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Über die Aktualität und aus der Geschichte der Ostermarschbewegung
"Mischt Euch ein, Ihr könnt die Welt verändern!"
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Rund 120.000 Menschen haben allein am Ostermontag in Deutschland erneut gegen die Atomenergie demonstriert. An zwölf Atomstandorten machten die Menschen anlässlich des 25. Jahrestages der Katastrophe von Tschernobyl klar, dass sie die von AKWs ausgehende Gefahr nicht länger hinnehmen wollen und forderten: Alle AKWs abschalten! Wichtiges Thema für die Demonstrationen waren aber auch Krieg und Frieden, vor allem die Bombardements, mit denen die NATO in Libyen "Frieden schaffen" will. Hier ein Bericht und Fotos von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann von der Kölner "Arbeiterfotografie". – Die Redaktion


Starttransparent des Ostermarsches u.a. mit Manja Aschmoneit, erste Trägerin des Düsseldorfer Friedenspreises (2002), Wolfgang Zimmermann (Fraktionsvorsitzender DIE LINKE, NRW) und Horst Schmitthenner (IG Metall)
Alle Fotos: arbeiterfotografie.com
 
Vor genau 50 Jahren zogen durch ganz Deutschland die ersten Ostermarschierer. Es ging um "Frieden und Arbeit“ - so überliefert es Willi Hoffmeister, einer der ersten Beteiligten. Der erste lokale Ostermarsch fand 1960 nach britischem Vorbild der "Campaign for Nuclear Disarmament“ CND in Bergen-Hohne, einem Raketenübungsplatz bei Lüneburg statt. Der Bewegung ging es immer auch darum, die aktuellen Kriege zu geißeln, die Schuldigen und Profiteure zu benennen. Im 50. Jahr nach Beginn tun sich einige Organisatoren damit schwer. Denn Kriege sind - nach Meinung vieler politischer Aktivisten - inzwischen humanitär notwendig geworden.


Ostermarsch Rhein/Ruhr Düsseldorf

Am Ostersonntag ist der US-Irakkriegs-Deserteur André Shepherd auf Einladung der Friedensfahrt der Motorradfahrer/innen ohne Grenzen zu Gast in Köln. Tags zuvor hat er in Stuttgart teilgenommen. André ist der erste US-Deserteur des Irakkrieges, der in Deutschland Asyl beantragt hat. Der Antrag wurde - ohne die politischen Gründe eines ungesetzlichen Angriffskrieges zu berücksichtigen - am 4. April 2011 abgelehnt. Er besucht das Deserteur-Denkmal am Kölner Appellhofplatz, die Auftaktkundgebung im Hiroshima-Nagasaki-Park und fährt mit der Motorradkolonne durch die Stadt zur Abschlußkundgebung am Kölner Dom, wo er sich an die Kölner Bevölkerung wendet: „Versucht einfach mal, meine Überraschung nachzuvollziehen, meinen Schock und meine Wut, als ich herausfand: Das Böse ist nicht der Feind, den wir beseitigen sollten, sondern wir selbst.“


Starttransparent des Blocks "Schule ohne Bundeswehr"  

Folter, Kidnapping, Vergewaltigung - im Namen der Demokratie

 
Seit dem 11. September 2001, der 2011 seinen 10. Jahrestag hat - so Shepherd - führten die USA einen Krieg nicht nur gegen einen vage beschriebenen Feind Al Kaida (der immer dann auftaucht, wenn die USA es wünschen), „sondern gegen die Menschlichkeit an sich.“ Es folgte ein Jahrzehnt der „humanitären Katastrophe“ für den Irak, Afghanistan, Pakistan, Libanon, Syrien, Sudan und jetzt auch in Libyen. „Tausende wurden gefoltert, gekidnappt, vergewaltigt oder inhaftiert – alles im Namen der Demokratie.“


Ostermarsch Rhein/Ruhr Düsseldorf

Friedens- und Anti-Atombewegung
 
Nun stand der diesjährige Ostermarsch - 25 Jahre nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl und der diesjährigen in Fukushima - insbesondere unter dem Motto des Anti-Atom-Protests. Im Kölner Hiroshima-Nagasaki-Park sprach dazu Mehmet Fatih Oezcan, INES (International Network of Engineers and Scientists for Global Response) Hamburg: „Man mag zynisch meinen, dass den Menschen hierzulande aber auch im Ausland ein Super-GAU des Formats Tschernobyl nicht gereicht haben muss - obwohl es ja schon vor Tschernobyl noch zu schweren Störfällen in Windscale (Sellafield) und Three Mile Island (Harrisburg) gekommen war. Die bestrittenen und abweichenden Definitionen, ob an den eben genannten AKWs ein GAU erlebt wurde, betrachte ich als unverantwortlich - an allen AKWs wurde Radioaktivität freigesetzt, die auf lange Sicht die Umgebung und ihre vielfältigen Bewohner auf Generationen hinweg belastet und auch weiterhin belasten werden.“ Zwischen des Redners Zeilen klang eine entscheidende Begriffsbestimmung an: Wenn der Fokus der Katastrophe aus dem Blickfeld geraten soll, muss man ihn einfach umbenennen: Sellafield in Windscale und Harrisburg inThree Mile Island. Und Krieg in humanitäre Intervention - gemäß Responsibility to Protect, RtP-Doktrin mit UNO-Beschluss von 2005, deren Umsetzung die grüne Ministerin Renate Künast in Bezug auf Libyen einfordert. Gewinner der Anti-Atom-Proteste ist erschreckenderweise die grüne Kriegspartei, die Deutschland 1999 mit Joseph Fischer in den ersten Krieg nach 1945 hineinzog.


Ostermarsch-Friedensfahrt der MotorradfahrerInnen - am Kölner Dom

Den Krieg gegen Libyen stoppen
 
„Die Luftangriffe westlicher alliierter Staaten in Libyen stellen einen schweren Verstoß gegen geltendes Völkerrecht dar. Weder war der Weltfrieden bedroht, noch handelte es sich um einen zwischenstaatlichen Konflikt. Nur das hätte ein internationales Eingreifen gerechtfertigt. Wieder ein Krieg für Öl, für Erdgas, für geostrategische Interessen. Nebenbei sei erwähnt, dass deutsche Rüstungsfirmen allein 2008 und 2009 Waffen und anderes Kriegsgerät im Wert von 53 Millionen Euro nach Libyen lieferten... Es gibt in Libyen - ebenso wie in Afghanistan - keine Alternative zur zivilen Konfliktbewältigung; Völkerrecht kann nicht herbei gebombt werden!“, mahnt Gine Willrich, die Initiatorin der MotorradfahrerInnen ohne Grenzen, vor dem Kölner Dom.


Ostermarsch-Friedensfahrt der MotorradfahrerInnen über den Rhein
 
Asche im Mund und Lieder auf der Zunge
 
„Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungskraft für kommende Leiden ist fast noch geringer. Die Beschreibungen, die der New Yorker von den Gräueln der Atombombe erhielt, erschreckten ihn anscheinend nur wenig. Der Hamburger ist noch umringt von Ruinen, und doch zögert er, die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. Der Regen von gestern macht uns nicht nass, sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod“, schrieb Brecht in seinem Grußwort an den Völkerkongress für Frieden in Wien 1952. „Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen“, bis es „wie Asche geworden ist in unserem Mund...“. Mit dem Blues in der Stimme und mit der amerikanischen Folk-Legende Joan Baez wurde die Sängerin Fasia Jansen (1966) zur Stimme des Ostermarsches: "Mischt Euch ein, Ihr könnt die Welt verändern! Los, kommt mit!"


André Shepherd, US-Deserteur unter dem Mahnmal für Deserteure am Kölner Appellhofplatz
 
Bertrand Russel und Heinrich Hannover
 
Die Soziologin - und langjährige Weggefährtin von Fasia Jansen - Ellen Diederich erinnert sich: „Unter dem Slogan 'Britain must lead' fand 1958 der erste Ostermarsch in Großbritannien von London aus 73 km zum britischen Atomforschungszentrum Aldermaston statt. In GB war die Campaign for Nuclear Disarmament bereits in vielen Städten und Gemeinden aktiv. Es gibt die unterschiedlichen Aktionsformen, eine besondere Form des Protestes ersannen Studentinnen der Universität Oxford. Die jungen Damen weigern sich, mit Kommilitonen auszugehen, die sich nicht aktiv an dem Feldzug gegen die Wasserstoffbombe beteiligen. An der Spitze der Bewegung gab es u.a. den Nobelpreisträger, Mathematiker und Philosophen Bertrand Russell. Ich sah ein Foto von ihm, wie er sich, weit über 80 Jahre, bei einem Sitzstreik vor Aldermaston wegtragen ließ. Er wurde in vielen Dingen eines unserer Idole.“ Als 1963 57 Ostermarschierer aus Deutschland nach London flogen, um am Marsch von London nach Aldermaston teilzunehmen, erhielten im Austausch nach Deutschland gekommene 57 britische Ostermarschierer in Düsseldorf keine Einreise. Ellen Diederich: „Wir stellten Öffentlichkeit her, machten eine Sitzblockade auf der Königsallee. Diese wurde mit Wasserwerfern und Polizeiknüppeln angegangen. Später führte dieses Ereignis zu einem politischen Prozeß.“ Der Rechtsanwalt Heinrich Hannover gewann - und Fasia Jansen sang:


Ostermarsch 1966 in Gelsenkirchen - Fasia Jansen und Joan Baez - aus der Arbeiterfotografie-Ausstellung "100 Jahre Toni Tripp - 50 Jahre Ostermarsch"
Foto: Toni Tripp (aus dem Bestand des Archiv Ruhr Museum)

 

 
...Der Zug von London ging zu End.
Doch um die ganze Erde
muss jetzt der Zug der Menschen gehn,
dass endlich Frieden werde!

("Der Zug nach Aldermaston" / 1965
Musik: Fasia Jansen, Text: Fasia Jansen und Heinz Kahlau)

  ...Bauer Deine grünen Felder
sind bedroht von diesem Teufelsplan,
denn gegen Menschen, Vieh und Wälder
steht die Wand aus Feuer himmelan...

("Feuer, Vorsicht. Verbrannte Erde in Deutschland" / 1965
Musik: Fasia Jansen, Text: Fasia Jansen und Gerd Semmer)

Oh Mutter, gib deinen Jungen nicht her.
In Vietnam steht noch ein Baum.
Oh Mutter, gib deinen Jungen nicht her.
Der Baum trägt immer noch Laub.
 
Wenn er ein Killer werden soll,
Gib deinen Jungen her.
Für Killer gibt es, Mutter,
Keine Wiederkehr.
 
("Oh Mutter, gib deinen Jungen nicht her" / 1965
"Vietnam-Lied“, Text und Musik: Fasia Jansen)
(PK)

Online-Flyer Nr. 299  vom 27.04.2011

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