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Globales
Nachfolger des Mikrokreditsystems von Mohammed Yunus in Tunesien?
Hilfe zur Selbsthilfe – auch in Tunesien
Von Sabine Schiffer

Die Revolutionen in den arabischen Ländern haben auch auf Araber im Ausland eine frenetische Wirkung. Viele Exil-Tunesier, -Ägypter und andere fiebern mit den Menschen und ihrer Aufbruchstimmung in der Heimat und zittern um die weitere Entwicklung. Viele überlegen, was sie zu einer positiven Entwicklung beitragen können. Während noch unsicher ist, wie es genau weitergehen wird und ob die Übergangsgremien überhaupt in Ruhe arbeiten dürfen, tun sich Ideengeber und bereitwillige Unterstützer zusammen.
 

Gefördertes Restaurant in Mareth-Gabès
im strukturschwachen Süden Tunesiens
Beide Fotos: AIEFBT
So entstand das Projekt des französisch-tunesischen Bankfachmanns Souhayel Tayeb. Angesteckt von dem Gefühl, etwas für sein Heimatland Tunesien tun zu wollen, hat er die „Association Internationale des Experts Financiers et Bancaires Tunisiens“ (www.aiefbt.org - Internationale Vereinigung von tunesischen Finanzexperten und Bankiers) gegründet. Während die Website noch eine Baustelle ist, entwickelt sich die Facebook- Seite der Gemeinschaft bereits zu einem regen Diskussionsort. Ziel und Zweck der Assoziation, die eine Art Expertenrat für das Finanzwesen aus tunesischen Fachleuten aus dem In- und Ausland darstellt, ist es, sowohl den Bankensektor neu zu strukturieren als auch Tunesien als renommierten und damit interessanten Finanzplatz zu etablieren – schließlich sind genau diese Sektoren unter dem alten Regime vernachlässigt worden.

Ganz konkret und bodenständig sollen einzelne Projekte vor Ort ermöglicht werden, wie beispielsweise die Eröffnung eines Restaurants im Süden des Landes (siehe die Fotos).Das erinnert etwas an das bewährte Mikrokreditsystem, mit dem Mohammed Yunus in Bangladesch bereits enorme Erfolge verzeichnen konnte. Hier nun sammelt man Beiträge von interessierten Unterstützern einer sozialen Revolution in Tunesien und überwacht deren Einsatz im Rahmen von Kleinstunternehmerprojekten. Durch diese Art, Mentoren mit Aktiven zu verbinden, sollen kräftige solidarische Beziehungen entstehen, die nachhaltig sind. An Ausbildung mangelt es den Tunesiern ja wahrlich nicht. Nun soll es auch möglich sein, die vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten zum eigenen Nutzen und gleichzeitig für den des Landes einzusetzen.
 
Gezwungen, eine Assoziation in Frankreich zu gründen
 
Auf wenig Gegenliebe bei den aktuellen tunesischen Verantwortlichen stoßend, sah sich Tayeb allerdings zunächst gezwungen, seine Assoziation in Frankreich zu gründen, was ihm auferlegt, in Tunesien zunächst um Vertrauen zu werben - denn alles, was aus Paris kommt, hat zunächst einmal den Ruch des Neokolonialen. Dennoch fanden in Tunis bereits erfolgreiche Treffen und Diskussionen statt. Wer Tayeb erlebt, verliert schnell seine Zweifel, dass es sich wirklich um ein privates, engagiertes Projekt handelt, das jemand aus Idealismus aufzieht. Tayeb selbst hegt überhaupt nur Hoffnung auf Erfolg, weil er davon ausgeht, dass mit der innerfamiliären Ben-Ali-Korruption nun ernsthaft aufgeräumt wird. Er hofft, dass es nun endlich möglich sein wird, dass sich jeder gemäß seiner Kompetenzen in die Gesellschaft einbringen und das Wohl des Landes mehren kann.
 
Internationales Wirtschaftssystem auf den Prüfstand
 
Von der Hoffnung lässt man sich gerne anstecken. Dennoch sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass neben der Wichtigkeit solcher immediaten und konkreten Initiativen, die die Einzelnen sofort zu spüren bekommen, das internationale Wirtschaftssystem auf den Prüfstand gehört. Mit den Knebelverträgen, mit denen afrikanische Länder – nur in Graden unterschiedlich – an den EU-Handel oder ausländische Großkonzerne gebunden sind, lässt sich keine Umstrukturierung des politischen Systems erreichen. Solange die EU-Länder die Situation in den Partnerländern ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen gnadenlos unterordnen und nach wie vor mehr Geld von der sog. Dritten in die Erste Welt fließt, wird sich grundsätzlich zu wenig ändern, um stabile Verhältnisse in den Schwellenländern entstehen zu lassen. Hier darf und muss durchaus die Frage gestellt werden, ob man das überhaupt will oder ob man lieber über die paar Tausend Flüchtlinge jammert, die übers Mittelmeer versuchen, an dem Leben teilzuhaben, das ihnen zusteht.
 
Angesichts der 200.000 libyschen Flüchtlinge, die im Moment vom post-revolutionären Tunesien auch in seiner Übergangsphase aufgenommen werden, beschämen die Diskurse von Abschottung und Wohlstandswahrung in Europa. Da tun einem Persönlichkeiten wie der französisch-tunesische Finanzexperte und sein wachsender Unterstützerkreis auch in Deutschland geradezu gut, weil es denen ganz offensichtlich um mehr geht, als nur um das eigene Bankkonto. (PK)

Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen.


Online-Flyer Nr. 304  vom 01.06.2011

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