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Aktueller Online-Flyer vom 09. Oktober 2024  

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Inland
Zur Programmdebatte der Linken, Teil 5
Irritationen um die Programmdebatte, 2
Von Paul Oehlke

Die fortschreitende Demokratisierung als institutionelles wie materielles Prinzip der Weg-Ziel-Dialektik zu einer sozialistischen Gesellschaft schließt ein, dass sich alle Mitglieder der Gesellschaft in wachsendem Maße in Veränderungsprozesse gestaltend einbringen. In dieser Perspektive sind sich als emanzipatorisch verstehende Akteure geradezu verpflichtet, mit allen gesellschaftlichen Kräften zusammenzuarbeiten, die eine andere, bessere Welt möglich machen wollen. Dies hatten bereits Marx und Engels im Kommunistischen Manifest gefordert. Was bedeutet nun aber der Anspruch eines respektvollen Miteinanders in den unterschiedlichen arbeits-, umwelt- und friedenspolitischen Organisationen für die programmatische Ausrichtung einer sozial und regional heterogenen Linkspartei?

Zur erweiterten demokratischen Praxis einer linken Volkspartei
 
Die fortschreitende Demokratisierung als institutionelles wie materielles Prinzip der Weg-Ziel-Dialektik zu einer sozialistischen Gesellschaft schließt ein, dass sich alle Mitglieder der Gesellschaft in wachsendem Maße in Veränderungsprozesse gestaltend einbringen. In dieser Perspektive sind sich als emanzipatorisch verstehende Akteure geradezu verpflichtet, mit allen gesellschaftlichen Kräften zusammenzuarbeiten, die eine andere, bessere Welt möglich machen wollen. Dies hatten bereits Marx und Engel im Kommunistischen Manifest gefordert. Was bedeutet nun aber der Anspruch eines respektvollen Miteinanders in den unterschiedlichen arbeits-, umwelt- und friedenspolitischen Organisationen für die programmatische Ausrichtung einer sozial und regional heterogenen Linkspartei?

Die unterschiedlichen historischen Erbschaften und gesellschaftlichen Verhältnisse bringen selbstverständlich institutionelle und ideologische Konflikte mit sich, auch wenn im Unterschied zu allen anderen Parteien in der Linkspartei eine der Tendenz nach gleichgewichtige Vereinigung praktiziert wird (siehe „Integration als Daueraufgabe“, Zur Programmdebatte der Linken, Teil 3, Online-Flyer Nr. 281 vom 22.12.2010). Trotz unterschiedlicher Akzentsetzungen legt hiervon die Programmdebatte der Linken bisher ein eindrucksvolles Zeugnis ab. Dabei erfährt eine parteiinterne Vertrauensbildung wie eine parteiübergreifende Ausstrahlung vor allem dann Wirksamkeit, wenn die gescheiterten politischen Reformansätze und Revolutionsversuche gleichermaßen ohne Scheuklappen kritisiert und die hierbei naturgemäß aufbrechenden rechts- und linksopportunistischen Tendenzen konstruktiv bewältigt werden.


Intelligente Widerstandsformen und...

Bei Strafe sektiererischer Rückfälle oder gar des Auseinanderbrechens darf eine sich vertiefende Programmdiskussion der Linken sich nicht nur aus miteinander konkurrierenden Traditionsbeständen und theoretischen Axiomen speisen, sondern muss vielmehr ihre teils kritisch auseinander strebenden, teils sich konstruktiv ergänzenden ethisch-moralischen, gewerkschaftlich-reformerischen, sozial-ökologischen und gesellschaftsverändernden Triebkräfte in produktive Interaktionen bringen. Solch ein gesellschaftlicher Pluralismus mit seinen ideologischen Ausprägungen steht für die Herausbildung einer praxisfähigen linken Volkspartei, die in der gegenwärtigen Etappe eher eine sich strukturierende Mosaiklinke als eine integrierte sozialistische Massenpartei darstellt, auch wenn dies die miteinander konkurrierenden Strömungen in ihren libertären, reformerischen, antikapitalistischen, sozialistischen und kommunistischen Spielarten nicht wahrhaben wollen. Sie zeichnen sich weniger durch konsistente Vorstellungen als durch ihre institutionelle Funktion der Personalauswahl innerhalb der Parteigliederungen und gesellschaftlichen Aktionsfelder aus. Dies gilt insbesondere für die erforderliche Mitarbeit in Gewerkschaften und Umweltbewegungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und administrativen Organen bis zu parlamentarischen Gremien von den Kommunen bis zum Europaparlament.
 
Ignoranz und Denunziation der Linkspartei
 
Die linken Strömungen bestimmen zwar die intellektuelle Diskussion und Entwicklung des Parteiprogramms auf der öffentlichen Bühne, laufen in ihren zuweilen abgeschotteten Debatten aber Gefahr, nicht hinreichend die Mehrheit der Parteimitglieder mitzunehmen, geschweige die potenziellen Wähler zu erreichen. Hierbei fällt freilich die mediale Blockade ins Gewicht, die von der völligen Ignorierung bis zur Denunziation der Linkspartei reicht. Es handelt sich um ein strukturelles Problem linker Parteien, die nicht nur die Gesellschaft und hier vor allem die Wirtschaft besser managen wollen, sondern durchgreifende soziale Verbesserungen bis hin zu gesellschaftliche Veränderungen anstreben, die auf die Transformation der Eigentums- und Herrschaftsordnungen mit ihren gesellschaftlichen Funktionsmechanismen hinauslaufen. Dies schließt zwangsläufig engagierte theoretische wie strategische Auseinandersetzungen ein: einmal um analytisch zureichende Klärungen der gegenwärtigen kapitalistisch bestimmten Ausbeutungs-, Umverteilungs- und Vergeudungsprozesse des erzeugten gesellschaftlichen Reichtums mit ihren reaktionären Tendenzen im Innern und aggressiven im Äußeren; zum anderen aber auch strategische Konzepte mit prinzipiell friedlichen und demokratischen, vergesellschaftenden und nachhaltigen Interventionen im Rahmen der geltenden Verfassungsgrundsätze. Diese können als praxisleitende Orientierungen auf dem dornigen Weg zu einem demokratischen Sozialismus fungieren, der sich erst in langen Märschen herauskristallisieren dürfte (siehe meinen Artikel „Soziale Demokratie und Transformationsstrategie. Zu Wolfgang Abendroths Verfassungspolitik. In: Widerspruch 57, 137-145).


...pragmatisches beackern von Politikfeldern statt...
 
Hierzu bedarf es über seine allfällige Deklarierung und Deklamation als einheitsstiftender Beschwörungsformel hinaus der gezielten Institutionalisierung weiterer offener Diskurse, die bereits mehr oder weniger stattfinden. Sie können angesichts des Niedergangs der kommunistischen und sozialistischen Formationen etwa in Frankreich und Italien einen wichtigen Beitrag zu der politisch existenziellen Aufgabe leisten, wo immer ins Kraut schießende strömungspolitische Scheuklappen zu überwinden. Das erfordert wiederum, über linke Zirkel innerhalb und außerhalb der Partei hinaus mit weiteren gesellschaftlichen Reformkräften und wissenschaftlichen Multiplikatoren ins Gespräch zu kommen. Auch wenn hierzu die Rosa-Luxemburg-Stiftung und andere publizistisch wirksame Akteure im Umkreis der Linkspartei bereits erhebliche Vorarbeit leisten, muss den subkutanen Ausgrenzungen auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen und dem begleitenden medialen Trommelfeuer von außen widerstanden werden, um hieraus immer wieder erwachsende Tendenzen zu ideologischen Wagenburgen mit ihren selbst gesetzten und auch verinnerlichten Eingrenzungen zu verhindern. Hierfür bedarf es einer theoretischen Arbeit, die neue Entwicklungstendenzen in ihren konkreten Erscheinungsformen empirisch aufarbeitet und hierbei einen kritischen Dialog mit den etablierten Wissenschaften führt. Diese Traditionslinie wurde insbesondere von Marx und Engels eindrucksvoll begründet und von Lenin und Gramsci sowie vielen anderen fortgesetzt, aber in marxistisch-leninistischen Herrschaftsideologien immer wieder ins Gegenteil verkehrt. Davon legen auch heute noch zahlreiche Debatten in der erweiterten Linken Zeugnis ab, die neuere Erkenntnisse selbst marxistisch orientierter, geschweige als bürgerlich abgestempelter Autoren nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
 
Pragmatische Widerstandsaktionen statt Generalstreikillusion?
 
Was für ein Glück, dass die durchaus erforderliche Programmdebatte nicht aber schon vor den letzten Bundestagswahlen erfolgte, ließen sich mit den Eckpunkten doch recht erfolgreich der zurückliegende Bundestagswahlkampf und die letzten Wahlen in NRW bestreiten! Angesichts der Landtagswahlkämpfe in diesem Jahr läuft die entbrannte Programmdebatte jedoch Gefahr, sich gelegentlich in Träumereien von einer marxistisch ausgerichteten Partei zu verlieren, die sich quasi als Avantgarde im politischen Generalstreik mit kämpfenden Massen vereint. Statt solcher, wenn auch marginalen pseudorevolutionären Zukunftsillusionen, die eine freiwillige Ghettoisierung mit dann folgenden Spaltungsprozesse nach sich ziehen dürften, wächst unter den nach rechts ausfransenden deutschen Bedingungen die Notwendigkeit einer linken Volkspartei als aktionsfähiger Kern einer vielfältigen Bewegung, die ganz entschieden auf allen gesellschaftlichen Ebenen die sich verschärfenden Angriffe auf die konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen abwehrt sowie für den internationalen Ausgleich und die Erhaltung des Friedens eintritt. Über den aktiven Widerstand in Betrieben, Kommunen und Parlamenten hinaus müssen zugleich wohl begründete und konkret machbare Alternativen entgegengestellt werden. Dabei erhalten hierdurch mobilisierte, aber sich auch selbst aktivierende Wissensträger eine zunehmend bedeutsamere Funktion. Für solche Wechselwirkungen liefern die sich vernetzenden Akteure gegen die Energiepolitik der Großkonzerne und Bundesregierung sowie das Bahn- und Immobilienprojekt Stuttgart 21 erste Ansätze eines erweiterten, sich plural formierenden, dabei lern- und handlungsfähigen Klassensubjekts jenseits organisationspolitischer Grenzzäune.


...Revolutionsträume?
Fotos: Hans-Dieter Hey

Für Abwehrerfolge bis hin zu ersten Transformationsprojekten wird es darüber hinaus immer notwendiger, sich in der Programmdebatte mit der zunehmend unbeschränkten privaten Aneignung des transnational produzierten Reichtums und seiner sich zuspitzenden Umverteilung von unten nach oben in ihren nationalen und internationalen Dimensionen auseinanderzusetzen. Die sozial-ökonomischen Unterwerfungs- und Zugriffsformen, deutlich im Verhältnis der Bundesrepublik etwa zu Griechenland wie zur EU und anderen Ländern, schließen zugleich nicht demokratisch legitimierte Absicherungstendenzen neo-imperialistischer Herrschafts- und Machtverhältnisse ein. Sie können anhand der steigenden Propaganda für militärische Interventionsdoktrinen und Kriegseinsätze, der Bestrebungen zum Einsatz der Bundeswehr im Innern und der präventiven Vorratsdatenspeicherung sowie der medialen Aufblähung sozialrassistischer und fremdenfeindlicher Ideologieverschnitte bis hin zur Flüchtlingsbekämpfung im Innern und Äußeren verfolgt werden. Die anstehenden Konflikte dürften nur in dem Maße erfolgreich entschärft werden, wie es der erweiterten Linken im Zuge ihrer demokratischen und solidarischen, gemeinwohl- und friedensorientierten Alternativen auch in einer fortschreitend europäischen und internationalen Dimension gelingt, sich an der Entwicklung breiter Kommunikations-, Kooperations- und Aktionsformen in der Gesellschaft und an nachhaltig wirksamen und erweiterten politischen Bündniskonstellationen zu beteiligen. (HDH)

Dr. Paul Oehlke ist 1943 geboren. Er ist Sozialwissenschaftler und hat verschiedene Bücher und Zeitschriftenveröffentlichungen zu sozialen Bewegungen, insbesondere deutsche Studenten und der britischen Arbeiterbewegung sowie zu arbeitspolitischen Innovationsprozessen in der Bundesrepublik Deutschland, in nordischen Ländern und Europa. Seine Tätigkeit umfasst Forschung, Lehre und gewerkschaftliche Bildungsarbeit sowie Projektmanagement in regionalen, nationalen und europäischen Förderaktivitäten. Er ist Mitglied der Linkspartei und Beirat der RLS in NRW.

 


Online-Flyer Nr. 286  vom 26.01.2011

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