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Kommentar
Zur SPD-Parteitagsrede des ehemaligen Bundeskanzlers und Medienstars:
Sozialdemokratische Grenzen eines Helmut Schmidt
Von Michael Schlecht

Der frühere SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat – wegen seines Alters von 91 Jahren zwar im Rollstuhl sitzend – natürlich für seine Rede auf dem SPD-Parteitag mächtig Beifall bekommen, auch in den meisten Medien. Dass ihm aber der Bundestagsabgeordnete und Chefvolkswirt der Fraktion und Gewerkschaftspolitische Sprecher im Parteivorstand DIE LINKE auch einigen Beifall spenden würde, hat uns so überrascht, dass wir das unseren LeserInnen nicht vorenthalten wollen. – Die Redaktion
 

Altkanzler Helmut Schmidt
Seit 1945 leben wir in Europa in einer historischen Ausnahmesituation: Es herrscht Frieden zwischen den großen Völkern, den Franzosen, den Engländern, den Polen und den Deutschen. Schmidt listet auf, beginnend mit dem 30jährigen Krieg im 17. Jahrhundert, wie seit Jahrhunderten unsere Väter, Großväter und weitere Ahnen sich wechselseitig massakriert haben. Er beschreibt dies als einen beständigen kriegerischen Konflikt zwischen „Zentrum und Peripherie“. Die letzten großen europäischen Aggressionskriege gingen von deutschem Boden aus. Der Zweite Weltkrieg war verbunden mit dem Holocaust, einem historisch einmaligen
                                                                 Großverbrechen.
 
Helmut Schmidt zeichnet den Weg nach, wie durch die wirtschaftliche und politische europäische Integration die Voraussetzungen für eine friedliche europäische Entwicklung nach 1945 gelegt wurden. Die anderen Völker Europas waren vor Deutschland geschützt und gleichzeitig die Deutschen vor sich selbst.
 
Helmut Schmidt unterstreicht, dass mit der europäischen Krise der Gegenwart eine ungeheure Bewährungsprobe besteht. Es gibt mittlerweile „eine schwerwiegende Fehlentwicklung …, nämlich anhaltende enorme Überschüsse unserer Handelsbilanz und unserer Leistungsbilanz. … Alle unsere Überschüsse sind in Wirklichkeit die Defizite der anderen. Die Forderungen, die wir an andere haben, sind deren Schulden.“ Dies „muss unsere Partner beunruhigen. … Dieses Mal handelt es sich nicht um eine militärisch und politisch überstarke Zentralmacht, wohl aber um ein ökonomisch überstarkes Zentrum!“
 
Kanzerlin Merkel als die Regentin dieses „ökonomisch überstarken Zentrums“ ist zurzeit damit beschäftigt sich zur politischen Beherrscherin Europas krönen zu lassen. Mittels veränderter europäischer Regelungen will sie sogar die Beschneidung der nationalen Souveränität der anderen Länder erreichen. So sollen die Agenda 2010, massive Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen den anderen europäischen Ländern aufgeherrscht werden. „Das alte Spiel zwischen Zentrum und Peripherie könnte abermals Wirklichkeit werden.“
 
Es ist selten, dass ich einen sozialdemokratischen Politiker so ausführlich zustimmend zitiere. Jedoch gibt es bei Helmut Schmidt einen Abbruch seiner Argumentation. Weshalb ist es zu diesem so verheerenden Leistungsbilanz-ungleichgewicht gekommen, das die Ursache für die Schulden der anderen ist? Bei Schmidt verdichtet sich die Antwort in der Floskel: „Es handelt sich um eine ärgerliche Verletzung … des ‚außenwirtschaftlichen Gleichgewichts‘“.
 
Ärgerlich, dass Schmidt hier nicht weiter argumentiert. Denn dann hätte nicht nur eine Abrechnung mit Merkel, sondern auch mit der Politik der Schröder/Fischer-Regierung folgen müssen. Die Politik der Agenda 2010 ist die zentrale Ursache für die Außenhandelsungleichgewichte und damit für die europäische Krise. Deutschland ist wieder Täterland. Mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes wurden die Gewerkschaften geschwächt und ein gigantisches Lohndumping eingeleitet. Die Löhne sind seit 2000 um 4,5 Prozent preisbereinigt gesunken.
 
Wenn Löhne sinken, dann tragen die Menschen weniger Geld in die Geschäfte. Dies trifft auch die Importe, sodass viele andere Länder es schwer haben nach Deutschland Waren zu exportieren. Das Lohndumping ist gut für die Unternehmer, ihre Profite und auch für ihre Wettbewerbsfähigkeit im Ausland. Kein Wunder, dass gerade seit 2000 die Exporte massiv steigen.
 
In der Scherenbewegung von ausgebremsten Importen und steigenden Exporten explodierte der Aushandelsüberschuss. Seit 2000 wurde für 1,2 Billionen Euro mehr ins Ausland verkauft als eingekauft. In den ersten drei Quartalen 2011 betrug der Überschuss knapp 120 Milliarden Euro, davon 65 Milliarden mit der Eurozone!
 
Wäre Helmut Schmidt diesen argumentativen Schritt noch gegangen, dann hätte er auch die historisch notwendigen Konsequenzen, die weit über ihre soziale Bedeutung hinausgehen, formulieren müssen: In Deutschland muss das Lohndumping beendet und die Agenda 2010 zurückgenommen werden. Vor allem ist der gesetzliche Mindestlohn von 10 Euro zwingend notwendig, da er allein schon einen Kaufkraftschub von 40 Milliarden Euro bringt.
 
Nur mit dieser grundlegenden Umsteuerung kann Europa gerettet und das Primat der Politik gegenüber dem Terror der Finanzmärkte durchgesetzt werden. Nur so ist es möglich, rechtspopulistischen Tendenzen Einhalt zu gebieten und den Frieden in Europa zu sichern. Sich dafür stark zu machen in diesem Land, ist deutsche Verantwortung. (PK)


Online-Flyer Nr. 331  vom 07.12.2011

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