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Krieg und Frieden
Zehn Jahre nach den ersten Bombardements vom 7. Oktober 2001
Endlich raus aus Afghanistan!
Von Zuher Jazmati

Der Kasseler Politikwissenschaftler und Friedensforscher Peter Strutynski referierte in einer von der Gewerkschaft ver.di organisierten Veranstaltung zum diesjährigen Antikriegstag über die Lage in Afghanistan, wo am 7. Oktober 2001 amerikanisches und britisches Militär mit der Bombardierung des Landes begonnen hatte. Begründet wurde der Einsatz damals damit, gegen die Talibanregierung und Al Kaida vorzugehen, um den Terrorismus zu bekämpfen und so mehr Sicherheit zu schaffen. Als Anlass für diesen "war on terror“ dienten die Anschläge vom 11.September 2001.
 

Bremer demonstrieren in Berlin gegen
deutsche Kriegsbeteiligung
Quelle: wikio.de
Strutynski zeichnete nach, wie der Prozess zum Einsatz verlaufen war und welche Legitimationsmuster für den Krieg verwendet wurden - auch mit Blick auf den Bundeswehrein- satz. Für die Zukunft sei wenig Erfreuliches zu erwarten. Nach den verheerenden Anschlägen in New York und Washington vor zehn Jahren hielt die gesamte Welt den Atem an. Auf der Suche nach Schuldigen wurde schnell auf Afghanistan verwiesen. So verwies Strutynski auf die interessante Wendung in den ersten Aussagen des damaligen US-Präsidenten George W. Bush, der die Attentate in einer ersten Reaktion als „terroristische Akte“, wenig später, nachdem er sich u.a. mit Außenminister Powell beraten hatte, als „kriegerischen Akt“ darstellte. Diese Formulierung bot ihm offenbar eine bessere völkerrechtliche Grundlage zur Rechtfertigung der nun beginnenden „militärischen Verteidigung der USA gegen den Al Kaida- und den internationalen Terrorismus“.
Einen Tag nach den Anschlägen brachten die USA einen Resolutionsentwurf in den UNO-Sicherheitsrat ein (Resolution 1368). Den USA sollte damit das Recht auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta zuerkannt werden. Die Resolution enthielt jedoch kein ausdrückliches Mandat für mögliche militärische Angriffe auf fremde Länder oder terroristische Gruppen. Ebenfalls am 12. September wurde auch die NATO aktiv und beschloss – zum ersten Mal in ihrer über 50-jährigen Geschichte – den „Bündnisfall“ nach Artikel 5 des NATO-Vertrags. In einer weiteren UN-Resolution (Nr. 1373 vom 28.September 2001) wurde die Staatengemeinschaft zudem verpflichtet, juristische und polizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu ergreifen. Auch diese Resolution enthielt kein Mandat für militärische Gewaltmaßnahmen.
Neun Tage darauf, am besagten 7. Oktober, begannen die Luftangriffe des Westens auf Ziele in Afghanistan. Ab sofort sollte die afghanische Talibanregierung, die ein Ausbildungslager des Terrornetzwerks Al Kaida auf ihrem Territorium duldete und sich damit zum Komplizen von Al Kaida gemacht hatte, bekämpft werden. Das vorherige Angebot aus Kabul, das oder die Lager von Al Kaida zu schließen und den mutmaßlichen Drahtzieher der Attentate von 9/11 aus dem Land zu bringen, konnte Bush allerdings nicht umstimmen. „George Bush wollte den Krieg“, sagte Strutynski.

Die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder versicherte den USA noch am 11. September ihre „uneingeschränkte Solidarität“. Damit war auch der Weg der Bundeswehr in den Afghanistan-Krieg vorgezeichnet: In einer denkwürdigen Entscheidung (Kanzler Schröder verband die Kriegsfrage mit der Vertrauensfrage) beschloss der Bundestag am 16.November 2001 die Teilnahme am sog. Antiterrorkrieg ("Operation Enduring Freedom“). Nach dem militärischen Sieg der Kriegskoalition und dem Fall des Taliban-Regimes und nach der Petersberg-Konferenz verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 20. Dezember die Resolution 1386. Er erteilte damit das Mandat zur Unterstützung des zuvor vom Westen eingesetzten Interimspräsidenten Karzai und zur Stabilisierung der von den Taliban befreiten Zone um die afghanische Hauptstadt Kabul. Es war nach den Worten Strutynskis gewiss auch kein Zufall, dass die Wahl auf Karzei fiel: In seiner früheren Zeit war er Vertreter der US-Ölfirma Unocal, die noch im Sommer 2001 Verhandlungen mit dem Taliban-Regime über ein Pipeline-Projekt durch Afghanistan geführt hatte. Die Verhandlungen waren ergebnislos geblieben.
Die angebliche Selbstverteidigung reichte den westlichen Regierungen allerdings nicht als einzige Legitimationsgrundlage für den Krieg am Hindukusch aus. Nachgeschoben wurden Menschenrechtsargumente. Die Unterdrückung der Frauen, die mangelnde oder ganz verhinderte Schulbildung von Mädchen, Zwangsheiraten, Steinigungen u.v.a.m. wurden als Begründung für den Krieg ins Feld geführt, der somit einen „humanitären“ Anstrich erhalten sollte.
Doch wie sieht die Lage heute in Afghanistan aus? Hat die Anwesenheit des Westens in Afghanistan positive Wirkung gezeigt? Strutynski meint, dass die Bilanz nach dem fast zehnjährigen Einsatz erschreckend sei. So stieg die Analphabetenquote von 34% auf 36%, der Anteil der von Hunger bedrohten Bevölkerung stieg von 36% auf 39% und die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen – ca. 50% aller Afghanen sind unter 20 Jahre alt – verschlimmerte sich von 26% auf erschreckende 47%. Die Zahlen stammen aus UNO-Berichten und zeigen ein eindeutiges Ergebnis des Afghanistan-Einsatzes. Auch der Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan hatte wenig Erfolg. Zwar leben laut Strutynski heutzutage nur noch sehr wenige aktive Al Kaida-Terroristen in Afghanistan. „Sie befinden sich allerdings in anderen Ländern und sind aufgrund der verfehlten Politik des Westens aktiver denn je. Somit ist der Westen in Afghanistan auf Geistersuche.“ Trotzdem bleibt die NATO weiterhin anwesend und hält an ihrem Kurs fest. Warum bleibt sie trotzdem da und zieht nicht ab, obwohl die offiziellen Ziele offensichtlich bisher nicht erreicht worden sind?
Strutynski stellt eine Reihe von Vermutungen auf, die die anhaltende Anwesenheit der NATO begründen könnten. Zuerst einmal sei Afghanistan reich an Bodenschätzen. Ihr geschätzter Wert beläuft sich nach US-Berechnungen auf rund eine Billion (1000 Mrd.) $. Als zweites bleibt die Idee einer Öl- und Gas-Pipeline aus dem kaspischen Raum durch Afghanistan und Pakistan bis zum Indischen Ozean. Wenn daraus trotz militärischer Besatzung bis heute nichts wurde, so liegt das an der immens gefährlichen Sicherheitslage der Regionen, durch welche die Trasse laufen sollte. Die dort herrschenden Clans und Warlords (es geht nicht nur um Taliban) verhinderten bisher die Realisierung dieses Plans.
Schaut man auf die Landkarte, so erkennt man sehr schnell die geostrate-gische Bedeutung Afghanistans. So formulierte der Politikwissenschaftler und US-Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski schon in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ (1997), dass der eurasische Raum 75% der Weltbevölkerung und einen ebenso hohen Anteil aller notwendigen Ressourcen enthalte. Wer die Kontrolle über Zentralasien und damit über den eurasischen Doppelkontinent habe, hätte die besten Aussichten, auch künftig eine führende Weltmacht zu sein. Afghanistan sei sozusagen das zentrale Feld auf dem eurasischen Schachbrett. Ein weiterer Grund mag darin gesehen werden, dass nicht nur die Waffen- und Rüstungsindustrie vom Afghanistankrieg (wie von jedem anderen Krieg auch) profitiert, sondern dass der Afghanistankrieg durch seine fatale Verbindung von Militäreinsatz und zivilem Wiederaufbau (sog. zivil-militärische Zusammenarbeit) auch zahlreichen NGOs ein gutes Auskommen garantiert. Schließlich habe die Politik bzw. haben Politiker/innen die schlechte Angewohnheit, Fehler unter keinen Umständen zuzugeben. Bundeswehr und NATO müssen in Afghanistan „ihr Gesicht wahren“ und können nicht so mir nichts dir nichts unverrichteter Dinge abziehen. So werden denn auch die „Erfolge“ des Krieges regelmäßig schön geredet. „Bei dem riesigen Mitteleinsatz (bisher dürften mindestens 1000 Mrd. Dollar für diesen Krieg ausgegeben worden sein!) kann man sich schlecht wieder zurückziehen und sagen: Das war’s wohl.“ Schließlich sei noch zu berücksichtigen, dass die NATO wiederholt ihre eigene Zukunft an einen militärischen Erfolg in Afghanistan geknüpft habe. Eine Niederlage oder auch nur ein Nicht-Sieg der mächtigsten Kriegsmaschine der Welt käme einer politischen Katastrophe gleich. 

Doch wie sehen die möglichen Perspektiven und Alternativen für Strutynski aus? Ginge es nach ihm, müssten die „ausländischen Interventionskräfte sofort und bedingungslos, am besten noch heute abziehen“! Es herrsche in der Bevölkerung Afghanistans ein immer stärker werdender Widerstand gegen die Anwesenheit ausländischer bewaffneter Kräfte. Im Großen und Ganzen wolle die Bevölkerung die NATO dort nicht haben, und auch in Deutschland stehe eine ganz eindeutige Mehrheit, zwischen 70 und 80% der Bevölkerung, nicht hinter dem Afghanistaneinsatz. „Nach dem Abzug wird zwar nicht Frieden eintreten, sondern die Kämpfe verschiedener Warlords, Clans und Drogen-barone um Ressourcen und Macht werden weiter gehen. Ein Abzug der Besatzungstruppen bedeutete aber, dass eine Konfliktursache weniger im Lande wäre.“ Zudem fordert Strutynski die Zahlung von Reparationen für den Wiederaufbau Afghanistans. Die Mittel müssten ausschließlich zivilen Zwecken zu Gute kommen, damit eine Zukunft für die Menschen in Afghanistan möglich sei: „Eine Alternative sehe ich nicht und gibt es wohl nicht!“ (PK)
 
Zuher Jazmati ist 1989 in Berlin geboren und hat dort bis zum 6. Lebensjahr gelebt. Dann hat er 11 Jahre lang in Riad (Saudi Arabien) gelebt, studiert zurzeit "Politik des Nahen und Mittleren Ostens" an der Philipps Universität Marburg. Er ist Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen und in der Landesarbeitsgemeinschaft "Frieden, Europa und Internationales" in Hessen aktiv.


Online-Flyer Nr. 321  vom 28.09.2011

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