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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Inland
Ein Vortrag von der Café Palestine-Konferenz in Freiburg
Wie viel Israel-Kritik darf es denn sein?
Von Evelyn Hecht-Galinski

Auf der Freiburger Café Palestine-Konferenz hat unsere Autorin Evelyn Hecht-Galinski, die ihre Kommentare sonst "am Fuße des Blauen" schreibt, neben weiteren RednerInnen wie Dr. Samir Abed-Rabbo, Gilad Atzmon, Ramzy Baroud und Alan Hart am 11. September einen Vortrag gehalten, den wir hier veröffentlichen. Bei Unterstützern der Israelischen Unrechtspolitik gegen die Palästinenser dürfte die Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, damit allerdings keinen Beifall finden. – Die Redaktion

Evelyn Hecht-Galinski vor einem Bild von Georg Macco aus dem Jahr 1929: Jerusalem - Volksleben in der David Gasse
Foto: Oliver Lösche

Schon im Vorfeld des heutigen Seminars gab es viele Angriffe und Unwahrheiten, die Referenten und Teilnehmer zum Rückzug zwingen sollten. Besonders interessant in diesem Zusammenhang erscheint mir die Tatsache, dass es auch und gerade so genannte Antizionisten aus dem linken Spektrum waren, die massiv versuchten, insbesondere gegen Gilad Atzmon und die Konferenz zu intrigieren.
 
Wie groß muss also die Angst vor der Wahrheit auch in antizionistischen Organisationen sein, dass man so massiv dagegen vorgeht. Sogar vor Drohungen, sich an den OB zu wenden, machte man nicht halt. Zwei unserer Referentin/innen, die bereits ihre Teilnahme zugesagt hatten, hielten scheinbar diesem Druck nicht stand. 
 
Ich für meinen Teil lehne Nazivergleiche ab. Ich finde, diese sind wenig hilfreich. Sprechen nicht die Untaten der israelischen Unrechtspolitik für sich selbst und stellen den jüdischen Staat als das dar, was er ist – nämlich ein rassistisches Regime, welches sich skrupellos über alle moralischen Bedenken hinwegsetzt und mit unserer aller Hilfe den Palästinensern allen Lebensraum nimmt. Da braucht es keine Vergleiche – das ist israelische und heutige Weltpolitik.
 
Lassen Sie mich an die Toten des Arabischen Frühlings denken, diese Bürger und Bürgerinnen, die für Ihren Freiheitskampf ihr Leben gaben. Dies steht im Gegensatz zu den Demonstrationen in Israel, denen es nicht um Freiheit oder Frieden mit ihren Nachbarn geht, sondern nur um ihre eigenen sozialen Belange.
 
Was muss eigentlich geschehen, bis die israelischen Demonstrationen sich für einen gerechten Frieden mit den Palästinensern einsetzen. So stimmte David Grossmann nicht zu, wenn er stolz auf diese Demonstranten ist. Nein, da gibt es keinen Grund dafür, solange sich diese Demonstrationen nicht ändern.


 
Übrigens hatte eine armselige mehrtägige Antisemitismus-Konferenz schon im Vorfeld Stimmung gegen Café Palestine gemacht - interessanterweise mit anonymen, d.h. unter Vornamen agierenden Einzelpersonen. Eine bessere kostenlose Werbung hätten wir nicht haben können.
 
Haben wir es wirklich nötig, uns als Antisemiten und - schlimmer noch - in die Nähe von Holocaust-Leugnern rücken zu lassen? Nein und nochmals nein. Ich möchte nur Fragen zur Diskussion stellen und hoffe danach auf eine rege Debatte:
 
•          Warum wird das Israel-Bild in den deutschen Medien und der deutschen Politik immer noch so unaufrichtig dargestellt?
•          Warum vergisst man ständig die palästinensische Seite, wenn man über Israel in der Opferrolle spricht?
•          Waren nicht gerade die Palästinenser schon vor und nach Staatsgründung die wahren Opfer der jüdischen Einwanderer?
Die Zionisten und jüdischen Einwanderer, scherten sich von Beginn an nicht darum, ob dort Palästinenser lebten. Die zionistische Ideologie dachte nie daran, mit den Nachbarn in Eintracht zu leben, sondern verachtete oder negierte diese Ureinwohner. Warum wird das so selten thematisiert?
•          Warum wird die Nakba gerade auch in Deutschland, dem Land der ehemaligen Täter, so selten herausgestellt und daran erinnert?
•          Haben es nicht gerade in Deutschland die Palästinenser verdient, auch als Opfer dieser Folgen des Holocaust anerkannt zu werden?
•          Warum wird der palästinensische Widerstand gegen israelische Willkür immer als Terrorismus gebrandmarkt, israelische Terrorakte aber von Beginn an als das Recht auf Selbstverteidigung bezeichnet?
Israel hat es von Beginn an geschafft, diesen Mythos, dem ich auch einmal erlegen war, in die Welt zu setzen, dass es ständiger Bedrohung ausgesetzt ist, umgeben von Feinden, die die armen Juden ins Meer werfen wollten.
•          Ich frage: Warum wird Prof. Ilan Pappe so angegriffen - ein israelischer Historiker, der diese Mythen entlarvte und das Gegenteil beweisen konnte, dass es nämlich Zionisten waren, die Palästinenser ins Meer trieben! Ilan Pappe wird z.B. in einer Wiener Zeitung als unseriöser Historiker bezeichnet, und es wird mit allen Mitteln versucht, gegen ihn mobil zu machen, überall, wo er auftritt, ob in Deutschland oder Österreich. In diesem Zusammenhang empfehle ich immer wieder sein Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“ als Pflichtlektüre für jeden, der sich für die wirklichen Hintergründe des Palästina-Konfliktes interessiert.
•          Warum werden diese Hintergründe niemals in deutschen Schulen, oder Medien wirklich objektiv dargestellt?
•          Ich frage Sie, ist es nicht auch gerade in Deutschland an der Zeit, als so genannter Freund an Israel Kritik zu üben, oder sind wir schon so gefangen in der Freundschaftsfalle?
•          Warum stellt man nicht endlich die fundamentale Frage: Warum hat Israel bis heute keine festen Grenzen. Warum hat Israel bis heute keine Verfassung?
Weil sich nämlich ein jüdischer wie auch ein gleichzeitig demokratischer Staat im Wege stehen. Als demokratischer Staat ist Israel nämlich all seinen Bürgern gleichermaßen verpflichtet. In Wirklichkeit werden seine nicht-jüdischen Bürger im explizit jüdischen Staat in ihren Rechten aber erheblich eingeschränkt.
•          Ist es nicht unsere Pflicht als deutsche Staatsbürger mit unserem weltweit anerkannten und richtungweisenden Grundgesetz auf dieses Unrecht hinzuweisen, anstatt dieses zu tolerieren?
•          Warum darf Israel unter unseren medial wohlwollenden Augen Gaza blockieren, mehr als 1.5 Millionen Menschen einsperren im größten Freiluftgefängnis der Welt?
•          Warum darf Israel täglich neue Enteignungen palästinensischen Landes vornehmen, willkürlich weiter siedeln, in Ost-Jerusalem neue Tatsachen schaffen, um so die Judaisierung und völlige Einnahme Jerusalems zu zementieren?
•          Warum hält man in der Öffentlichkeit und den Medien immer noch am Mantra der Zweistaatenlösung fest?
•          Warum erkennen wir nicht alle inzwischen, dass diese durch die Politik Israels, der USA und unsere Hilfe zu einer Farce geworden ist.
•          Ist nicht Südafrika an seiner Apartheidpolitik letztendlich gescheitert? Israel ist ein Apartheidstaat, mit einer Apartheidmauer.
•          Ich frage Sie: Muss man das nicht kritisieren?
•          Warum werden Kritiker als Antisemiten verunglimpft?
•          Warum wird Antisemitismus und Antizionismus inzwischen auf eine Stufe gestellt? Weil man sich so sicherer sein kann, Israel Kritiker mundtot zu machen.
 
Das haben inzwischen auch die Politiker und Medien verinnerlicht, weil die Einschüchterung der Israel-Lobby immer mehr Wirkung zeigt. Israel hat mit seinen Projekten und Instituten ein Netzwerk von Propaganda- und Diaspora-Brigaden aufgebaut, wie es seinesgleichen sucht. Es ähnelt in etwa der Pharmaindustrie, die ständig neue Krankheiten erfindet, um neue Medikamente zu verkaufen, die eigentlich niemand braucht. So erfindet die Israel-Propaganda-Lobby wie das Reut Institut, The Israel Project oder die Kaderschmiede der Hardcore Zionisten, die Bar-Ilan-Universität, ihre Krankheiten, sprich ihre Agitationen.
•          Warum wird das alles so unkritisch hingenommen?
•          Ich frage jetzt als deutsche, jüdische Staatsbürgerin: Warum bezeichnen sich auch Diaspora-Juden als Zionisten? Gerade aber besonders hartnäckige Verfechter des Zionismus leben in der Diaspora.
•          Warum lassen wir uns von solchen Salon-Zionisten vorschreiben, wie viel Israel-Kritik es denn sein darf?
•          Darum frage ich: Wollen wir solchen Antisemitismus- und Antizionismus-Experten wirklich die Deutungshoheit über die Sprache und damit die Macht überlassen? Denn machen wir uns nichts vor: Wer sprachlos bleibt, verliert die Macht.
 
Wenn schon die deutsche Öffentlichkeit traurigerweise gegenüber israelischen Menschenrechtsverletzungen in Sprachlosigkeit verfällt, so sollte es unser aller Pflicht sein, aus dieser Sprachlosigkeit zu erwachen. Ein sehr erfreulicher Anfang ist der lesenswerte Artikel eines protestantischen Pfarrers, namens Jochen Vollmer, der dankenswerterweise im evangelischen Pfarrblatt veröffentlicht wurde und jetzt für heftige Kontroversen sorgt und sorgen wird. Schlimmerweise wurde dieser aufrechte Christ sofort als Antisemit diffamiert, leider auch in Kirchensendungen im Radio.
 
Ich bin sehr froh, dass es solche Christen gibt, so wie auch den hier anwesenden Herrn von Wedemeier, der sich sehr für die palästinensische Sache einsetzt, ganz in der Nachfolge seines ermordeten Schwagers, des wegweisenden Theologen der bekennenden Kirche, Dietrich von Bonhoeffer.
 
Im Gegensatz dazu haben wir heute die politisch angepassten Talkshow-Theologen, die ihrer Karriere wegen Israel niemals kritisieren würden, wie auch die neuen Freunde des jüdischen Staates, die christlichen fundamentalistischen Zionisten.
 
Warum kritisiert niemand, dass Israel das Rückkehrrecht, ein fundamentales Recht, das den Palästinensern zusteht, diesen vorenthalten will, dass aber jeder Jude, oder jeder so genannte Jude ein Rückkehrrecht haben soll?
 
•          Bin ich als Kritikerin der israelischen Menschenrechtsverletzungen eine Antisemitin, wenn ich den Wahlspruch meines Vaters verinnerlicht habe: "Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen."?
•          Bin ich antisemitisch, wenn ich die Angriffe auf Gaza, den Libanon, oder gezieltes Töten, das Ermorden Unschuldiger durch Israel kritisiere?
•          Ist man Antisemit, wenn man auf die tausenden Häftlinge, auch Frauen und Kinder in israelischen Gefängnissen hinweist, die dort z.T. seit Jahren in Willkür-Haft sitzen?
•          Bin ich eine Antisemitin oder jüdische Selbsthasserin, wenn ich darauf hinweise, dass Yad Vaschem, die Holocaust-Gedenkstätte, nur unweit vom Massaker-Ort, nämlich Deir Jassin, steht, wo vor 63 Jahren in Palästina über 100 Palästinenser anlässlich der zionistisch ethnischen Säuberung 1948 ermordet wurden? – Nein ganz im Gegenteil!
•          Werden darauf die Besucher aus aller Welt, u.A. auch unsere Politiker bei ihren Besuchen hingewiesen?
•          Ist man ein Antisemit, wenn man auf Israels Atomprogramm oder Streubomben, Minen und andere perverse Waffenprogramme hinweist?
•          Bin ich Antisemitin, wenn ich kritisiere, dass Israel durch die neue Forderung nach Anerkennung als jüdischer Staat die jüdische Leit-Leidkultur – meint Leid bringend – betoniert und damit ein friedliches Zusammenleben für immer unmöglich macht?
 
Ich habe mich gegen eine Christliche Leitkultur aufgelehnt und tue dies genauso vehement gegen eine jüdische. Beide bringen nur Leid über andere ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen.
 
So finde ich es auch besonders bedauerlich, dass es inzwischen auch bei der Partei der Linken gelungen ist, gute Ansätze von einigen engagierten Mitgliedern als Antisemitismus zu verunglimpfen. Diese Partei wird inzwischen auch schon von einer sogenannten Bak Schalom-Gruppe unterwandert. In diesem Zusammenhang erscheinen mir auch die Sätze von Gregor Gysi wenig hilfreich, wenn er meint, "dass die Juden das Recht auf einen Staat haben, in dem sie die Mehrheit stellen".
 
•          Bin ich Antisemitin, wenn ich das ablehne? Ich frage Sie: Kennen Sie weltweit einen katholischen oder protestantischen Staat, der verlangt, als solcher anerkannt zu werden?
•          Ist das die jüdisch-christliche Leitkultur? Nicht einmal die Islamische Republik Iran verlangt eine internationale Anerkennung für diesen Begriff.
•          Bin ich Antisemitin, wenn ich die Bundesregierung auffordere, endlich nicht mehr mit zweierlei Maß zu messen und bei Israel die gleichen Maßstäbe anzulegen, wie wir es mit anderen Staaten tun?
 
•          Bin ich Antisemitin, wenn ich die Bundeszentrale für politische Bildung kritisiere, weil sie Bücher von islamophoben Pornoverfassern wie H.M. Broder aufkauft, wie sie es mit seinem "Hurra wir kapitulieren" tat? Übrigens hat besagter Broder, einer der wichtigsten deutschen Antisemitismus-Experten, auch einen großen Fan in Norwegen, nämlich den Massenmörder Breivik, der sich in seinem Manifest u.a. auch auf Broder bezog.
 
Ich kritisiere die Rolle der Printmedien, die zum Teil aus einer arisierten, braunen Vergangenheit entstanden, wie Burda, Neven Dumont und Bertelsmann. Diese, wie auch Springer mit seinen speziellen Israel-Paragraphen oder jetzt auch der Freitag, seit Jakob Augstein ihn kaufte, lehnen es ab Israel zu kritisieren – aus falsch verstandener Solidarität mit dem jüdischen Volk.
 
•          Ist es antisemitisch, wenn ich die Hintergrundgespräche der israelischen Botschafter kritisiere, die in den Büros der Chefredakteure und Intendanten oder von Verlegern stattfinden, um diese auf ihre Israel-Artikel einzustimmen? Die Steigerung sind Forderungen der israelischen Botschaft an die Kultusminister der Länder, Einfluss auf den Schulunterricht zwecks Israel-Sicht und -Darstellung zu nehmen.
 
Hier in Deutschland meint man inzwischen in den Medien und der Politik gesellschaftlich "kontaminiert" zu sein, wenn man Israel und seine rassistische Unrechtspolitik gegenüber den Palästinensern kritisiert.
 
Ich möchte Sie auf eine rühmliche Ausnahme hinweisen, auf die Neue Rheinische Zeitung online, die das alles veröffentlicht, was wir sonst nicht zu lesen bekommen. Aus diesem Grund haben wir auch das bemerkenswerte Interview von Attia Rajab, dem Ausrichter der wegweisenden Stuttgarter Konferenz im vergangenen November, mit Raji Sourani verteilt. Raji Sourani ist Direktor des Palestinian Center for Human Rights.
 
Ich hoffe, es ist mir gelungen, Sie etwas aufzurütteln, um Kritik zu üben, Unrecht anzuprangern und auf Völker- und Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen, auch und gerade in der Öffentlichkeit, ohne Angst, als Antisemiten beschimpft zu werden. Dagegen müssen uns gemeinsam wehren. (PK)

Einen umfassenden Artikel über die Konferenz mit Fotos und Vortragstexten
aller TeilnehmerInnen finden Sie unter dem Titel "Die letzten Opfer Hitlers" in dieser Ausgabe. 
Veranstalterin und Organisatorin der Konferenz war gemeinsam mit dem Café Palestine Freiburg e.V. die Ärztin Dr. Gabriele Weber. Sie haben seit dem vergangenen Jahr die Palästina-Tage Freiburg als Herbstveranstaltung ins Programm aufgenommen. Diesmal gab es neben Vorträgen und Diskussionen am 10.9. ein tolles Konzert mit Gilad Atzmon, Frank Harrison und Moamen Khatib unter dem Motto "Musik, die Grenzen niederreißt" als zweite große Veranstaltung der Palästina-Tage 2011.
Gabriele Webers Begrüßungsrede und weitere Beiträge finden Sie entweder in Filmaufzeichnungen von Gerd Münzner hier: http://www.youtube.com/watch?v=LGpgiDJ3I-U
Und weitere schriftliche Informationen über die und Reden von der Konferenz finden Sie unter http://cafepalestinefreiburg.blogspot.com/
http://cafepalestinefreiburg.blogspot.com/2011/09/evelyn-hecht-galinski-bei-der.html
http://paltagefreiburg2011.blogspot.com/2011/09/dr-samir-abed-rabbo-at-freiburg.html
http://paltagefreiburg2011.blogspot.com/2011/09/gilad-atzmon-at-freiburg-conference.html
http://paltagefreiburg2011.blogspot.com/2011/09/ramzy-baroud-for-freiburg-conference.html
http://paltagefreiburg2011.blogspot.com/2011/09/alan-hart-at-freiburg-conference.html
Conference blog: http://paltagefreiburg2011.blogspot.com/





Online-Flyer Nr. 320  vom 21.09.2011

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