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Aktueller Online-Flyer vom 29. April 2024  

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Inland
Steuererhöhungen für die reichen Vermögensbesitzer sind tabu
Die Diktatur des Kapitals
Von Franz Kersjes

Wer Kapital besitzt, hat Macht. Wer über viel Kapital verfügt, hat viel Macht. Dazu gehört das ständige Streben, den Reichtum zu vermehren. Kapital zu investieren oder zu verleihen ist immer mit dem Ziel verbunden, eine hohe Rendite zu erreichen. Das Konzept des Shareholder Value besagt, dass beispielsweise ein Unternehmen vorrangig den Interessen seiner Eigentümer zu dienen hat. Der Wert des Unternehmens soll maximiert werden. Da ist für „soziale Marktwirtschaft“ kein Platz. Und der Auftrag der deutschen Verfassung, dass „Eigentum verpflichtet“, hat beim Profitstreben der Kapitalbesitzer keine Chance. Das bewies am Wochenende wieder mal die SPD-Führung.


Cartoon: Kostas Koufogiorgos
 
Der Reichtum der Vermögensbesitzer wird gefördert
 
Regierungen und Politiker schützen und fördern den Reichtum der Vermögensbesitzer. Insbesondere durch die Steuerpolitik. Die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl schaffte die Vermögenssteuer ab – die es in vielen anderen Industrieländern weiterhin gibt. Die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder reduzierte den Spitzensatz der Einkommenssteuer von 53 auf 42 Prozent. Die Gewinne aus dem Verkauf von Unternehmen wurden komplett von der Steuer befreit. Die schwarz-rote Regierung unter Angela Merkel senkte die Steuer auf Kapitalerträge von maximal 42 auf 25 Prozent. Und vor zwei Jahren minderte die Große Koalition auch noch die Erbschaftssteuer, die schon zuvor ungewöhnlich niedrig war. Die 200 Milliarden Euro, die jedes Jahr vererbt werden, bleiben nun fast gänzlich unbesteuert. Konsequent warnten also auch am Wochenende die SPD-Größen Steinbrück und Steinmeyer in den Medien linke Parteifreunde anläßlich des bevorstehenden Parteitags vor einer Steuererhöhungsdiskussion für Reiche. 
 
Allein im vergangenen Jahr haben Mindereinnahmen von über 50 Milliarden Euro zu neuen Schulden geführt. Und so ist die Staatsverschuldung in Deutschland seit dem Jahr 2000 um rund 800 Milliarden Euro gewachsen. „Rein rechnerisch wären ohne die Steuersenkungen die öffentlichen Haushalte gar nicht mehr im Defizit, sondern hätten schon Überschüsse, und
das bezieht sich sowohl auf Bund, Länder und Gemeinden“, erklärte Achim Truger vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in einem Fernsehinterview. Merke: Der Staat verzichtet auf Steuereinnahmen bei den reichen Vermögensbesitzern, leiht sich dann aber bei ihnen das Geld, auf das er verzichtet hat und zahlt dafür Zinsen. Ist das nicht irre?
 
Politiker werden nicht müde zu behaupten, dass Steuersenkungen das wirtschaftliche Wachstum so stark ankurbeln, dass am Ende mehr Steuereinnahmen herauskommen. Aber das ist ein Irrtum und steht auch in keinem Lehrbuch. Als in den Jahren 2001 bis 2005 die Steuern massiv gesenkt wurden, hat das nur zu höheren Defiziten in den öffentlichen Haushalten geführt, aber die Wirtschaft hat stagniert. „Ich kann mich an kein Beispiel erinnern, wo ein Land mit niedrigeren Steuersätzen tatsächlich höhere Steuereinnahmen erzielt hat“, erklärt Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Obwohl die öffentlichen Haushalte extrem belastet sind, spart der Staat auch nicht bei den Unternehmenssubventionen – im Gegenteil. Im Jahr 2010 bekam die Wirtschaft in Deutschland nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft so viel ausgezahlt und erlassen wie noch nie: gut 112 Milliarden Euro. Unter den Geförderten sind auch viele Konzerne, die große Gewinne machen.
 
Die Reichen beteiligen sich immer weniger an der Finanzierung des Staates. Die Politik zugunsten der Vermögensbesitzer hat die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert. In nur fünf Jahren stieg der Anteil der obersten zehn Prozent am Volksvermögen von üppigen 58 auf über 61 Prozent – trotz Wirtschaftskrise. Und die Armen wurden noch ärmer. Die untersten 70 Prozent der Bevölkerung besitzen gerade noch neun Prozent des Volksvermögens. Und so sammelt sich im Laufe von Jahrzehnten immer mehr Geld bei immer weniger Menschen. Und die Masse der Menschen muss die Zinsen für die Reichen erwirtschaften. Welch ein Wahnsinn!
 
Die Geldverleiher machen Kasse
 
Die überschuldeten Staaten Europas und die USA haben trotz vieler volkswirtschaftlicher Unterschiede eines gemeinsam: Sie haben den Kampf gegen die Steuerflucht vernachlässigt und massiv Steuern gesenkt. So ist die Welt zur Schuldenwelt geworden. Insgesamt 95 Billionen Euro Schulden stehen an den Kreditmärkten aus, vier mal so viel wie im Jahr 1990. Die Schulden sind viel schneller gewachsen als die Wirtschaft oder die Inflation. Allein die Verbindlichkeiten der USA belaufen sich auf 14,3 Billionen Dollar. Und Deutschland steht mit zwei Billionen Euro in der Kreide, Italien mit mehr als 1,8 Billionen. Viele Staaten haben gewaltige Summen eingesetzt, um die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu lindern und die Forderungen der reichen Gläubiger zu erfüllen. 
 
Steuererhöhungen für die reichen Vermögensbesitzer sind grundsätzlich überall in der Welt tabu. Zahlreiche US-Konzerne zahlen in ihrem Heimatland trotz beträchtlicher Profite nichts in die Staatskasse ein. Während der Anteil der Unternehmenssteuern am Gesamtsteueraufkommen in den 1950er Jahren noch bei etwa einem Drittel lag, betrug er im Jahr 2009 nur noch 6,6 Prozent. Dank unzähliger Steuerschlupflöcher führen die 400 reichsten Amerikaner im Schnitt nicht mehr als 18 Prozent an den Staat ab und besitzen mehr als die untere Hälfte aller Bürger zusammengenommen.
 
Nach Angaben der Industrieländer-Organisation OECD beliefen sich die Einnahmen der US-Regierung aus Steuern und Sozialbeiträgen im Jahr 2009 auf gerade mal 24 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist der niedrigste Wert unter den großen Industriestaaten und deutlich weniger als der internationale Durchschnitt von 35 Prozent. Viele Kommunen und Bundesstaaten haben angesichts leerer Kassen drastische Einschnitte beim Personal, vor allem in den Schulen, vorgenommen. 46 Millionen Bürger der USA leben unter der Armutsgrenze. Die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherung stieg im vergangenen Jahr um 900.000 auf 49,9 Millionen.
 
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz geht mit den USA hart ins Gericht: „Das Einzige, was wir geschafft haben, ist, die Banken zu retten. Da haben wir die Verluste sozialisiert und die Profite privatisiert. Ansonsten geben wir Milliarden Dollar pro Woche in Afghanistan aus, kürzen aber hier unseren Schulen die Lehrerstellen. Das ist der perverse Niedergang einer Großmacht“. Der Krieg in Afghanistan kostet die USA durchschnittlich 9,7 Milliarden Dollar im Monat. Seit 2001 hat der US-Kongress 177 Milliarden Dollar für die US-Kriege in Irak und Afghanistan bewilligt. 
 
Auf der Jagd nach Profiten
 
Die reichen Vermögensbesitzer und Kapitalsammelstellen sind ständig auf der Suche nach neuen Verwertungsmöglichkeiten für ihre wachsenden Finanzen. Spekulative Investoren verfügen heute über mehr Geld und Einfluss auf das weltweite Finanz- und Wirtschaftssystem als je zuvor. Und die Politik hat ihnen keine Grenzen gesetzt. Im Gegenteil: 2004 ließ die rotgrüne Koalition unter Gerhard Schröder in Deutschland Hedgefonds und den erweiterten Handel mit spekulativen Derivaten zu. Experten schätzen, dass es weltweit etwa 9.000 bis 14.000 Hedgefonds gibt. Allein von Januar bis Mai 2011 wurden 200 Hedgefonds auf der Welt neu gegründet. Bis Ende des Jahres könnten die Hedgefondsvermögen weiter um gut zwölf Prozent auf 2,25 Billionen Dollar steigen, ergab eine Umfrage der Deutschen
Bank bei 500 internationalen Investoren. 
 
Die Verwertungsmöglichkeiten für das Rendite suchende Kapital werden jedoch schwieriger, weil das wirtschaftliche Wachstum an seine Grenzen gekommen ist. Wer den Menschen ihre Einkommen kürzt und ihre Kaufkraft reduziert, kann nicht erwarten, dass der Konsum steigt. Deshalb bleibt den Investoren und den Eigentümern an Produktionsmitteln nur noch die
Möglichkeit, die Produktionskosten zu senken. Das heißt: Die abhängig Beschäftigten werden mit Lohndumping und Forderungen nach längeren kostenlosen Arbeitszeiten konfrontiert. Gesetze und Tarifverträge werden abgelehnt. Abhängig Beschäftigte und Arbeitslose sollen durch Verzichte zur Erhaltung und Steigerung der Vermögen beitragen. Die Schulden des
Staates sollen durch geringere Einkommen und Kürzung von Sozialleistungen bezahlt werden.  
 
Gute Geschäfte machen weiterhin viele Spekulanten mit Staatsanleihen. Eine absolut sichere Sache, weil schließlich die Steuerzahler dafür geradestehen. Ein Beispiel: Die europäischen Staats- und Regierungschefs verabschiedeten Ende Juli 2011 ein zweites Rettungspaket für Griechenland und den Euro. Griechenland bekommt von den Eurostaaten zusätzlich 109
Milliarden Euro. Laufende Kredite werden gestreckt von siebeneinhalb auf 15 bis 30 Jahre. Gleichzeitig sinken die Zinsen auf 3,5 Prozent. Erstmals beteiligen sich private Banken und Versicherungen an der Euro-Rettung. Sie verzichten auf bis zu 50 Milliarden Euro, rund 21 Prozent ihrer Forderungen. Trotzdem haben die Banken ihre Macht gezeigt. Josef Ackermann, der Chef der Deutschen Bank, saß in Brüssel mit am Verhandlungstisch,
vertrat auch den Internationalen Bankenverband, gab der Politik die Regeln der Rettung vor. Die Banken bekommen für die griechischen Anleihen weiterhin höhere Zinsen als beispielsweise für deutsche Anleihen. Und dieses Geld können sie nach wie vor sehr billig bei der Europäischen Zentralbank aufnehmen, so dass sie einen Anleiheverlust von weitaus mehr als 20 Prozent verkraften könnten.
 
Der herrschende Kapitalismus ist nicht reformfähig
 
Der Finanzkapitalismus hat keine Legitimität. Aber wesentliche politische und sozialpolitische Entscheidungen werden nicht mehr von gewählten Regierungen getroffen, sondern von Lobbyisten und Interessenvertretern des Kapitals diktiert. Die Folgen sind für die meisten Menschen katastrophal: Arbeitslosigkeit, schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen, soziale Ungerechtigkeiten, Armut. 20,5 Prozent der jungen Menschen von 15 bis 24 Jahren in den 27 Staaten der Europäischen Union sind vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Besonders dramatisch ist die Situation in Spanien. Dort ist mit rund 46 Prozent fast jeder zweite junge Mensch ohne Arbeit.
 
Immer mehr Menschen gehen mit Empörung und mit engagiertem Protest auf die Straße. Ihre Wut ist beträchtlich. Sie ertragen die Diktatur des Kapitals nicht mehr. Nicht nur in Nordafrika, sondern auch in vielen europäischen Ländern entwickelt sich Widerstand gegen die asozialen Verhältnisse. Und dieser Widerstand gegen den herrschenden Kapitalismus wird mit Sicherheit weiter wachsen. Auch viele Menschen in Deutschland verachten die bestehende Dominanz des Kapitals. Sie verlangen ein gerechteres, sozialeres Wirtschaftssystem. Und deshalb ist es höchste Zeit, dass in unserer Gesellschaft zielstrebig die Diskussion geführt wird, wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen. (PK)
 
 
Franz Kersjes ist Herausgeber der Welt der Arbeit im Internet und war von 1980 bis 2001 Landesvorsitzender der IG Druck und Papier und der IG Medien in NRW. - www.weltderarbeit.de


Online-Flyer Nr. 331  vom 07.12.2011

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