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Globales
Der Streik der ArbeiterInnen bei UPS-Türkei wird konsequent weitergeführt
Solidarität auch in Deutschland
Von Alp Kayserilioglu

Seit dem 5. Mai 2010 wird bei UPS und Tochterunternehmen in der Türkei gestreikt. Der Streik begann bei zwei UPS-Zentralen in Istanbul und einer in Izmir. Gefordert wird die Wiedereinstellung von mittlerweile 162 ArbeiterInnen, die auf Grund ihrer Mitgliedschaft bei der Türkiye Motorlu Tasit Isçileri Sendikasi (TÜMTIS, türkische Transportarbeitergewerkschaft), Mitglied der Internationalen-Transportarbeiter-Föderation (ITF), fristlos gekündigt wurden. Am 1. September fand schon ein Tag mit internationalen Solidaritätsaktionen statt. Nun wird der Streik durch Solidaritätsaktionen aus Deutschland einen neuen Impuls gewinnen.


Solidaritätsdemonstration in Istanbul
Quelle: www.kaypakkaya-partizan.org
  
Seit Mitte 2009 versuchte TÜMTIS unter den sehr rigiden Bedingungen der türkischen Gewerkschaftsrechte die ArbeiterInnen beim United Parcel Service gewerkschaftlich zu organisieren. Zum Beispiel muss man als Arbeitnehmer zum Notar gehen um Gewerkschaftsmitglied zu werden, und laut Gesetz müssen sowohl 10% aller landesweit in der Branche Beschäftigten, als auch 50% im betreffenden Betrieb notariell registrierte Gewerkschaftsmitglieder sein, damit die Gewerkschaft dort tariffähig wird; auch werden Streikfonds der Gewerkschaft, einschließlich ihrer Auszahlung, gesetzlich verboten. Trotz dieser Bedingungen gelang es der TÜMTIS jedoch z.B. in Istanbul 700 der 2500 Beschäftigten zu organisieren.
 
Wer Gewerkschafter wird, fliegt raus
 
Die Bemühungen von TÜMTIS bekam das Management von UPS „zufällig“ mit, indem man am 13. April Beschäftigte auf ihrem Weg zur notariellen Bekundung ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft verfolgen ließ. Für diese „Sünde“ sollten die bereits organisierten ArbeitnehmerInnen sühnen: In mehreren Umschlagszentren in Istanbul, sowie in UPS-Zentren in Istanbul, Ankara und Balikesir wurden die sich gerade neu organisierenden ArbeiterInnen gefeuert. Im Fastenmonat Ramadan wurden die übrigen aufgefordert, einen „heiligen Eid“ darauf abzulegen, keine Gewerkschaftsmitglieder zu sein oder zu werden. Ende Juni platzte einem Manager bei einem UPS-Subunternehmen der Kragen und er schoss mit einer Pistole in die Luft. Bei einem Protest in Mahmutbey, Istanbul wurden Sondereinsatzkommandos der Polizei gerufen um den Protest zum Schweigen zu bringen. Außerdem wurde versucht, Streikposten mit PKWs zu überfahren. Die Liste der Gegenmaßnahmen kennt kein Ende.
 
Monatslöhne bei 382 bis 293 Euro
 
Die Schuld der ArbeitnehmerInnen muss aus Sicht des Logistikunternehmens, dessen Jahresumsatz in der Türkei bei knapp 55 Mrd. US-Dollar liegt, freilich eine schwere gewesen sein: sie drückten nämlich mit ihrem Willen zur gewerkschaftlichen Organisation aus, dass der durchschnittliche Lohn von 750 TL (382 EUR) im Monat, bzw. 577 TL (293 EUR) bei Vertragsunternehmen, menschenunwürdig sei; dass kein Mensch durchschnittlich 10 bis 14 Stunden an 6 Tagen pro Woche arbeiten müsse - bei konstanter Überwachung per GPS.
 
Ebenso konsequent, wie die UPS Leitung gegen die ArbeitnehmerInnen mit Drohungen und Entlassungen vorging, streiken die ArbeiterInnen für ihr Recht sich für ihre Interessen organisieren zu können. Sie lassen sich nicht einschüchtern und protestieren nun seit über 6 Monaten vor mittlerweile noch zwei Zentralen in Istanbul. Dabei helfen ihnen heimlich auch nichtstreikende Beschäftigte, die einen Teil ihres Lohnes für eine Streikkasse bereitstellen. Während dieser Zeit wurde eine Zentrale in Izmir geschlossen, weil sich der gesamte Betrieb auf die Seite der gefeuerten ArbeiterInnen stellte.
 
Aktionstage weltweit
 
Durch die Internationale Transportarbeiter-Föderation ITF, die 533 Gewerkschaften in 136 Ländern mit mehr als 5 Millionen Gewerkschaftsmitgliedern im Transportgewerbe repräsentiert – neben TÜMTIS auch ver.di – wurde zu internationalen Aktionstagen aufgerufen. Am 1. September fand der erste dieser Aktionstage statt, an dem Gewerkschaften in Argentinien, Japan, Korea, den USA, Österreich, der Schweiz und in Deutschland mit verschiedenen Aktionen teilnahmen. In Deutschland verbreiteten AktivistInnen und Mitglieder von ver.di, NGG und der IG-Metall vor der Zentrale von UNSPED, der türkischen Tochtergesellschaft der UPS, in Kassel und der von UPS in Herne „factsheets“. Am Abend wurden vor den Toren der UPS-Zentrale am Kölner Flughafen die ArbeiterInnen informiert. Am 16. September fand dann eine Großdemonstration auch mit Fußballfans und Parteien in Istanbul statt.
 
Nachdem sich im Rahmen einer internationalen Aktionswoche der ITF und der Union Network International (UNI) unter dem Motto „Respekt und Sicherheit für alle!“ eine ver.di-Delegation vom 8. bis 10. Oktober in Istanbul ein Bild über die Situation gemacht hatte, beginnt man zur Zeit für einen neuen internationalen Aktionstag zu mobilisieren. Vermutlich wird dieser Anfang/Mitte Dezember stattfinden. Dafür sind auch in Deutschland Aktionen geplant. Dies ist insofern wichtig, als UPS ein international weit verzweigtes Unternehmen ist und insbesondere auch deutsche Großunternehmen UPS in der Türkei nutzen. Nur international kann genügend Druck auf UPS ausgeübt werden, um den Kampf für Rechte der Arbeiter in der Türkei zu gewinnen.
 
„Versklavungsgesetz“
 
Die desaströsen und zu weiteren Repressionen tendierenden Arbeitsbedingungen bei UPS in der Türkei reihen sich in eine schon vorhandene Reihe von Maßnahmen gegen Lohnarbeitende und die darauf folgenden Arbeitskämpfe ein. Schon 2009 kämpften ArbeiterInnen des privatisierten einst staatlichen Tabak- und Alkoholkonzerns TEKEL gegen das „4/C“-Gesetz, das die ArbeiterInnen ein „Versklavungsgesetz“ nannten, und das auch ihnen aufgezwungen werden sollte, wodurch ihre Versicherungs- und Gewerkschaftsrechte massiv eingeschränkt worden wären - ganz zu schweigen von stark gekürzten Löhnen.
 
Auch bei Türk Hava Yollari, der türkischen Fluggesellschaft THY, werden zur Zeit ArbeiterInnen gefeuert oder es wird ihnen damit gedroht, weil sie Gewerkschaftsmitglieder sind. Bei Hava-Is, einer anderen Flugverkehrsgesellschaft, bei Istanbul Gaz Dağıtım Sanayi ve Ticaret Anonim Şirketi (IGDAS), einem Istanbuler Gasdistributionskonzern, drohen derweil ebenfalls Privatisierungen mit unabsehbaren Folgen für die LohnarbeiterInnen.
 
Die sogenannte Weltwirtschaftskrise, die auch die Türkei trifft, führt zu immer schärferen Maßnahmen gegen ArbeiterInnen, wogegen diese nun Widerstand zu leisten beginnen. Der durch Reagonomics/Thatcherismus/Neoliberalismus weltweit, in der Türkei im Besonderen seit dem Putsch von 1980 verschärfte Abbau von Arbeiter- und insbesondere Gewerkschaftsrechten entlarvt als ein Korsett, in das die LohnarbeiterInnen gezwungen wurden. Es geht nun darum, dieses Korsett aufzusprengen. (PK)


Online-Flyer Nr. 278  vom 01.12.2010

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