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Arbeit und Soziales
Online-Druckerei "Flyeralarm" unterhöhlt Branchenstandards
Alarm! Soziale Tiefflieger
Von Helga Ballauf und Henrik Müller

Die Technik macht es möglich: Bestellung standardisierter Drucksachen übers Internet, hoch automatisierte Offsetfertigung am laufenden Band, sofortiger Versand. Und das zu Schnäppchenpreisen. In der Erfolgsstory der Würzburger Onlinedruckerei Flyeralarm fehlt allerdings ein Kapitel: die soziale Lage der Beschäftigten.
 
Die Geschäftsidee kam 2002 genau richtig: Handzettel, Werbekärtchen und Flugblätter für die Straßenwerbung schnell und günstig in gängigen Formaten anbieten. Ob Wellness-Salon oder Politgruppe, ob Theaterexperiment oder Take-away-Imbiss: Flyeralarm und andere Onlinedruckereien entdeckten Kunden und befriedigten eine Nachfrage, die es vorher so nicht gegeben hatte: bezahlbare Massenwerbung für die einmalige Wahrnehmung, Wegwerfware mit begrenztem Qualitätsanspruch.
 
Flyeralarm entwickelte sich – als sozialpolitischer Tiefflieger – zum Marktführer und gewann 2006 den bayerischen Gründerpreis als innovativer Aufsteiger. Seitdem expandiert das Unternehmen. Inzwischen werden Kunden in sechs europäischen Ländern beliefert, und zu den fränkischen Produktionsstätten sind mittlerweile zwei im Freistaat Sachsen – in Klipphausen und Kesselsdorf – dazu gekommen. Außerdem expandieren Flyeralarm und die Schleunungdruck GmbH mit ihrem – nicht tarifgebundenen – Gemeinschaftsunternehmen Druckhaus Mainfranken. Der Chef der GmbH, Christoph Schleunung, ist Vizepräsident des Bundesverbands Druck und Medien (bvdm), also der zuständigen Tarifpartei auf Arbeitgeberseite – und nicht gerade als Gewerkschaftsfreund bekannt.
 
Bereits 2009 hatte ver.di Alarm geschlagen: Das Unternehmen behindere die Betriebsratswahl. Erste Ansätze eines gewerkschaftlichen Engagements im Herbst 2008 hatten zu massiven Sanktionen gegen die beteiligten Beschäftigten geführt. Außerdem spaltete die Geschäftsleitung damals das Unternehmen in vier selbstständige Betriebe auf: in die Produktionsstätten Würzburg und Geußenheim, in die Service- und die Infocenter GmbH. Wenn insgesamt rund 550 Beschäftigte aber auf kleine Einheiten verteilt sind, heißt das: Auf diejenigen, die einen Betriebsrat wählen wollen, kann von oben noch wirksamer Druck ausgeübt werden.
 
Nach diversen gerichtlichen Auseinandersetzungen gibt es in der Service GmbH einen Betriebsrat, dessen Mitglieder aber der Geschäftsleitung nahe stehen, wie Peter Baumann, zuständiger ver.di-Sekretär in Würzburg, belegen kann. "Eine Farce", urteilt er. So lässt sich wohl auch der "Sozialrat" bezeichnen, den Flyeralarm im März 2010 einführte. Ausgesuchte Beschäftigte sammeln "Fragen, Probleme, Anregungen, Wünsche" ihrer Kolleginnen und Kollegen und dürfen selbige alle 14 Tage "Abgesandten" der Geschäftsleitung "vortragen". Dazu heißt es in der Hauszeitschrift "Stille Post": "An dieser Stelle möchten wir euch schon einmal darauf hinweisen, dass Fragen rund um Arbeitszeiten / Gehalt / Urlaub etc. weiterhin direkt an die Personalabteilung zu richten sind."
 
Eine "starke Frau" in der Geschäftsleitung
 
Das freundschaftliche "Du" kommt von den beiden Geschäftsführern Tanja Hammerl und Thorsten Fischer. Sie erwecken gern den Eindruck, auf kameradschaftlichem Fuß mit den von ihnen abhängigen Beschäftigten zu stehen. Das gilt aber nur, solange diese mitspielen, nicht aufmucken und nichts aus der "Firmenfamilie" nach außen dringen lassen. "Wer die Arbeitsbedingungen verbessern will, bekommt Probleme mit den Vorgesetzten", hat Gewerkschaftssekretär Baumann schon mehrmals erlebt.
 
Hammerl ist die starke Frau in der Geschäftsleitung – mit recht skurilem Geltungsdrang: Auf ihrer privaten Website (www.tanja-hammerl.de) verkündet sie, als interessiere das irgendjemanden auf der Welt: "In meinen Adern fließt spanisches Blut." [Gelöschte Passage, in der eine Conection beschrieben wurde, die nach Auffassung von Frau Hammerl nicht den Tatsachen entspricht] Den Managern des Fußball-Bayernligisten FC 05 Schweinfurt war diese Connection zu heikel – sie verzichteten auf die Unterstützung von Flyeralarm. Nun sponsort die Firma die Würzburger Kickers und neuerdings sogar den Fußball-Bundesligisten FC St. Pauli.
 
Denn als sozial engagiertes Unternehmen in der Presse zu stehen, darauf legen Hammerl & Co. Wert. Solange es nicht um die sozialen Belange der Belegschaft geht. Nach ver.di-Informationen arbeiten die meisten der Beschäftigten als ungelernte Kräfte und verdienen bei einer 40-Stunden- Woche zwischen 1.300 und 1.500 Euro brutto. Gegenwehr? Es gibt immer wieder Kunden von Flyeralarm – politische Initiativen, kommunale Verwaltungen oder aufmerksame Einzelpersonen –, die nicht nur sich, sondern auch die Würzburger Geschäftsleitung nach den Konsequenzen des günstigen Druckpreises für die Beschäftigten fragen. Sie orientiere sich an den Tarifen der Druck- und der Papier verarbeitenden Industrie, lautet dann die Antwort. "Wahrheitswidrig", sagt ver.di-Sekretär Baumann. "Es gibt ein Grimmen und Grollen über die Arbeitsbedingungen in der Belegschaft. Aber auch die Angst ist groß."
 
Grimmen und Grollen über die Arbeitsbedingungen
 
Baumann sieht ein grundsätzliches Problem: "Onlinedruckereien sind weitgehend tarif-, gewerkschafts- und betriebsratsfreie Räume. Sie beschäftigen – bis auf wenige Funktionen – Menschen ohne Fachausbildung. Und die sind froh um das bisschen Geld." Bleibt die Frage, wie es um die Qualität der Produktion bestellt ist und ob Druck von traditionellen Druckereien auf die Billigkonkurrenz entstehen könnte. Der Beitrag eines Grafikers in einem der vielen Chatforen von Werbeagenturen und Mediengestaltern gibt die Antwort: "Wir drucken regelmäßig bei Flyeralarm, und wenn man sich penibel genau an deren Vorgaben hält, bekommt man eine Superqualität zum Hammerpreis. Der Kundensupport ist nicht toll und Reklamationen sind leider endloser Stress."
 
Diese Aussage fasst die Erfahrung vieler Profis zusammen. Mit zwei Konsequenzen: Bei spezielleren Aufträgen verzichten sie auf Flyeralarm. Und: "Wer es billig haben will, darf sich nicht beschweren." Außerdem beobachtet Baumann: "Der Markt für Einfachstarbeiten ist groß und längst nicht ausgeschöpft. Da fällt es kaum ins Gewicht, wenn die Firma bei ein paar Profis ein Qualitätsproblem hat." Und weil sie jeweils ganz verschiedene Marktsegmente bedienen, kommen sich die Kreise von traditionellen und Onlinedruckereien auch kaum in die Quere, meint der ver.di-Sekretär. Was unterm Strich bedeutet: Es gibt nur einen Weg zu besseren Arbeitszeiten und höheren Löhnen in solchen Firmen: wenn die Beschäftigten trotz Angst und Bauchgrimmen gemeinsame Sache machen, sich gewerkschaftlich beraten lassen und für ihre Rechte streiten.
 
Gute Arbeit in Druckereien?
 
In dieser Ausgabe muss DRUCK+PAPIER wieder über allerlei negative Entwicklungen berichten. Wenn wir zum Beispiel Reportagen veröffentlichen wie diese von Helga Ballauf über die Firma Flyeralarm, stellen Leserinnen und Leser oft die Frage: Wo bleibt das Positive? Okay, lasst es uns mal so versuchen: Bei DRUCK+PAPIER und beim Fachbereich Medien gibt es öfter Anfragen, ob ver.di Druckereien empfehlen kann, bei denen der Chef einigermaßen anständig mit der Belegschaft umgeht und die Drucksachen dennoch preisgünstig sind. Grundsätzlich gilt: Theoretisch herrschen in allen tarifgebundenen Druckereien akzeptable Arbeitsbedingungen. Wie es konkret vor Ort aussieht, kann in den Geschäftsstellen des ver.di-Fachbereichs Medien erfragt werden. Aber es gibt auch viele kleine Druckereien und Copyshops, die nicht tarifgebunden sind, oft auch keinen Betriebsrat haben. Über die können wir kaum realistisch Auskunft geben, weil sich dort Beschäftigte meist nur dann bei der Gewerkschaft melden, wenn sie Probleme haben. Wer also – als Kundin, Kunde, Beschäftigte/r – Druckereien oder Copyshops kennt, bei denen – ob tarifgebunden oder nicht – überprüfbar vernünftige oder sogar gute Arbeitsbedingungen herrschen, sollte das der DRUCK+PAPIER-Redaktion mitteilen – per eMail an drupa@verdi.de oder per Telefax 030/6956-1076. Chefs von Druckereien, die davon überzeugt sind, dass sie hier "mitbieten" können, sollen nicht ausgeschlossen sein – wobei klar ist: Wir fragen bei den Beschäftigten nach. Wie wir natürlich allen Angaben so sorgfältig nachgehen, wie es uns möglich ist. Vielleicht entsteht so im Laufe der Zeit eine Positivliste unter dem Motto "Gute Arbeit". (PK)
 
Helga Ballauf hat den "Flyeralarm"-Artikel für die ver.di-Zeitschrift DRUCK+PAPIER geschrieben. Die Anmerkung darunter ist von Henrik Müller, ihrem stv. Chefredakteur. http://druck.verdi.de/


Online-Flyer Nr. 295  vom 30.03.2011

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