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Inland
Berlin baut mit am Bollwerk gegen das von Venezuela angeführte ALBA-Bündnis
Ein "Umweltordnungsplan"
Von Hans Georg

Die deutsche "Entwicklungs"-Agentur GTZ beteiligt sich an einem Aufstandsbekämpfungsprogramm des kolumbianischen Militärs. Berichten zufolge soll die Organisation die "Erstellung eines Raum/Umweltordnungsplans" in einem kolumbianischen Nationalpark übernehmen, der bis heute Schauplatz bewaffneter Kämpfe zwischen Rebellen und Armee ist. Das Vorhaben ist Teil eines Programms, das Kolumbien in Kooperation mit dem US-Militär entwickelt hat, um den Nationalpark unter Kontrolle zu bekommen.
 

“Entwicklungsminister“ Dirk Niebel
- hilft den USA beim Bollwerk-Bau
gegen ALBA
Quelle: FDP Sinsheim.jpg
Weitere "Entwicklungs"-Projekte in Kolumbien sind Gegenstand von Gesprächen, die der zuständige deutsche Minister Dirk Niebel in diesen Tagen in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá führt. Kolumbien ist engster Verbündeter der Vereinigten Staaten in Südamerika und gilt als Bollwerk gegen das von Venezuela angeführte ALBA-Bündnis, das auf Eigenständigkeit gegenüber den USA und der EU bedacht ist. Berlin baut die Beziehungen zu dem südamerikanischen Land seit einigen Jahren systematisch aus - und beteiligt sich so an den Bemühungen Washingtons, den Spielraum von ALBA einzuschränken und die neoliberale Öffnung des Subkontinents voranzutreiben.
 
Neoliberales Bollwerk
 
Berlin baut seine Beziehungen zu Bogotá seit einigen Jahren systematisch aus. Das Auswärtige Amt weist auf eine "deutliche Intensivierung des hochrangigen bilateralen Besuchsaustauschs seit 2007" hin; es verzeichnet gegenseitige Besuche der Präsidenten beider Länder, der Bundeskanzlerin sowie weiterer einflussreicher Amtsträger.[1] Der seit August 2010 amtierende kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos reiste bereits vor seinem Amtsantritt nach Berlin, um sich dort persönlich der Unterstützung der Bundesregierung zu versichern. Erst vor wenigen Tagen ist der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Bernd Pfaffenbach, aus Kolumbien zurückgekehrt, wo er Gespräche über die Intensivierung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen führte.
 

Präsident Juan Manuel Santos –
Aufstandsbekämpfer
Quelle: http://latina-press.com
Vergangene Woche hielt sich nun der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel in Bogotá auf, wo er den letztes Jahr angekündigten Ausbau der Entwicklungskooperation vorantreiben will. All diese Maßnahmen gewinnen besondere Bedeutung aus der Tatsache, dass Kolumbien als zentrales Bollwerk gegen die auf Eigenständigkeit bedachten ALBA-Staaten (vor allem Venezuela und Bolivien [2]) gilt und aufs Engste mit den USA verbündet ist. Die Verdichtung der Beziehungen zwischen Berlin und Bogotá dient dem Ausbau des Landes als gegenüber den NATO-Staaten loyaler Stützpunkt in Südamerika.
 
Morde an Gewerkschaftern
 
Dass die Bundesregierung ihre Zusammenarbeit mit Kolumbien intensiviert, wird von zahlreichen Beobachtern scharf kritisiert - wegen der katastrophalen Menschenrechtssituation dort. So gilt das Land, in dem deutsche Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit seit einigen Jahren stark ausbauen, als der für Gewerkschafter mit klarem Abstand gefährlichste Staat der Erde. In Kolumbien werden gut zwei Drittel aller Morde an Gewerkschaftern weltweit verübt; allein seit 2002 wurden dort mehr als 500 gewerkschaftliche Aktivisten ums Leben gebracht. Rund 97 Prozent dieser Morde blieben ungesühnt. "Nur in einem Bruchteil der Fälle nehmen die staatlichen Behörden überhaupt Ermittlungen auf", heißt es in einer aktuellen Publikation des Berliner "Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika" (FDCL) sowie des "Transnational Institute" (TNI) aus Amsterdam.[3] "Fundamentale Gewerkschaftsrechte wie die Vereinigungsfreiheit, das Streikrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen werden nicht respektiert", schreiben FDCL und TNI über die Rahmenbedingungen, unter denen deutsche Unternehmen in Kolumbien Profite erzielen.
 
Massenvertreibungen
 
Dabei haben skandalöse Zustände in Kolumbien bereits mehrfach internationale Kritik auch an deutschen Firmen hervorgerufen. So beziehen deutsche Energieversorger, vor allem Eon, aber auch RWE, Vattenfall und EnBW, Steinkohle aus Kolumbien - 5,8 Millionen Tonnen allein im Jahr 2008. Ein Großteil davon entstammt der Mine El Cerrejón, dem größten Steinkohletagebau der Welt. Wie Menschenrechtler beklagen, werde die Kohle dort nicht nur unter miserablen Arbeitsbedingungen produziert; El Cerrejón verschmutze die Umwelt so erheblich, dass Ärzte damit sogar Todesfälle in Verbindung brächten. Bei der Ausdehnung des Tagebaus werden seit Jahren ganze Dörfer evakuiert und die Bevölkerung vertrieben - oft mit Hilfe staatlicher Repressionskräfte und entschädigungslos. Von den in Kolumbien eingesparten Kosten profitieren die Bergbaufirmen, aber auch die deutschen Konsumenten.[4] Ähnlich verhält es sich mit Palmölplantagen, für deren rasantes Wachstum in den letzten Jahren Zehntausende Kleinbauern mit brutaler Gewalt vertrieben wurden. Hauptabnehmer kolumbianischen Palmöls ist mit rund 40 Prozent der Exporte Deutschland; über die Hälfte davon wird für die Strom- und Wärmeerzeugung verheizt. Zu den hiesigen Hauptimporteuren gehört die Daabon Organics Gruppe, die im letzten Jahr eine Siedlung von 500 Menschen durch die Polizei räumen ließ, um ihre Plantagen zu vergrößern. FDCL und TNI zufolge lassen sich deutsche Bio-Marken (Alnatura, Rapunzel, Allos) von Daabon beliefern.[5]
 
Traditionelle Arbeitsteilung
 
Mit einer Ausweitung der deutsch-europäischen Palmöleinfuhr und daher mit einer zunehmenden Vertreibung von Kleinbauern in Kolumbien zugunsten riesiger Palmölplantagen rechnen Kritiker nach der Ratifizierung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kolumbien sowie Peru, das im Mai 2010 abgeschlossen wurde. Das Abkommen befreit den Import von Palmöl in die EU, wo es in zunehmendem Maße zur Energieerzeugung genutzt wird, von Zöllen. Außerdem sichert es europäischen Investoren Marktzugang und Inländerbehandlung beim Abbau der Bodenschätze. Wie FDCL und TNI berichten, gehen die Zugeständnisse Kolumbiens und Perus beim Abbau von Zöllen für europäische Industrieprodukte (Maschinen, Automobile, Elektroartikel) noch über die Vorteile hinaus, die die zwei Länder jeweils in entsprechenden Handelsverträgen den USA gewährten. Es sei festzuhalten, resümieren FDCL und TNI [6], "dass das Abkommen die traditionelle Arbeitsteilung zwischen europäischen Industriestaaten und lateinamerikanischen Rohstoffexporteuren verfestigt" - zum Wohle vor allem des größten kolumbianischen Handelspartners in Europa, der Bundesrepublik Deutschland.
 
Aufstandsbekämpfung
 
Zusätzlich zur zivilen Zusammenarbeit mit dem Bürgerkriegsstaat Kolumbien beginnt Berlin jetzt auch mit zivil-militärischen "Entwicklungs"-Kooperationen. Auf Betreiben von "Entwicklungs"-Minister Dirk Niebel wird die "Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit" (GTZ) sich an einem Projekt beteiligen, das angeblich der "partizipativen Erstellung eines Raum/Umweltordnungsplans" für den Macarena-Nationalpark südöstlich von Bogotá dient. Der Nationalpark ist bis heute Ort von Kämpfen zwischen der Rebellenarmee FARC, dem Militär und Paramilitärs. Tatsächlich ist Niebels "Umweltordnungsplan" Teil des kolumbianischen "Plan de Consolidación Integral de la Macarena" (PCIM), eines von Kolumbien zusammen mit den US-Streitkräften entwickelten und 2007 in Gang gesetzten Aufstandsbekämpfungsprogramms.
 
Kritiker monieren, auf diese Weise werde die GTZ in Kolumbien Teil des Bürgerkriegs; dies wiege umso schwerer, als die kolumbianischen Streitkräfte für ihre Menschenrechtsverletzungen berüchtigt sind.[7] Beobachtern zufolge soll das Projekt als "Türöffner" für entsprechende weitere Aktivitäten dienen. Damit schreitet die Verschmelzung zwischen deutscher "Entwicklungs"-Politik und Militär, wie sie von Berlin besonders in Afghanistan forciert wird [8], nun auch in Lateinamerika voran.(PK)
 
[1] Beziehungen zwischen Kolumbien und Deutschland; www.auswaertiges-amt.de
[2] ALBA ("Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América") gehören derzeit Kuba, Venezuela, Bolivien, Ecuador, Nicaragua, Dominica, Antigua und Barbuda sowie St. Vincent und die Grenadinen an. Honduras war ALBA-Mitglied, trat jedoch nach der Machtübernahme durch unter anderem von der Friedrich-Naumann-Stiftung unterstützte Putschisten aus dem Bündnis aus. S. auch Die Naumann-Fraktion,Ein Amtsenthebungsverfahren und Fünf Punkte für die Putschisten
[3] Thomas Fritz: Die zweite Eroberung. Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru, herausgegeben vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), Berlin, und dem Transnational Institute (TNI), Amsterdam, September 2010
[4] DanWatch: The Curse of Coal. Our coal consuption causes diseases, pollution, and poverty, in Columbia, January 2010
[5], [6] Thomas Fritz: Die zweite Eroberung. Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru, herausgegeben vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), Berlin, und dem Transnational Institute (TNI), Amsterdam, September 2010
[7] Gerhard Dilger: FDP-Minister für Aufstandsbekämpfung; www.taz.de 04.11.2010
[8] s. dazu Partner ohne Uniform und Integrierter Ansatz
 
Dieser Artikel wurde zuerst bei http://www.german-foreign-policy.com veröffentlicht


Online-Flyer Nr. 275  vom 10.11.2010

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