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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Der Unfug der Woche - Folge 2
Diesmal verzapft von Peer Steinbrück
Von Christian Spin

Warum die avisierten 8.0 Milliarden Euro Steuerentlastung für Unternehmen kein Grund zum Aufregen sind, der Bürger immer nur die halbe Wahrheit serviert bekommt und die genauere Betrachtung der ganzen Geschichte mit dem Namen Lobbyarbeit einem die Zornesröte ins Gesicht treiben kann.

Peer Steinbrück schickt sich an, die Konjunktur ans Laufen zu bringen. Nach der neoliberalen GIB Formel (G=Gewinn - führt zu I=Investitionen - führt zu B=Beschäftigung) könnte der Plan gelingen. Also plant er die steuerliche Entlastung der Unternehmen um besagte (in Ziffern) 8.000.000.000 Euro jährlich und hofft, dass genau diese Summe zu Investitionen (am Standort Deutschland) führt, damit dann daraus neue Arbeitsplätze entstehen.

Leider, lieber Peer, muss nach volkswirtschaftlichen Grundsätzen nicht nur die Angebotsseite, sondern auch die Nachfrageseite betrachtet werden. Da sich aber die Steuererleichterungen mit deutlicher Verspätung am "Markt" niederschlagen, werden die entlasteten Unternehmen (auch hier wieder eher die Konzerne, als der Mittelstand!) über ihre Investitionen sehr genau nachdenken.

Diese werden sich nämlich nur dann lohnen, wenn auch anfänglich demgegenüber eine genügend grosse Masse an Nachfragern steht. Bei bereits millionenfach vorgenommenem Abbau von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung hin zu Minijobs mit den einhergehenden Einkommens- und Sicherheitsverlusten, dürfte die Relation der Nachfragesteigerung und der arbeitsmarktrelevante Effekt in keinem Verhältnis zum Risiko der Investition stehen. Spätestens die grösste Steuererhöhung seit 1949 dürfte diese Annahme deutlich untermauern. In wie weit die geplanten Mehrwertsteuer-Mehreinnahmen von 18 Milliarden Euro das Geschenk an die Unternehmer abfedern, bleibt abzuwarten.

Soweit so gut zum sichtbaren Teil der Wahrheit.

Der unsichtbare Teil der Wahrheit verbirgt sich hinter einer nebulösen Wand, die von kaum einem Bürger wahrgenommen wird. Ein Steuererlaß von 8.0 Milliarden Euro bei der derzeitigen staatlichen Kassenlage wäre doch Wahnsinn, werden die Aufgeklärteren nun lauthals aufschreien. In der Tat, es wäre Wahnsinn, würde der Finanzminister auch an dieser Stelle nur die Einnahmenseite und nicht die Ausgabenseite betrachten. Doch STOP!
Verschaffen wir uns zuerst einmal ein Gefühl für folgende gigantische Zahl, die da noch im Raum steht.

1) Für die rd. 1.500.000.000.000 (1.5 Billionen) Euro Staatsschulden zahlen Bund, Bundesländer, Kommunen und Gemeinden derzeit ca. 65 Milliarden Euro Zinsen (www.destatis.de) und zwar im Verhältnis von ca. 50:50 Bund zu Länder, Kommunen und Gemeinden
2) Somit beträgt nach Adam Riese die tägliche Zinsaufwendung etwa 180 Millionen Euro (Beeindruckend, oder?)
3) Entsprechen damit die 8.0 Milliarden Steuerentlastung für die Unternehmen den Zinsaufwendungen von 44 Tagen und 10 h.

Ist das ein Grund für Sie, sich aufzuregen? Nein, ist es nicht! Sie können es eh nicht ändern.

Worüber Sie sich aufregen sollten, ist die Tatsache, dass eben diese 8.0 Milliarden wieder reinkommen müssen, will man den Staatshaushalt nicht vollends in kürzester Zeit ruinieren. Dafür gäbe es dann zwei Möglichkeiten:

1) Der Staat schränkt seine Leistungen um genau diese Betrag ein, was bedeuten würde, dass durchschnittlich etwa 100.- Euro weniger pro Kopf ausgegeben werden (an z.B. Kindergärten, Lernmaterialien in Schulen, Fortbildungen für Lehrer, Präventionen jedweder Art, etc.)
oder
2) Der Staat erhebt in gleicher Höhe eine steuerliche Belastung für den Bürger, was ebenfalls pro Kopf 100.- Euro entspricht (bei einer vierköpfigen Familie wäre das ein deutlich spürbarer Betrag, der in der Geldbörse fehlen würde!).

Wie man es auch dreht und wendet: wir ALLE werden dieses Steuergeschenk an die Unternehmen zu spüren bekommen. Entweder durch Leistungskürzung oder Mehrbelastung. Leider können wir das tolle Geschenk nicht einmal ausschlagen. Genau so wenig, wie die Mehrwertsteuer-Erhöhung, die auch uns ALLE trifft - von den Sozialhilfeempfängern, über die Arbeitlosen und Rentner bis hin zu denen, die noch Arbeit haben.  

Darüber darf man sich dann schon aufregen, wenn man nicht gerade Vorstandsvorsitzender eines im Dax notierten Unternehmens ist. Dieses Amt bekleiden aber nur schätzungsweise 200 Menschen in dieser Republik. 8.0 Milliarden Steuererlass für 200 Vorstände sind ein ziemlich teures Geschenk, umgerechnet also gute 40 Millionen Euro pro Vorstandsmitglied, die dieses Geschenk als Dividende an die Aktionäre ausschütten und gleichzeitig ihr Salär ob der Gewinnsteigerung entsprechend anpassen dürfen.

Alle anderen dürfen sich ob der Steinbrück´schen Rechenkünste die Haare raufen und sich die Frage stellen: Was hat Klaus Esser (Ex-Mannesmann Chef) da bloß falsch gemacht, als er sich für das Geschenk von nur 33 Millionen Euro vor Gericht verantworten musste?

Christian SpinChristian Spin, 38 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, ist technischer Betriebswirt und Industriemeister Chemie. Er beschäftigt sich seit 1998 mit Wirtschaftsthemen, nachdem ihm an einem TV-Abend aufgefallen war, dass weder der Bundesfinanzminister, noch der Ministerpräsident von NRW, noch der OB einer Ruhrgebietsstadt über das notwendige Geld zur Lösung eines dringenden Problems verfügten. Daraus entwickelte er sein persönliches "Ursache-Wirkungsprinzip".



Online-Flyer Nr. 49  vom 20.06.2006

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