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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Inland
Wir in Europa können von der "dritten Welt" lernen
Protest und Demokratie
Von Sabine Schiffer

Da können wir uns eine Scheibe von abschneiden! Erst verjagen die Tunesier ihren Diktator Ben Ali und nun gehen die Ägypter unter noch gefährlicheren Umständen auf die Straße. Auch in anderen arabischen Ländern brodelt es. Längst überfällige Reformen und echte Demokratie werden eingefordert – von Menschen, die man hier vor allem als „demokratieunfähig“ erachtete. Dabei waren es nicht zuletzt unsere Regierungen, die die Despoten vor Ort an der Macht hielten – peinlich. Aber nicht nur das. Schließlich nehmen wir als „Demokraten“ unsere Regierungen nach wie vor hin – trotz derer Menschen- und Völkerrechtsverletzungen. Und wir nehmen hin, dass die Mehrheit des Bundestages gegen die Mehrheit der Bevölkerung entscheidet und den Krieg in Afghanistan um ein weiteres Jahr verlängert.
 
Während man bei Populisten wie Thilo Sarrazin gerne Umfrageergebnisse zur Rechtfertigung ausgrenzender Politrhetorik verwendet, treten die „Volksvertreter“ in Bezug auf die Ablehnung des Krieges weniger dafür ein, „die Mehrheitsmeinung ernst zu nehmen“. Verräterischer Doppelstandard! Aber auch das nehmen wir brav hin. Und während man sich noch als Hort der Zivilisation, Freiheit und Demokratie wähnt, ziehen andere an uns vorbei.
 
In Lateinamerika haben die landlosen Bauern so lange für ihre Rechte gekämpft, bis sie Landwirtschaft für die Menschen statt der Industrie betreiben konnten. Viele verfügen heute über eigenes Saatgut und sind nicht von Großkonzernen abhängig. Dies bildet die Basis für ein stärker werdendes demokratisches Verständnis in Lateinamerika, denn ohne Ernährungssouveränität gibt es keine Selbstbestimmung.
 
Auch hinter dem erfolgreichen Kampf gegen die Privatisierung des Wassers in Bolivien steckt mehr als nur die Sorge um eine Wasserversorgung auch für die Armen. Es geht um Unabhängigkeit, von der zuweilen viel geredet wird, die man aber aus Gründen des industriellen Wachstums nicht fördert. Während wir auf Figuren wie Hugo Chavez oder Fidel Castro starren, geht eine echte demokratische Bewegung von den Völkern aus. So verschafften sich die indigenen Völker Amerikas zunehmend Gehör und haben es erreicht, dass „Mutter Erde“ eine juristische Größe wird. Dies setzt dem Wachstum und der Erdzerstörung klare Grenzen und fördert eine humanere, ökologische Wirtschaft. Sie scheinen wirklich verstanden zu haben, dass man Geld nicht essen kann.
 
Und nun erhebt sich das arabische Volk. Und es gehört ja wahrlich mehr Mut dazu, in Kairo oder Sanaa auf die Straßen zu gehen, als in Berlin oder Stuttgart. Noch! Denn die Repressionen in Stuttgart könnten einen Vorgeschmack geben auf das, was Demonstranten zukünftig zu erwarten haben. Nun, das soll kein Vergleich unserer Regierungsvertreter mit Tyrannen à la Mubarak sein – aber für Protest gibt es auch hier genug Gründe. Dabei wird es nie ausreichen, seine Erkenntnisse ausschließlich im Internet zu pflegen, wie es so manche Jubelbotschaft über Twitter und Facebook Glauben machen könnte. Wenn die Undemokraten weg sind, stehen die Daten ja weiterhin im Netz.
 
Auch in Schwarzafrika und Indien machen sich Bauern, Landlose, Verarmte auf den Weg – auf den Weg zu uns oder zu einer Demokratie vor Ort. Sie wollen ein Leben und sie haben ein Recht darauf. Vermutlich würde sie ein Wohlstand wie unserer auch davon abhalten für mehr Gerechtigkeit einzutreten. Als logische Konsequenz wird heute die Demokratie nicht in Europa, sondern in der dritten Welt verteidigt. Wir sollten uns mit den Menschen dort solidarisieren – nicht nur, weil es sie sind, die gerade uns helfen! (PK)
 
Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung www.medienverantwortung.de
 


Online-Flyer Nr. 287  vom 02.02.2011

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