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Lokales
Am Sonntag wurde unser Karls-Preis-Träger Werner Rügemer siebzig
Der Lancelot von Köln
Von Erasmus Schöfer

Ich möchte zuerst eine Liste von Personen anführen. Es handelt sich um lebende oder doch im allgemeinen linken Bewußtsein gegenwärtige Menschen, die auf die eine oder andre Weise gegen den Kaputtalismus Widerstand leisten und uns mit ihrer Arbeit die Aussicht auf eine lebenswerte Zukunft offenhalten. Ich nenne sie in alphabetischer Reihenfolge: Noam Chomsky, Frigga Haug, Robert Jungk, Naomi Klein, Maria Mies, Hans Werner Richter, Arundhati Roy, Werner Rügemer, Vandana Shiva, Günter Wallraff, Jean Ziegler. Zum Glück der irdischen Zukunft ist diese Liste alles andere als vollständig.

Gelegentlich darf Werner Rügemer seine Recherche-Ergebnisse sogar im Fernsehen vortragen - wie hier im ZDF
Foto: Peter Kleinert
 
Vor wenigen Tagen, am 20. August, fand ich auf den politischen Seiten des Organs des Großkaputtals einen ganzseitigen Bericht unter der Überschrift "Aus David wird Goliath", in dem mit unverhohlenem Respekt der Erfolg der Ulmer Stadtwerke besungen wird, die nicht nur alle benötigte Energie aus regenerativen Kraftquellen erzeugen, sondern zu 100 Prozent im Besitz der Städte Ulm und Neu-Ulm sind. Vom Oberbürgermeister heißt es da, nachdem vom Kampf der Stadt gegen den Energieriesen EnBW berichtet wurde: "Er ist gleichsam die fleischgewordene Botschaft, daß die Stadtwerke ein Unternehmen der Bürger für die Bürger sind."
 
Oder wir lesen, ebenso aktuell, vom Kampf der Berliner und Hamburger, mit Hunderttausenden von Stimmen, um die Rekommunalisierung ihrer Energieversorger und Wasserwerke. Ich stelle fest: Es gibt derzeit Hunderte, wenn nicht Tausende, ähnlicher Bürgerbewegungen mit mal nur lokaler, mal bundesweiter Ausstrahlung, die darüber Auskunft geben, daß die Anstöße der Achtundsechziger immer noch und erneut wirksam sind.
 
Wenn wir uns erinnern, wie in den neunziger Jahren nach der Niederlage der DDR die Neoliberalen triumphierend die Privatisierung allen sozialen Eigentums als gesellschaftliches Allheilmittel anpriesen und fast ungehindert durchsetzten, wie sie den klammen Kommunen "Public-Private-Partnership" und "Crossborder-Leasing" zur Sanierung ihrer Haushalte unterjubelten, und, immerhin vergeblich, versuchten, unsere Bahn an die Börse zu verscheuern, dann können wir ermessen, was sich im letzten Jahrzehnt verändert hat.
 
Ich will nun nicht behaupten, daß dieser Rügemer der alleinige Herkules des neuen Jahrtausends ist, der den Augiasstall mit dem Alpheus seiner durchdringenden Sachkunde, seiner Bücher, Sendungen und landauf landab gehaltenen Vorträge, vom kaputtalistischen Mist und Gestank befreite – und befreit sind wir ja auch weißgott noch nicht – aber ich bin sicher, daß seine Analysen und seine sachkundige Kritik entscheidend dazu beigetragen haben, den herrschenden Verblendungsvorhang so zu durchlöchern, daß die menschenfeindlichen Interessen dahinter erkennbar und bekämpfbar wurden.
 
Nach der Banken- und der Schuldenkrise in den mächtigsten Industrieländern ist die Brüchigkeit des kaputtalistischen Wirtschaftssystems in einer ungleich heftigeren Weise offenbar geworden, so daß heute die unübertroffenen Analysten dieses Systems, Marx und Engels, vielen wieder hilfreich für die Erkenntnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit geworden sind. Auch haben andere Ereignisse dazu beigetragen, daß solche Veränderungen wie die Entwicklung alternativer Energieerzeugung und -verbreitung; ein Bewußtsein für die Notwendigkeit des Wirtschaftens und Produzierens mit der Natur, nicht gegen sie, die Erkenntnis des schreienden Gegensatzes zwischen Arm und Reich auch in unserem Staat für eine wachsende Zahl von Menschen handlungsbestimmend wurden. Dennoch muß ich sagen: Es ist Werner Rügemer gewesen, und er war ziemlich allein damit, der in den neunziger Jahren auf den vorher genannten sozialen Feldern das Umdenken in Gang gebracht hat.
 
Ich erinnere mich gut, wie wir in den neunziger Jahren eine Zeitlang näher zusammengearbeitet haben, um für den WDR ein Feature über die Kölner Abwasserbehandlung zu recherchieren und zu produzieren. Ich erinnere mich, wie er dabei mir die komplizierten und raffinierten Vorgänge bei der Durchsetzung der Konzerninteressen in den Stadtparlamenten und die naive Willfährigkeit der beamteten oder gewählten Volksvertreter erklärt hat.
 
Ihn hat das Durchschauen der Verflechtung von Bank- und Parteiinteressen zu dem anderen wichtigen Tätigkeitsfeld geführt, das hier noch erwähnt werden muß: dem der Korruption und der Wirtschaftsverbrechen. Mit einem Mut, einer Härte auch, hat er sich mit den Mächtigen angelegt und ihre Machenschaften analysiert und angeklagt, die mir Bewunderung für den Freund und Kollegen abnötigten. Und so dachte ich heimlich: In manchen amerikanischen Staaten würdest du wohl keines friedlichen Todes sterben.
 
Die Angegriffenen haben Werner Rügemer seine Kühnheit mit einer Flut von Prozessen vergolten. Meist waren seine Enthüllungen vor Gericht unanfechtbar, da auf beweisbaren Tatsachen beruhend, und er gewann die Prozesse. Die Absicht war, ihn durch den damit verbundenen Streß und die Kosten abzuschrecken, ihn zu zermürben und mundtot zu machen. Das ist den Mächtigen und ihren dienstbaren Anwaltsbüros bis zu Rügemers 70. Geburtstag nicht gelungen. Ich hoffe, einer wird bei seinem Achtzigsten über den Mann Ähnliches vorbringen können.
 
Es gäbe noch viel von diesem irgendwie rauhen, forschenden, schreib- und literaturkundigen, diesem strengen, mal unnachgiebigen, mal charmanten, diesem bescheidenen und doch selbstbewußten, diesem radelnden und delikat kochenden schwarzstoppeligen Zeitgenossen zu erzählen. Er ist der Typ, der in den Märchen Drachentöter heißt. Wir dürfen froh sein, daß es solche auch in Wirklichkeit gibt. (PK)
 
Der Kölner Schriftsteller Erasmus Schöfer ist im Juni 80 Jahre alt geworden. Aus seiner Tetralogie "Die Kinder des Sisyfos" haben wir in den ersten beiden Jahren der NRhZ, also 2005/2006, Band 2, "Zwielicht", veröffentlicht. Sein Artikel über Werner Rügemer erschien schon am Wochenende in der "junge Welt".
Werner Rügemer erhielt für seine engagierte Literatur und Publizistik von der NRhZ im August 2008 den Kölner Karls-Preis verliehen. Einen Film zur Preisverleihung finden Sie in NRhZ 161 unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12795.


Online-Flyer Nr. 318  vom 07.09.2011

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