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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Lokales
Sogar in Köln gibt's Alternativen
WM - nein danke
Von Ariane Detloff

"Wir wollen Weltmeister werden!" Mit dieser naßforschen Ankündigung hatte Bundespräsident Horst Köhler schon in seiner Neujahrsansprache die hierzulande immer heftiger sich ausbreitende "Patriotismus"-Welle befördert - wobei "Patriotismus" das Beschönigungswort für Nationalismus abgibt. Aufgesprungen auf den neuerlichen National-Trend sind anläßlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 neben Bundestrainer Jürgen Klinsmann, Bundeskanzlerin Angela Merkel und den vereinten Krupps und Krauses natürlich auch Konzerne wie die Deutsche Telekom.

Letztere präsentierte bundesweit Plakate mit der Aufforderung an jedermann: "Werden Sie Mitglied im größten Nationalteam aller Zeiten!" - ungeachtet der historischen Tatsache, dass das letzte "größte Nationalteam aller Zeiten" für 50 Millionen Tote in Europa sorgte.

Die allfälligen Begleiterscheinungen wie Reklame allerorten (bin gespannt, wann auch die Köpfe der Spieler noch bepflastert werden), die Grölgesänge auf Straßen und Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln, die Verdummbeutelung des Publikums durch Endlos-Medien-Präsentationen noch der läppischsten Äußerungen der "global players", deren Spielfeld eben nicht die Welt bedeutet, sondern vergessen lassen soll, wären sicherlich auch näherer Betrachtung wert. Ebenso Erlebnisse und Empfindungen von Flüchtlingen, die das WM-Motto "Die Welt zu Gast bei Freunden" nur mit Gallenschmerzen hören können. Denn sie unterliegen der sogenannten Residenzpflicht und dürfen nicht einmal Freunde und Verwandte in anderen Bundesländern besuchen, geschweige denn Mega-Events in Konzern-Stadien wie "Allianz" in München, "Rheinenergie" in Köln oder "Gottlieb Daimler" in Stuttgart. Sie sind potentielle "Schüblinge", nicht Freunde. Opfer der casinokapitalistischen Globalisierung, die gefälligst unauffällig leben sollen, weggesperrt in "Ausreisezentren" und sonstigen Lagern.

So wird Mann Weltmeister
So wird Mann Weltmeister
Foto: Hermann


Wo Nationalismus Trumpf ist und Rassismus weggeleugnet wird, darf Heiligkeit nicht fehlen. Notorische Sympathieträger: Kinder(!) dürfen einlaufen auf den "heiligen Rasen", von dem u.a. die Telekom-Website salbadert. Dies alles zu beschützen, wird der Bundeswehr-Einsatz im Innern geprobt, werden Bürgerrechte ausgehebelt. Vergeblich protestieren Datenschützer und die Internationale Liga für Menschenrechte gegen verdachtsunabhängige polizeiliche und geheimdienstliche Bespitzelung noch des arglosesten Bratwurstverkäufers im Dunstkreis weltmeisterlicher Fußballerei.

Die unappetitlichste Begleiterscheinung der Event-Maschinerie sind "Verrichtungsboxen", wie sie z.B. rund um das Kölner Stadion aufgestellt werden sollen: Container, in denen (Zwangs-)Prostituierte massenhaft Dienst am Mann verrichten werden. 30 000 Frauen -vornehmlich aus Osteuropa - werden dieserhalb zur WM erwartet.

Als Alternative zu den Spielen, die nicht spielerisch gemeint sind - sie führen vielmehr Streß alias Leistung, Konkurrenz und Kommerz vor Augen und erzeugen Knorpelabsprengungen, Wadenbeinprellungen und Meniskusrisse -, gibt es in Köln erfreulicherweise auch Beispiele einer anderen Spiel- und Bewegungskultur: Yoga bei der Sozialistischen Selbsthilfe Köln-Mülheim und den selbstorganisierten Fussball in der Kölner "Bunten Liga", wo u.a. die "Kellerkinder", "Prinzip Hoffnung" und das schwule "Cream-Team" ihrem Spieltrieb frönen.

Dokumentiert haben wir bereits im NRhZ-Flyer 33 Ende Februar eine weitere Möglichkeit, dem Weltmeisterschaftsdumpfsinn etwas entgegenzusetzen: die Regisseurin Helke Sander hat ihre Rundfunkgebühren um 20 Prozent gekürzt, weil sie das Schießen und Treten um eine nationale Trophäe nicht mit ihrem Obolus unterstützen mag und hat dies den Rundfunkintendanten mitgeteilt. Nachahmung ist möglich.

Unsere Autorin arbeitet für www.Contraste.de. Dort finden Sie weitere Alternativen zum WM-Spektakel.

Online-Flyer Nr. 47  vom 06.06.2006

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