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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Lokales
Schiitische Gemeinde in Köln soll vertrieben werden - am Stadtrat vorbei!
Fremden- und Islam-feindlich
Von Peter Kleinert

Mit einem Offenen Brief hat sich die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM) an Kölns OB Jürgen Roters gewandt. Sie protestiert darin gegen die angekündigte Schließung des Gebetsraumes der schiitischen Gemeinde Abess-Alshakery e.V. in der Schanzenstraße in Mülheim durch das Bauaufsichtsamt.(1) Die Gemeinde hat dort seit Jahren Räume gemietet, die sie als Gebetsraum nutzt. Der Eigentümer Aurelis, früher Teil der DB, heute als Immobilienkonzern im Besitz des Hochtief-Konzerns und seiner internationalen Anteilseigener, hat die Gemeinschaft am 8. März zur Herausgabe der Gebäude aufgefordert. Da das rechtlich nicht so einfach zu bewerkstelligen ist, hat Aurelis das Bauamt der Stadt Köln vorgeschickt, um die Gebäude als einsturzgefährdet schließen zu lassen.
 

Wird er sich gegen Aurelis und seinen
durch U-Bahn-Bau und Stadtarchiv-Einsturz
ohnehin umstrittenen Bauaufsichtsamts-
Chef Streitberger durchsetzen? - Kölns
OB Jürgen Roters
NRhZ-Archiv
Da die massiven Gebäude aus der Zeit um 1900 äußerst solide sind, und weil die ebenerdigen Gebäude auch jederzeit nach zwei Seiten verlassen werden können, ist das Bauamt unter Dezernent Streitberger nun auf die Behauptung verfallen, die Gebäude dürften nicht benutzt werden, weil „durch Teppiche, Vorhänge usw. ganz erhebliche Gefahren steigernde Gegen-stände vor(liegen), die eine hohe Brandgefahr aufweisen.
 
Weil heute überall in Versamm-lungsräumen Teppiche und Teppichböden liegen, sieht der SSM in dieser Verbotsankündigung eine Maßnahme, die sich gegen die Religionsausübung speziell von Muslimen richtet und die daher geeignet ist, das friedliche Zusammenleben der Religionen zu gefährden. In seinem Brief fordert die SSM den Oberbürgermeister auf, das geplante Verbot zurückzunehmen und endlich das beschlossene Entwicklungskonzept für Mülheim Nord und das Nutzungskonzept für die Güterbahnhofsbrache vorzulegen.
 
Brief an OB Roters:
 
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
mit Erschrecken haben wir zur Kenntnis genommen, dass Ihre Bauverwaltung versucht, der schiitischen Gemeinde in der Schanzenstraße die Nutzung ihres Gebetsraumes zu verbieten. Die Begründungen sind so hahnebüchen, dass man von einem rechtlichen Skandal sprechen muss.
 
Teppichböden als Kündigungsgrund
 
In den Gebäuden gibt es keinerlei Gefahr für Menschen. Sie sind ebenerdig und können nach zwei Seiten verlassen werden. Es gibt in den Räumen keine Brandquellen irgendeiner Art. Als geradezu skandalös muss man bewerten, dass als Grund für das angekündigte Nutzungsverbot das Vorhandensein von Teppichen angegeben wird. Heute haben alle möglichen Versammlungsräume Teppichböden. Wollen Sie die jetzt alle schließen? Sicher nicht. Es entsteht daher der Eindruck, dass mit dem Verbot die Religionsausübung der Muslime getroffen werden soll, denn nur die benötigen ja bekanntlich Teppiche, um darauf ihr Gebet zu verrichten.
 
Keine Moschee in Köln mehr sicher
 
Damit trifft Ihre Bauverwaltung mit dem angekündigten Verbot das Recht auf freie Religionsausübung ins Herz und gefährdet den religiösen Frieden in unserer Stadt. Wenn diese angekündigte Schließung Wirklichkeit wird, kann keine einzige Moschee in Köln mehr vor einem Verbot durch das Bauamt der Stadt Köln sicher sein, kein Muslim kann mehr darauf vertrauen, seine Religion ausüben zu können.
 
Dass hier nicht nach Recht und Gesetz gehandelt werden soll, kann man auch daran sehen, dass der verfassungsgleiche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit großzügig übergangen wird. Bei erfahrenen Verwaltungsbeamten kann man da an Zufall oder Nachlässigkeit nicht so recht glauben. Wenn man hätte rechtmäßig handeln wollen, so hätte man Auflagen erteilen müssen. Dass diese fehlen, lässt uns befürchten, dass hier gezielt Willkür ausgeübt werden soll, um eine kleine Minderheit zu treffen, die man schutzlos wähnt.
 
Es ist auch nicht zu verstehen, wieso der Hinweis übergangen wurde, dass die Nutzung bereits seit Jahren von der Bahn genehmigt war, die ja bis zum letzten Herbst dort das Baurecht hatte. Gewöhnlich löst eine solche Genehmigung baurechtlich zumindest eine Duldung aus.
 
Diskriminierende Fristsetzung
 
Auch die kurze Frist - der Brief wurde am Freitag, den 11.3. zugestellt, am Montag, den 14.3., 11 Uhr, endet die Frist - sie beträgt also (rechtlich gesehen, die Redaktion) gerade mal 24 Stunden, erweckt den Eindruck, dass man versucht hat, die Frist so kurz anzusetzen, dass Ausländer, die sich im Recht nicht auskennen, nicht mehr die Möglichkeit haben, den ihnen zustehenden rechtlichen Beistand aufzusuchen. Allein diese Fristsetzung empfinden wir deshalb als diskriminierend und tendenziell fremdenfeindlich.
 
Beim autonomen Zentrum, bei dem Sie zwischen Besetzern und Eigentümern vermittelt haben, wurde Ihrer Bauverwaltung in der Presse bereits einmal der Vorwurf des Versuchs einer "kalten Räumung“ gemacht. Dieser Vorgang scheint sich hier zu wiederholen - mit dem Unterschied, dass es sich beim autonomen Zentrum um Hausbesetzer handelt, während wir in diesem Fall Mieter vor uns haben, die vertrieben werden sollen.
 
Aurelis einen Gefallen getan?
 
Es ist sicher auch kein Zufall, dass der Brief Ihres Bauamts vom selben Tag ist, wie die Aufforderung des Eigentümers Aurelis, das Gebäude herauszugeben. Will hier eine Behörde einem Privaten einen Gefallen tun? fragen wir uns. Der Grund für dieses Vorgehen liegt auf der Hand: Es gibt keinen Bebauungsplan, und das vom Rat beschlossene Entwicklungskonzept Mülheim Nord wurde von der Verwaltung bisher genauso wenig vorgelegt wie das ebenfalls im Projekt Mülheim 2020 beschlossene Nutzungskonzept für die Güterbahnhofsbrache (S. 118 und 119 der aktualisierten Fassung des Integrierten Handlungskonzeptes). Es gibt keinen Grund, Gebäude zu beseitigen, die für die Entwicklung des Geländes als Gründerzentrum vorgesehen sind.
 
Offensichtlich sollen deshalb am Stadtrat vorbei Fakten geschaffen werden, welche das Licht der Öffentlichkeit scheuen, weil sie dem erklärten Willen des Rates, hier ein neues Viertel für Wohnen und Arbeiten zu schaffen und dabei Arbeitsmöglichkeiten im niedrigschwelligen Bereich zu fördern, entgegenstehen. Nicht umsonst lässt ja Herr Streitberger bereits im Veedelsbeirat über sein Sprachrohr, Herrn Scherer, verlauten, aus „Gründen des Lärmschutzes(???) werde es in diesem Bereich wohl doch kein Wohnen geben.“
 
Internationalen Heuschrecken im Wege?
 
Wie Sie sicherlich wissen, macht sich die EU große Sorgen um die Umsetzung von Mülheim 2020. Eine genaue Untersuchung wurde eingeleitet. Das Fernsehen hat darüber mehrfach berichtet. Wie, meinen Sie, wird es bei der EU ankommen, wenn bekannt wird, dass die Integration der Ausländer, einer der Schwerpunkte des 40-Millionen-Programms, jetzt durch die Vertreibung von Gruppen abgelöst wird, die den Verwertungswünschen der internationalen Heuschrecken, die inzwischen das Bahnvermögen übernommen haben, im Wege sind?
 
Wie, so fragen wir Sie, sollen unsere Landtagskandidaten, die sich glühend für Mülheim 2020 einsetzen, eine solche Politik im bevorstehenden Landtagswahlkampf vermitteln? Die Vertreibung der Schiiten aus der Schanzenstraße ist unnötig und überflüssig wie ein Kropf - es sei denn, man wollte gezielt Mülheim 2020 torpedieren und die Akteure gegeneinander hetzen und bloßstellen.
 
Wir hoffen und wünschen, dass Sie sich solchen Bestrebungen verweigern und Ihre Politik des Ausgleiches und des Augenmaßes auch gegenüber dem Dezernat von Herrn Streitberger geltend machen.
 
Wir bitten Sie auch anzuordnen, dass das Amt für Stadtentwicklung endlich das in Mülheim 2020 beschlossene Entwicklungskonzept Mülheim-Nord und das Nutzungskonzept für die Güterbahnhofsbrache vorlegt.
 
Mir freundlichen Grüßen
Rainer Kippe                                                             Martin Massip
(PK)
 
Anlagen:
Schreiben Aurelis
Schreiben der Bauverwaltung
Antwort der schiitischen Gemeinde(2)
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16177
(2) r.kippe@ina-koeln.org


Online-Flyer Nr. 293  vom 16.03.2011

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