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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Medien
CDU-Landtagsabgeordneter lässt die Medien-Katze aus dem Sack
Bürgerfunker gehen notfalls vor Gericht
Von Peter Kleinert

"Kurz nach der Sommerpause" will die CDU-Fraktion "einen Gesetzentwurf zur Änderung des Landesmediengesetzes" vorlegen. Damit sei offenbar beabsichtigt, den bisher unabhängigen Bürgerfunk seiner Identität und Unabhängigkeit zu berauben und zu einem "Appendix (also "Wurmfortsatz", d.Red.) des Lokalfunks" zu machen, befürchten engagierte Bürgerfunker aufgrund eines der NRhZ jetzt bekannt gewordenen Briefes des CDU-Landtagsabgeordneten Thorsten Schick.

Thorsten Schick (35) aus Iserlohn, wurde im Mai 2005 für den Märkischen Kreis direkt in den Landtag gewählt und wurde dort Mitglied im Hauptausschuss. Dieser hat nämlich inzwischen auch die Aufgaben des früheren Medienausschusses übernommen. Als Gründe für dieses Engagement schreibt Schick auf seiner website: "Als Reporter bei Radio MK habe ich in den vergangenen Jahren viele Menschen im Märkischen Kreis getroffen und kenne ihre Wünsche. Diese Erfahrungen möchte ich in praktische Politik umsetzen."

"Nur noch deutschsprachige Beiträge"

Dass Schick dabei weniger an die Wünsche der Menschen, die Bürgerradio machen, sondern mehr an die seines Chefredakteurs beim Radio Märkischer Kreis, Andreas Heine, gedacht haben dürfte, wird aus einem Brief deutlich, den er kurz nach einer Anhörung zum Thema Landesmediengesetz an den Vorsitzenden der Radiowerkstatt "Arbeitsgemeinschaft Vorgebirgsstudio Merten e.V." in Bornheim bei Köln, Otto Ganser schrieb. In dieser Anhörung hatte Schicks Chefredakteur, der dabei für den Verein der Lokalfunk-Chefredakteure das Wort führte, folgende Forderungen an das neue Landesmediengesetz aufgestellt:

- Bürgerfunk landesweit einheitlich nach 22 Uhr
- Landesweit maximal eine Sendestunde Bürgerfunk
- Ausstrahlung nur noch deutschsprachiger Beiträge
- Anpassung an das Musikformat des Senders (Playlist-Musik)
- Ausfall des Bürgerfunks, wenn der Sender aktuellen Bedarf sieht.

Kurz danach, am 31. Mai, schrieb MK-Reporter Schick als CDU-MdL an die Bornheimer Bürgerfunkproduktionsstätte einen Brief. Darin heißt es unter anderem:

"Ich danke Ihnen für Ihr Schreiben, in dem Sie sich für den Erhalt des Bürgerfunks in Nordrhein-Westfalen einsetzen... Ziel ist es nicht, das Bürgerradio komplett abzuschaffen. Um die Qualität des Bürgerfunks zu verbessern, ist aber u.a. eine Umstellung der Förderung notwendig. Die bislang gewährte Minutenförderung für Beiträge sollte durch eine differenziertere Fördersystematik abgelöst werden. Überdies tendiert die CDU-Fraktion zu einer festen Sendezeit des Bürgerfunks, bei der aber möglicherweise zwischen Wochentagen und Wochenende differenziert werden muss. Unsere Diskussion hat außerdem gezeigt, dass der Bürgerfunk keine fremdsprachigen Sendungen enthalten sollte."

CDU-MdL Thorsten Schick - weiß, was Bürger wünschen
CDU-MdL Thorsten Schick - weiß, was Bürger wünschen
Foto: www.thorstenschick.de



Offener Brief des Dachverbands IGR-NRW e.V.

Die Antwort bekam Schick am Montag vom Vorsitzenden des Dachverbands gemeinnütziger Radiowerkstätten und aktiver Hörer, IGR-NRW e.V., Christoph Schaefler, quasi stellvertretend für alle Bürgerfunker. Wir veröffentlichen Christoph Schaeflers Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Schick !

was Sie dem Bürgerfunk in Ihrem Schreiben vom 31. Mai 2006 an die "AG Vorgebirgsstudio Merten" global vorwerfen, ist aber genau seine bisherige gesetzliche Funktion:

- Bürgerfunk ist Betroffenenradio und somit einseitig!
- Bürgerfunk ist aktiv gelebte Meinungs- und Kulturfreiheit und damit auch manchmal unverständlich!
- Bürgerfunk repräsentiert Minderheiten, die in ihrer Summierung durchaus gesellschaftliche Relevanz haben!
- Bürgerfunk ist das "Überdruckventil" - oder sind geworfene Steine besser?
- Bürgerfunk steht für Beteiligung statt Ausgrenzung!

Bürgerfunk ist in seiner Funktion nach wie vor die verfassungskonforme und gesetzliche Vielfaltsreserve des Lokalfunks, die im Zweisäulenmodell die Monopolstellung sowohl des Lokalfunks als aber auch des Rahmenprogramms überhaupt erst legitimiert! Und dies gerade vor dem Hintergrund eines immer mehr auf wirtschaftliche Gesichtpunkte ausgerichteten kommerziellen Rundfunks.

Die Tatsache, dass überhaupt der Rundfunk durch Landesgesetze geregelt werden kann, basiert auf seinem Kulturauftrag. Der kommerzielle Rundfunk wird diesem Auftrag an keiner Stelle mehr gerecht - allenfalls der Bürgerfunk liefert die Legitimität! Darum sollten Sie nicht an diesem Ast sägen!!!

Privater Rundfunk und Bürgerfunk gleichberechtigt

Zur Erklärung:
Privater Rundfunk basiert auf dem Recht von Artikel 5 GG; der Bürgerfunk ebenso. Beide haben somit ein Recht, ihre jeweilige Meinung frei zu verbreiten: Der eine macht es mit viel Musik und der andere mit Meinungsfreiheit.

Da aber bei Entstehen der Gesetzgebung nicht ausreichend genug Frequenzen für alle Bewerber und Sender vorhanden waren, erschuf vor 17 Jahren die Landesregierung den binnenplural organisierten Lokalfunk mit dem integrierten Bürgerfunk und seinem Rahmenprogramm als dienendem NoName-Programm-Zulieferer. Die Alternative bei ausreichender Frequenzsituation wäre die Zulassung verschiedenster lokal konkurrierender Sender gewesen; die Folge davon kennen wir aus anderen Bundesländern: Pleiten, Pleiten und nochmals Pleiten.

Zurück zu NRW: Die Binnenpluralität und Monopolstellung des NRW-Lokalfunk-Konstruktes musste also sicherstellen, dass alle potentiell am Meinungsbildungsprozeß beteiligten Personen und Gruppen gleichberechtigt sich in dem Medium auch wieder finden konnten, wenn sie denn schon auf eine eigene Frequenz verzichten sollten.

Arbeitnehmer Schick (links) - weiß, was Arbeitgeber wollen
Arbeitnehmer Schick (links) - weiß, was Arbeitgeber wollen
Foto: Radio Märkischer Kreis



Durch höchstrichterliche Urteile untermauert

Diesem immer wieder auch durch höchstrichterliche Rundfunkurteile aus Karlsruhe untermauertem Grundsatz wurde das NRW-Lokalfunkgesetz durch zwei Faktoren gerecht:
1. Schaffung der zwei Säulen und damit der Trennung von Geld und Programm bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Kontrolle durch die in der Veranstaltergemeinschaft vertretenen üblichen gesellschaftlich relevanten Gruppen, und
2. Integration des nichtkommerziellen Bürgerfunks, der bei Entstehen des heute noch gültigen Gesetzes ebenfalls angetreten war, eine eigene Sendelizenz zu erhalten.

"Bürgerfunk ist ein Offener Kanal"

Der Bürgerfunk ist die Vertretung all der Gruppen und Personen, die sich nicht im gesellschaftlichen Spektrum der Veranstaltergemeinschaft wieder finden; das ist übrigens auch der Grund, warum Mitglieder der Veranstaltergemeinschaft, gesetzlich sanktioniert, selber kein Bürgerfunkprogramm machen dürfen, eben deshalb, weil sie ja schon ihr "eigenes" Radio haben.

Ebenfalls durch Gerichtsentscheidungen, die landesweite Relevanz haben, wurde dem Bürgerfunk immer wieder seine besondere, durchaus einseitige Rolle als Plattform zur Ausübung des Rechtes auf Meinungsfreiheit nach Artikel 5 GG "bescheinigt". Bürgerfunk ist ein "Offener Kanal", der schon vom Gesetz her nicht verpflichtet ist, sich z.B. journalistischen Grundsätzen zu unterwerfen! Er darf einseitig sein und Meinung wiedergeben! Er ist dafür ausdrücklich bestimmt!

Überdies haben auch die Konferenz der Ministerpräsidenten und entsprechende Staatsverträge immer wieder Entscheidungen zur Förderung und zum Erhalt der "Offenen Kanäle" im föderalen System der Bundesrepublik geschaffen. So sind z.B. in Baden-Württemberg und Sachsen, aber auch anderenorts, viele "Freie Radios" legalisiert worden.

Alle Tatsachen verdreht

Das, was Sie verehrter Herr Schick nun in Ihrem Brief an die eine Radiowerkstatt verlautbaren, verdreht alle Tatsachen und steht im krassen Widerspruch zur gesetzlichen Funktion "Offener Kanäle". Mit Ihrem Vorstoß gefährden Sie die Existenzberechtigung und den gesellschaftlichen Konsens des binnenpluralen Modells. Welche Faktoren sollen denn nach Ihrer Ansicht zukünftig auf der Plattform des Lokalfunks die verfassungskonforme Pluralität sichern?

Sie können versichert sein, dass wir als IGR-NRW gerne und konstruktiv an allen die Meinungsvielfalt sichernden Überlegungen und konkreten Umsetzungen mitarbeiten. Wir werden aber kein Rundfunk-Modell mittragen, was den Vorstellungen entspricht, die aus Ihrem Brief zutage treten. Sollte sich die von Ihnen in Ihrem Brief skizzierte Meinung mehrheitsfähig in Form eines novellierten oder neuen Rundfunkgesetzes durchsetzen, werden wir im Interesse und zur Wahrung der Meinungs- und Kulturfreiheit eine höchstrichterliche Entscheidung in Erwägung ziehen.

Zu den in Ihrem Schreiben auch noch angesprochenen Punkten der Rolle von Radiowerkstätten, ihrer Funktion und der Förderung kommen wir noch in einem gesonderten Schreiben auf Sie zu.

Bis dahin verbleiben wir mit freundlichen Grüßen

Christoph Schaefler
Vorsitzender IGR-NRW e.V.

Post Scriptum: Ich würde, wenn ich Thorsten Schick wäre - und wie Sie es machen: die Interessen Ihres Arbeitgebers (Lokalfunk Märkischer Kreis) und des kommerziellen Systems vertreten und davon profitieren - mich im Landtag ab sofort und in Zukunft in Fragen des Landesrundfunkgesetzes für befangen erklären!

Christoph Schaefler war 15 Jahre lang Mitglied und stellvertretendes Mitglied der Rundfunkkommission der Landesanstalt für Rundfunk und der Landesanstalt für Medien

Online-Flyer Nr. 48  vom 14.06.2006

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