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Kultur und Wissen
Wie man einen missliebigen Preisträger sabotiert
Hetzjagd gegen Handke
Von Sigrid Löffler und Jean-Pierre Lefèbvre

Der Skandal, den die Medien - von KStA bis FAZ - herbei schreiben wollten, nachdem am 20. Mai der Heinrich Heine-Preis dem Schriftsteller Peter Handke zugesprochen worden war, ist eingetreten. Allerdings  anders, als wir uns das in der in NRhZ 46 vorgestellt hatten. Handke, von Düsseldorfs OB Erwin nach der Entscheidung der Jury telefonisch zur Preisverleihung eingeladen, damit er dabei auch "seine Haltung" zu den Balkankriegen und deren Folgen "erklären" könne, soll wieder ausgeladen werden. Wir dokumentieren die Erklärung, mit der die unabhängigen Jury-Mitglieder Sigrid Löffler und Jean-Pierre Lefèbvre ihren Austritt aus dem Gremium mitteilen. Die Redaktion.

"Die Ratsfraktionen des Düsseldorfer Stadtrates haben bekannt gegeben, dass sie die Vergabe des Heinrich-Heine-Preises 2006 an Peter Handke politisch verhindern wollen. Ein solcher Vorgang ist ungewöhnlich - umso mehr, als die Jury, darunter fünf Stadt-Politiker, zuvor mit Zweidrittelmehrheit (zwölf gegen fünf Stimmen) für Handke gestimmt hatte. Der Beschluss für Handke trägt die Unterschriften sämtlicher Jury-Mitglieder und ist im Faksimile inzwischen medienbekannt.

Ohne Vertraulichkeit ist Jury-Arbeit nicht möglich, Juroren sind daher zur Verschwiegenheit verpflichtet. In krasser Verletzung dieses Prinzips haben sich die meisten Juroren, kaum dass in der Öffentlichkeit erste Kritik an ihrem Votum laut wurde, sofort von einer Entscheidung distanziert, die sie selbst eben erst durch ihre Stimmen demokratisch mit herbeigeführt hatten. Einer Jury, die nicht zu dem steht, was sie selbst beschlossen hat, wollen wir nicht mehr angehören. Einer Stadt, die unabhängige Fach-Juroren beruft und sie dann politisch desavouiert, können wir nicht mehr zur Verfügung stehen. Wir treten hiermit aus der Jury des Heine-Preises aus. An die Vertraulichkeit fühlen wir uns nicht länger gebunden.

Die Jury selbst hatte 18 Kandidaten vorgeschlagen. Fünf davon kamen in die engere Wahl. Bei der Diskussion stellte sich rasch heraus, dass die meisten Juroren unvorbereitet waren und sich offenkundig nicht einmal mit den Dossiers vertraut gemacht hatten, die ihnen seit Tagen vorlagen, geschweige denn, dass sie Bücher der Short-List-Autoren gelesen hätten. Denn in Betracht gezogen wurden ausschließlich Schriftsteller - auch gemäß der ausdrücklichen Vorgabe des Jury-Vorsitzenden, des Oberbürgermeisters von Düsseldorf. Dies entspricht dem literarischen Profil, das der Heine-Preis - trotz seiner bekannt schwammigen Satzung - im Laufe der Zeit gewonnen hat. Die Preisträger, an deren Kür wir seit 2000 beteiligt waren, hießen W. G. Sebald, Elfriede Jelinek und Robert Gernhardt - allesamt Autoren.

Bei keinem von diesen - auch nicht bei den früheren Preisträgern Hans Magnus Enzensberger, Wolf Biermann oder Günter Kunert - wurde zur Begründung je der Wortlaut der Satzung herangezogen. Keinem einzigen der Ausgezeichneten wurde der Heine-Preis zugesprochen, weil er oder sie, wie es in den Statuten heißt, "den sozialen und politischen Fortschritt gefördert" oder "der Völkerverständigung gedient" hätten. Vielmehr wurden sie alle ausdrücklich für ihr literarisches Werk "im Sinne Heinrich Heines" geehrt. Zudem wurde mal das problematische Verhältnis zum Herkunftsland, mal das Leben im freiwilligen Exil, mal «die unerschrockene Kritik an politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen ohne jede Rücksicht» als Begründung für die Wahl hervorgehoben - immer «in der Tradition Heinrich Heines». Der Vorschlag Peter Handke entspricht durchaus dem Geiste und hält sich im Rahmen dieser früheren Entscheidungen. Aus dem Verhalten der Preis-Auslober im Fall Handke wird man folgern dürfen: Für die Kür von genehmen Kandidaten ist der Wortlaut der Statuten des Heine-Preises völlig ohne Belang; diese werden nur dann hervorgeholt, wenn es gilt, einen missliebigen Preisträger im Nachhinein zu sabotieren.

Peter Handke: 'Gerechtigkeit für Serbien'
Peter Handke: "Gerechtigkeit für Serbien"
Foto: © Isolde Ohlbaum


Dass Juroren ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind - geschenkt. Dass sie Fach-Juroren öffentlich diffamieren, die doch eigens wegen ihrer Sachkenntnis in die Jury gebeten wurden - erheiternd. Dass sie dann aber noch ebenso haltlose wie rufschädigende Behauptungen über den Gekürten in Umlauf bringen - mithilfe von Lokalblättern, denen in der Flaute vor der Fußball-WM ein bisschen Hetzkampagne gerade recht kommt -, das darf nicht unwidersprochen bleiben. Wie nämlich inzwischen deutlich wurde, ist das Düsseldorfer Hysterienspiel nicht bloß ein Dada-Spektakel, dargeboten von den ausgewiesenen Literaturkennern im Stadtrat und in der Landesregierung und verstärkt durch den Chor so prominenter Handke-Exegeten wie Jürgen Rüttgers oder Fritz Kuhn; die Skandalisierung Handkes scheint vielmehr ein willkommener Anlass gewesen zu sein, um intern politische Rechnungen unter alten Feinden zu begleichen. Dass man als Fach-Juror berufen, dann aber für politische Ränkespiele in der Stadt instrumentalisiert wird, ist ein weiterer Grund, um aus der Jury auszutreten.

Man könnte den Wirbel unter Lokalposse abbuchen - wäre da nicht der landesweit inszenierte öffentliche Empörungsschrei gegen Handke. Ein Furor automaticus, der seit zehn Jahren in das immergleiche Reaktionsschema einrastet. Niemand wird Handkes bizarre Aktionen in Sachen Milosevic nachvollziehen oder gar billigen wollen. Auch seine Auffassungen zur Balkanpolitik muss man nicht teilen. Seine dissidenten Ansichtenzu den Balkankriegen rechtfertigen aber keinesfalls die blindwütige Aggressivität, mit der hier ein Autor menschlich und politisch isoliert, mundtot gemacht und in seinem Werk beschädigt werden soll.

Denn dies kann nicht bestritten werden: Peter Handke ist einer der bedeutendsten Autoren der Gegenwart. Das Programm seines Lebens ist zugleich das Gesetz seines Schreibens: die Arbeit an einer bewussten Blickänderung auf die Welt. In seinen Balkan-Texten prallt dieser Anspruch des Andersdenkens und Andersschreibens seit jeher auf den formierten journalistischen Konsens darüber, wie die jugoslawischen Sezessionskriege zu sehen und zu beurteilen seien. Entgegen diesem Konsens hält Handke daran fest, dass die Auflösung Jugoslawiens nicht die Lösung des Problems ist, dass darin vielmehr ein Verlust liegt, der auch benannt werden darf.

Aber eben diese hartnäckige Abweichung eines einzelnen Schriftstellers will man nicht dulden. Die Intellektuellen, Journalisten und Politiker, die sich im vergangenen Jahrhundert so oft und so extrem geirrt (und verirrt) haben, haben sich auf korrekte und daher ungefährliche Meinungen verständigt. Handke, so muss man folgern, ist deshalb anstößig und muss exorziert werden, weil er in seiner Unabhängigkeit Ansichten äußert, die sich die Intelligenz hierzulande nicht gestatten darf und daher auch ihm nicht zugesteht. Dass Handke ohne Rücksicht seinen poetischen Blick gegen die veröffentliche Meinung und deren Rituale setzt, ist eine der Jury-Begründungen dafür, ihm den Heine-Preis zuzuerkennen. Die Hetzjagd gegen den Gekürten beweist ungewollt, wie sehr Peter Handke den Heine-Preis verdient hätte."

Sigrid Löffler ist Chefredakteurin der Zeitschrift "Literaturen". Jean-Pierre Lefèbvre lehrt Literaturwissenschaft an der Pariser École Normale Superieure.

Online-Flyer Nr. 47  vom 06.06.2006

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