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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Medien
Gebührenkürzung wegen zuviel Fussballweltmeisterschaft
Für die Trennung von Staat und Fussball
Von Helke Sander

Betrifft: Gebührenkürzung wegen zuviel Fussballweltmeisterschaft in den Öffentlich-rechtlichen Anstalten. (Wenn Sie sich in dieser Frage auf die hohen Einschaltquoten bei Sportsendungen berufen, dann vergessen Sie bitte nicht, dass normalerweise Frauen um des lieben Friedens Willen ihrerseits aufs Fernsehen verzichten. Ausserdem hätten sie sowieso keine Chance, etwas anderes zu sehen, weil am Wochenende fast nur Fussball zu sehen ist).

Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich werde ab März 06 die Gebühren vorläufig um ein Fünftel kürzen, evtl. nach späteren Rechtsauskünften auch mehr.
Gründe:
Ich fühle mich durch die Anstalten zunehmend schlecht informiert.
Ich will den Überhang an Fussballsendungen gegenüber anderen Nachrichten nicht länger mit meinen Gebühren unterstützen.
Ich bin der Meinung, dass die Rundfunkräte ihrer Aufgabe nicht in der vorgeschriebenen Weise nachkommen, nämlich den Bildungsauftrag und die gesetzlich normierten Programmgrundsätze durchzusetzen.
Ich bezweifele, dass die Rundfunkräte die "gesellschaftlich relevanten" Gruppen repräsentieren.
Ich habe den Eindruck, dass die meisten Gremien direkt oder verkappt lediglich die jeweiligen Parteienverhältnisse repräsentieren.

Helke Sander
Helke Sander
Foto: privat



Schon die Papstprogramme überschritten die Toleranzgrenze

Schon 2005 überschritten die Programme zu Papsttod, Papstbegräbnis, Papstwahl, Papstjugend gewaltig die Toleranzgrenze vieler Zuschauer und Zuschauerinnen, die dadurch auf andere Programme verzichten mussten und vergeblich danach fragten, wie diese kompakte Sendefülle über den alten und den neuen Papst nicht nur mit dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche sondern auch mit dem öffentlich-rechtlichen Programmauftrag in Vereinbarung zu bringen sei.

Noch ausdauernder als im einseitigen Normalprogramm aber besetzt schon jetzt die kommende Fussballweltmeisterschaft alle Kanäle unter der angenommenen und immer wieder eingebläuten Voraussetzung, dass dies alle Fernsehzuschauer und Zuschauerinnen gleichermassen interessiere und zu interessieren habe. Dieses Interesse teile ich definitiv nicht.

Ich habe eine einzige Untersuchung zur Fussballakzeptanz im Fernsehen im Internet gefunden, geleitet von Prof. Dr. Markus Voeth, Lehrstuhl für Marketing an der Universität Hohenheim, Email voeth@uni-hohenheim.de, Internet: www.marketing.uni-hohenheim.de. Diese Studie kommt zu dem Schluss, dass die allgemeine Akzeptanz sehr hoch sei und die WM 06 von allen Bürgern zu mindestens 80 % begrüsst werde, dabei etwas mehr von Männern als von Frauen. Aus der Kurzdarstellung des Instituts gingen nicht die Kriterien für die Untersuchung hervor.


Die meisten fürchten sich vor der Fußball-WM

Ich greife da lieber auf meinen eigenen grossen Bekanntenkreis zurück, der sich sehr vielfältig zusammensetzt und einige hundert Personen unterschiedlichster Kreise und Altersstufen umfasst. Darunter gibt es ungefähr fünf Personen, die die WM ernstlich interessiert und die freiwillig und gern die Spiele ansehen werden Viele andere sagen schon jetzt, dass sie Deutschland in dieser Zeit am liebsten verlassen würden. Kaum einer teilt die Ansicht, dass die WM unter dem Strich ein grosser Gewinn wird. Die meisten fürchten sich davor, fürchten die verstärkten Sicherheitsmassnahmen, die Kosten für die Allgemeinheit, die erhöhten Preise, die zu erwartenden Randalierer und last not least die gewaltige Zunahme von Verbrechen, besonders den illegalen Frauen- und Mädchenhandel. (Darauf hat dankenswerter Weise schon der Deutsche Frauenrat deutlich aufmerksam gemacht).

Mein Brief richtet sich an Sie, die Rundfunkräte, weil Sie per Satzung eingreifen können und eingreifen müssen, um zumindest auf dem öffentlich-rechtlichen Sektor die Anstalten zu veranlassen, für Ausgewogenheit an Informationen zu sorgen. Sie sollen die zu erwartenden Unannehmlichkeiten nicht noch Ihrerseits anheizen. Leider ist von dieser Arbeit der Räte in der Öffentlichkeit nichts zu bemerken. Im Gegenteil: es gibt aus Ihren Kreisen offenbar nicht einmal Protest, wenn die FIFA Ihnen WM-Promikarten anbietet. Auch hört man im Fernsehen bemerkenswert wenig von den Sportjournalisten, die gegen die Verquickung von Marketing und Journalismus protestieren.

Müngersdorf - Plätze für Promis?
Müngersdorf - Plätze für Promis?
Foto: NRhZ-Archiv



Die Rundfunkräte genauer ansehen

Ich kann den Leserinnen und Lesern dieses offenen Briefes nur empfehlen, sich die Besetzung dieser Gremien in den einzelnen Bundesländern noch einmal genauer anzusehen (und Publizistikstudenten auf ergiebige Diplomthemen aufmerksam machen). Jeder Sender oder jede Sendegemeinschaft hat einen eigenen Rundfunkrat, besetzt mit zwischen 30 und 60 Personen. Diese Personen sollen laut Satzung gesellschaftlich relevante Organisationen vertreten. Schaut man sich die Mitgliederlisten an, sieht man immer wieder dieselben, entweder direkt oder verkleidet: Immer bilden Vertreter der grösseren Parteien bzw. den Parteien nahe stehende Personen die Hauptgruppe. Immer gibt es Vertreter der christlichen und jüdischen Konfessionen, oft auch ihrer Unterorganisationen. .Dagegen gibt es soweit ich sehen konnte, keine Vertreter anderer Weltanschauungen oder, was nun tatsächlich im zunehmend säkularen Deutschland relevant wäre, Vertreter der organisierten Konfessionslosen.

Bis auf den NDR-Rundfunkrat, der mehr Frauen als Männer hat, sind Frauen normalerweise in der starken Minderheit. In Bayern sind von 47 Mitgliedern 9 Frauen, wobei 5 dieser Frauen die kath. Frauenorganisationen, die evangelischen Frauenorganisationen, den bayrischen Jugendring, den bayrischen Landessportverband und die bayrischen Familienverbände vertreten. Dann gibt es dort natürlich noch zusätzlich die Vertreter der ev. und kath. Kirchen sowie als Kuriosität allein 9 Mitglieder, alles Männer, die für die CSU den bayrischen Landtag vertreten und als Zehnten den Rundfunkratsvorsitzenden und Vertreter der Landesregierung, Herrn Beckstein. Sie haben dort noch 2 SPD-Männer und eine grüne Frau zugelassen, aber z.B. niemanden aus der FDP. In manchen Rundfunkräten gibt es Vertreter von Ausländern, in anderen nicht, (was vielleicht erklärt, dass es immer noch keine türkischen Untertitel oder voice over bei den Nachrichten gibt). Erstaunlich gut sind die Musiker vertreten, fast überall sogar, hin und wieder die Theater, in Bremen sogar das Kommunale Kino oder die Gesellschaft zur Förderung der polnischen Kultur. Kratzt man ein bisschen daran, kommt vermutlich auch dort nur wieder SPD heraus. Leider glauben viele Menschen tatsächlich, es hier mit demokratischen Gremien zu tun zu haben.

Und für so was auch noch Gebühren zahlen?
Und für so was auch noch Gebühren zahlen?
Foto: NRhZ-Archiv



Wehe, es kommt die Strickweltmeisterschaft

Um den vornehmlich männlichen Rundfunkräten, Intendanten, Berichterstattern, Werbeleuten usw. einmal vor Augen zu führen, wie das Fernsehprogramm auf mich und viele meiner Freunde wirkt, möchte ich Sie bitten, sich mal vorzustellen, SIE SELBER würden an jedem Wochenende, an dem Sie vielleicht mal frei haben oder krank sind und sich mal was Nettes ansehen möchten, nur Strickwettbewerbe auf allen Kanälen finden. Sie könnten herum zappen soviel Sie wollen, Sie werden doch immer nur wieder und wieder und wieder auf strickende Frauen schalten, angefangen mit dem Frühstücksfernsehen, nach jeder Nachricht, d.h. alle halbe Stunde irgendwo im öffentlich-rechtlichen Fernsehen oder Radio, würden SIE über die neuesten Wettbewerbe, Muster, Vorlagen, Finessen des Strickens informiert. (Ich bin leider überzeugt, dass man auch das zu einem Quotenerfolg führen könnte, wenn man es nur durchhielte - siehe Lindenstrasse. Aber das nebenbei). Ständig würden SIE von Moderatoren angegrinst und persönlich angesprochen, weil SIE ja nun die Schönste Sache der Welt sähen, das neueste Zopfmuster, Norweger oder Fantasy-Muster.

Das, meine Damen und Herren Rundfunkräte, wäre das NORMALE, das NORMALE Programm. Wehe, es kommt die Strickweltmeisterschaft. Dann gäbe es praktisch nichts Anderes mehr. Sie stiegen in Hannover aus dem Zug und sähen auf einer Säule mit Display: "Noch xy TAGE bis zum Beginn der Strick-Weltmeisterschaft". Sie lesen eine x-beliebige Zeitung und eine strickende Frau, vielleicht heisst sie Frau Beckenmauer, erzählt Ihnen rücksichtsvoll, dass sie im Jahr der Strickweltmeisterschaft dem Land nicht noch ihre dritte oder vierte Hochzeit zumuten könne und deshalb wohl erst später erneut heiraten werde.
Sie würden in Sondersendungen darüber informiert, für wie viel Millionen eine Strickerin das Land wechselt wegen ihres exorbitanten Musters. Schriftstellerinnen würden über ihre Strickerfahungen sprechen - überall. Überall. Pfarrer installierten Fernsehapparate in den Kirchen - um das "Gemeinschaftsgefühl durch gemeinsames Strickengucken" zu steigern.
Das Stricken wäre nur unterbrochen dann und wann durch Häkeln. Auch da gebe es Wettbewerbe, so wie Fussball ja auch unterbrochen ist durch Formel eins und deren wechselnde Chauffeure (was junge Männer anregt, sich mit ihrem ersten Auto bald um Bäume zu wickeln).

Ich höre Sie sagen, dass doch auch die Fussballerinnen inzwischen berühmt seien und auch Frauen vom Fussballfieber ergriffen. Frauen können dasselbe, das ist doch sowieso klar. Sie müssen aber nicht dasselbe machen. Interessanterweise zeigen die Fernsehanstalten die Fussballerinnen nicht ebenso häufig wie die Männer, obwohl doch die Frauen Weltmeisterinnen sind. Der beste Beweis dafür, dass die meisten Frauen den fussballspielenden Geschlechtsgenossinnen zwar ihre Siege von Herzen gönnen, aber sie nicht ununterbrochen sehen wollen, ist die Tatsache, dass sie im Fernsehen kaum zu sehen sind. Sie bringen keine Quote - es sei denn sie gewinnen gerade die Weltmeisterschaft. Frauen haben normalerweise auch noch andere Interessen. Männer interessieren sich nicht für Frauenfusssball und darum sieht man keinen Frauenfussball.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos


Das "Wunder von Bern" ?

Und, weil ich schon dabei bin, möchte ich auch über die Vergangenheit und zu dem sogenannten "Wunder von Bern 1954", von dem so getan wird, als würde jede und jeder Deutsche entsprechenden Alters sich daran erinnern, ein Wort sagen. Dem muss ich ebenfalls widersprechen. Ich erinnere mich sehr gut an die Olympiade 1952, die ich am Radio verfolgte. Ich erinnere mich sehr gut an die Rede der als "Friedensengel" diffamierten Frau, die das offizielle Mikrofon ergriff und etwas vom Handeln für den Weltfrieden ins Mikrofon schrie, bevor sie abgeführt wurde. Ich erinnere mich auch sehr gut an den Aufstand am 17.Juni 1953, über den ich alles mögliche zusammentrug. Ich erinnere mich aber überhaupt nicht an die so berühmte Fussballweltmeisterschaft 1954, die uns angeblich unser Nationalgefühl zurückgegeben hat. Das ist mir in Remscheid, wo ich damals lebte, offenbar vollkommen entgangen, oder besser, vermutlich habe ich es damals gehört, es ist mir aber nicht in Erinnerung geblieben, obwohl ich in einem Sportverband war und mindestens zweimal wöchentlich trainierte.

Darum: Hören SIE auf, IHRE Vorlieben auch für die meinen zu halten. Machen Sie eine, zwei Stunden wöchentlich für Ihren Fussball frei in den öffentlich-rechtlichen Anstalten, nehmen Sie die Informationen über den Fussball aus den täglichen Nachrichten, informieren Sie statt dessen über den Frauen- und Mädchenhandel im Zusammenhang mit der WM und unterstützen Sie den Breitensport.

Alle anderen aber sollten sich fragen, ob Ihrer Meinung nach die jetzigen Rundfunkräte wirklich mit den "gesellschaftlich relevanten Vertretern relevanter Organisationen " besetzt sind und das evtl. ändern.

Helke Sander hat von 1962 bis 1965 als Schauspielerin an verschiedenen Bühnen Finnlands gearbeitet, wurde danach Film-Autorin und Regisseurin und Professorin für Film an der Hamburger Hochschule für bildende Künste. Sie nahm an vielen internationalen Festivals teil und erhielt für ihre Filme zahlreiche Preise, darunter den Goldenen Bären in Berlin, den Deutschen Filmpreis in Silber, den Preis für Reality Research für ihr Gesamtwerk in Amsterdam.

(Die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm- agdok@agdok.de - macht sich diesen Offenen Brief zueigen und benutzt ihn im Rahmen eines für das Frühjahr geplanten Kongresses über die Erwartungen an das Fernsehen. Wer interessiert ist, darüber Näheres zu erfahren bzw. mit zu arbeiten, wende sich an die mailadresse. Der Brief kann weitergegeben und vervielfältigt werden.)


Online-Flyer Nr. 33  vom 28.02.2006

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