unser Haus Israel" früher einmal Mitglied dieser nach dem Massaker verbotenen Kach Partei? Forderte nicht der Justizminister Jaakov Neeman schon vor zwei Jahren, dass die Gesetze der Thora die verbindlichen Gesetze im Staat Israel sein sollten? Er konnte diese Gedankengänge nach massiven Protesten glücklicherweise nicht in die Tat umsetzen, aber seine "orthodoxen Jünger" fordern das immer noch wiederholt und träumen von einer jüdischen Theokratie und "Talibanisierung" Israels.
Schritt für Schritt kommen sie diesem Ziel näher: Bürgersteige nur für Frauen, getrennte hintere Plätze in Bussen nur für Frauen. Ein siebenjähriges Mädchen wird angespuckt, weil es nicht "züchtig" angezogen ist. Das wurde auch noch von einem orthodoxen Rabbiner im DLF bestätigt - in einer ausgezeichneten Radioreportage von Sebastian Engelbrecht über die Zustände in Beit Schemesch. Da lief es mir zur frühen Morgenstunde eiskalt über den Rücken!
 
Nicht nur die ungezügelte Judaisierung und ethnische Säuberung Jerusalems durch den ungebremsten, ungesetzlichen und völkerrechtswidrigen Siedlungsbau geht unablässig weiter (kurz vor Weihnachten tausend neue Wohnungen in Ost-Jerusalem und nahe Bethlehem, sowie am 28. Dezember wieder 130 neue Wohnungen mit drei Wohntürmen zu je zwölf Stockwerken), sondern auch die Judaisierung der Orthodoxie gegenüber der säkularen israelischen Mehrheitsbevölkerung.

Wenn Hardcoresiedler Moscheen anzünden oder rechtsradikale Siedler in
eine christliche Taufstätte am Jordanfluss einbrechen, um es den Jordaniern "mal heimzuzahlen". Zwar will der israelische General Nitzan Alon, der das Kommando ab nächstes Jahr in der Westbank innehaben wird, dann keine Nachsicht mehr üben, auch gegenüber "jüdischen Terroristen" nicht, aber
so schlimm kann es auch nicht werden. Nicht umsonst hat die Siedlerführung Kooperation zugesagt, denn bis jetzt hat sich hartnäckiges Verhandeln auch immer als sehr erfolgreich erwiesen. Erster Sieg: der teilweise auf palästinensischem Privatland gebaute illegale Außenposten Ramat Gilad muss nicht geräumt werden, im Gegenteil: die Regierung will ihn jetzt für die Siedler legalisieren. Der sogenannte "Preis": es müssen neun illegale Wohncontainer bis April ein paar Meter versetzt werden. Es lohnt sich also für die Siedler und Extremisten als Brandstifter im "Scheinheiligen Land" Moscheen anzuzünden und die Gesetze der Bibel über die Gesetze des Staates zu stellen. Das denken sich dann Kaderschmieden der Religionsschulen wie die Jeschiwa Merkas Harav aus, ein wichtiges Zentrum der Nationalreligiösen. Da verlangen Rabbiner das Abhängen von Plakaten von Fotos von Frauen, oder Frauen werden aufgefordert, ihre Viertel zu meiden.
 
Aber ist das nicht die Folge der Instrumentalisierung des Judentums für politische Zwecke, die von den Politikern bewusst betrieben wurde und wird, wenn z. B. Ministerpräsident Netanjahu zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit mit Kippa erscheint, um seine religiöse Verbundenheit zu zeigen. Wird ihm diese verlogene Geste und schauspielerische Höchstleistung wirklich abgenommen? Israel und Netanjahu als Bollwerk gegen den Islamismus und Paradies für christliche Zionisten (die normalen Christen werden immer weniger), wie er da saß bei seiner triefend verlogenen (Sch)Weihnachts-ansprache. (Ist es nicht komisch, dass mich dieser Wolf im Schafspelz an Wulff im Schafspelz erinnerte?) Klar, dass er dann jüdische Siedlerterroristen nicht als solche bezeichnen will, schließlich will er seine Wählerschaft nicht verprellen - oder?

Auch Tzipi Livni, die Vorsitzende der Kadima Partei (witzigerweise in den deutschen Medien von der gemäßigten Oppositionsführerin zur Sozialdemokratin mutiert, immerhin eine der Haupt-Mit-VerursacherInnen des Gaza-Massakers), die sich heute so um das Ansehen und das Bild Israels sorgt, wollte früher, als sie noch hoffte, Ministerpräsidentin zu werden, auch mit der Schas Partei koalieren. Übrigens diese Parteien wie Schas und andere wären in Deutschland gar nicht koalitionsfähig, sondern verboten. Siehe oben!
So ist es auch kein Zufall, wenn ausgerechnet jetzt, nachdem sich die Beziehungen Israels und der Türkei massiv verschlechtert haben, die Haltung zum Völkermord an den Armeniern neu debattiert wird. Hatte man nicht immer mit Hinweis auf die Beziehungen zur Türkei diesbezüglich "gemauert?" Jetzt aber, nach der in der Knesset abgeschmetterten Forderung nach Anerkennung des Völkermords an den Armeniern, diesmal die zusätzliche Forderung nach Einführung eines Gedenktages als überraschende Wende. Eine neue Initiative, diesmal von rechter Seite, durch den ultrarechten Abgeordneten Arye Eldad. Und jetzt kommt der "Clou" mit Unterstützung des Vorsitzenden des Erziehungsausschusses, Axel Miller. Axel Miller ist kein Geringerer als der Ultranationale, der bekannt und berüchtigt wurde durch das von ihm auf den Weg gebrachte und umstrittene "Anti-Nakba-Gesetz." (Ich sage nur das Stichwort "Nakbaleugner".)  Da stimme ich der israelischen Presse zu, die von Heuchelei sprach, was mir allerdings mehr als vornehm umschrieben scheint.
Übrigens: Thüringens Ministerpräsidentin Lieberknecht wäre vielleicht besser beraten gewesen, sich in der Türkei für die Neonazi-Morde zu entschuldigen, waren doch die ermordeten Deutsch-Türken Bürger mit Migrationshintergrund. Das nur nebenbei gesagt. Aber natürlich ist eine Reise in das "Heilige Land" und zur "einzigen Demokratie im Nahen Osten" für philosemitische deutsche Politiker Pflichtprogramm. Da ändert auch der kurze Abstecher nach Ramallah nichts dran. Wurde sie dort um Hilfe gebeten, Deutschland für einen Palästinenserstaat zu mobilisieren? Das hat fast schon einen kabarettistischen Charakter. Tunesische Diplomaten werden bei uns jetzt ausgebildet und "sensibilisiert" für das besondere Verhältnis zwischen Deutschland und Israel.

Übrigens, wenn ich schon bei deutschen Politikern gelandet bin, nur soviel: ein Artikel in der FAZ vom 29. Dezember(1) hat mich so fasziniert und begeistert, dass ich ihn wärmstens empfehlen möchte. Titel: "Wie viel Bekenntnis verträgt die SPD?" von Thomas Stamm-Kuhlmann. Er schreibt darin über die Gefahren, die davon ausgehen, wenn die SPD sich immer mehr an die Kirchen anschließt und die Laizisten, Atheisten und Agnostiker "draußen vor" lässt und so die Wähler im "antiklerikalen" Milieu verprellt. Ausgesprochen lesenswert!!! Ich  sage nur: Der nächste Kanzler darf kein Niedersachse sein!
Außerdem finde ich, angesichts der Tatsache, dass wir zwar auf dem Papier die Trennung von Staat und Kirche haben, tummeln sich viel zu viele Kleriker, Pfarrer (Pfarrerstöchter) und Pastoren in der Politik und in den Parteien. Da lobe ich mir die Freidenker. Die Gedanken sind frei. Ich wünsche uns allen für 2012 eine aufgeweckte und wachsame Medien- und
Politiklandschaft. (PK)

(1)
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/politik-und-religion-wie-viel-bekenntnis-vertraegt-die-spd-11583268.html
 
Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Unsere LeserInnen kennen sie als Autorin der Serie, die sie "vom Hochblauen", ihrem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen, schreibt.


Online-Flyer Nr. 335  vom 04.01.2012

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